36 || Eskalation

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Cycles - Josh A feat. Jake Hill


Ich war schon immer Meisterin im Prokastinieren und Aufschieben von Sachen gewesen. Angelegenheiten, die mir Angst bereiteten oder auf die ich keine Lust hatte, konnte ich ewig vor mir her schieben. So tat ich das auch jetzt.

Ich zögerte das Gespräch mit meiner leiblichen Mutter schon seit Tagen hinaus und auch mit Noah hatte ich nicht nochmal gesprochen. Er war seit seiner High-School-Musical-Ballett-Performance auch gar nicht mehr in der Schule erschienen.

Ich hatte mich unterstanden, seine Freunde nach ihm zu fragen und nutzte die Zeit stattdessen zum Nachdenken. Sollte ich ihm tatsächlich noch eine Chance geben oder ergab das alles keinen Sinn mehr mit uns? Ich wusste es nicht und deshalb versuchte ich auch diesen Gedanken so gut wie möglich zu verdrängen.

Um mich nicht allzu sehr mit meinen ganzen Sorgen zu beschäftigen, tat ich alles dafür, um mich abzulenken. Ich traf mich mit meinen Freunden, unternahm etwas mit meiner Familie und lernte sogar freiwillig noch mehr für meine bevorstehenden Prüfungen.

Nur abends lag ich dann alleine in meinem Bett und all die Gedanken, die ich den Tag über so gut verdrängte, kamen wieder hoch und schwirrten durch meinen Kopf. Alleine in dieser Woche hatte sich meine durchschnittliche Schlafdauer um die Hälfte reduziert und ich überstand keinen Tag mehr ohne Kaffee.

Um es auf den Punkt zu bringen, es ging mir nicht gut, wenn nicht sogar verdammt scheiße und ich hatte das Gefühl, dass mir all der Stress langsam über den Kopf wuchs.

Ich war gestern extra früh ins Bett gegangen, um genug zu schlafen, da ich heute einen wichtigen Test in Französisch schrieb, aber ich hatte erst nach zwei Uhr ein Auge zugedrückt. So saß ich jetzt hier an meinem Platz mit bereits drei Tassen Kaffee intus und einem weiteren Becher auf meinem Tisch stehend. Tatsächlich lief der Test aber ganz gut, vielleicht beflügelte das Koffein ja meine Gedanken.

Auf jeden Fall verließ ich, nachdem ich meinen Test abgegeben hatte, recht zufrieden den Raum. Unter diesen Umständen hatte ich zumindest mein Bestes gegeben und das würde hoffentlich reichen.

Gemütlich schlenderte ich den Flur entlang zu meinem Spind, als ich plötzlich am Arm gepackt wurde. Ich wirbelte herum und blickte in das gehetzt aussehende Gesicht von Julie.

"Da bist du ja, ich habe dich überall gesucht", stieß sie völlig außer Atem aus. "Du musst unbedingt mitkommen!"

Mich überkam ein flaues Gefühl. Was war passiert, dass Julie so gestresst und aufgelöst war?

"Was ist los, Julie?", fragte ich nervös und merkte, wie meine Hände langsam feucht wurden. Ich hatte ein ungutes Gefühl, ein ganz ungutes.

"Bitte komm einfach mit, ich erkläre es dir auf dem Weg."

Julie griff nach meiner Hand und zog mich einfach mit sich mit, sodass mir gar nichts anderes überblieb, als ihr zu folgen. Gemeinsam rannten wir den Flur zur großen Tür, die auf den Schulhof führte, entlang, ohne dass ich überhaupt den Grund wusste. Julie hatte aber so verzeifelt geklungen, dass ich mir sicher war, dass irgendetwas Schlimmes passiert war. Hoffentlich nichts mit meinen Freunden, schoss es mir in den Kopf.

"Es geht um Noah", setzte Julie endlich an, als wir bereits auf den Schulhof traten. "Er ist vollkommen besoffen und beleidigt gerade Mister Woodsley, der ihn nach Hause schicken wollte. Die Situation ist kurz vorm Eskalieren und Noah lässt niemanden an sich ran, selbst Ashton nicht. Du bist seine letzte Chance, sonst kriegt er einen Schulverweis und das so kurz vor den Abschlussprüfungen", erklärte sie mir.

Geschockt schnappte ich nach Luft. Das war nicht der Noah, den ich kannte. Der Noah, den nichts aus der Ruhe bringen konnte und der alles nur mit einem kühlen Lächeln kommentierte. Der Noah, dem es so wichtig war, einen guten Schulabschluss zu machen, um endlich von zu Hause wegzukönnen. Und genau das konnte er sich abschminken, wenn er jetzt auf Mister Woodsley losging.

Three MonthsWhere stories live. Discover now