VII. löwe

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Und der dunkle Direktor sprach, als wäre er Gott selbst und hätte Nichts und Niemanden zu fürchten, eine Anklage aus und verbannte das Mädchen, welches durch jenen Einfluss von stürmisch quasselnd zu kleinlaut piepsend umgeschlagen hatte, aus seinem Reich der grauen Mauern.

Nun ja, der Direktor hatte keine Freistellung für mich erlaubt.

Während ich in seinem Büro gesessen hatte und mir eine weitere Belehrung, übrigens die zweite an diesem Tag, über Anstand und Sitten abholen musste, hatte ich mir bereits weitere Pläne in meinem Gedächtnis zurecht gelegt. Der Überzeugendste jener anstrebenden Ziele war, mich einfach von meiner Mutter wegen plötzlicher Krankheit entschuldigen zu lassen.

Natürlich würde diese Schwindelei auffallen, jedoch erst wenn jemand mein Fehlen rechtzeitig bemerken würde. Die einzige Person in dem großen Schulgebäude, welche sofort darauf kommen könnte, dass ich nicht krank war sondern lediglich wegen wirklich guten Gründen fehlte, war der Direktor höchst persönlich.

Niemand sonst wusste von meiner eben noch geäußerten Bitte einer Freistellung. Jedoch hoffte ich inbrünstig, dass er mein Verschwinden weder bemerken noch quittieren wird. Wenn das passieren würde, könnte ich sofort meine Sachen packen und das Land verlassen. Nun, mir blieb jedoch immer noch eine relativ hohe Chance, dass es einfach niemand bemerkte, wenn ich den kommenden Tag etwas anderem außer der nervigen Schule widmete.

Ich war so oder so eine eher ruhige Schülerin im Unterricht. Nur etwa die Hälfte der Lehrer kannte meinen Namen. Und das sollte bitte auch so bleiben.

Die restlichen Stunden dieses seltsamen Tages verliefen gottseidank friedlich. Ich konnte mich daheim beruhigt in mein Bett schmeißen und mich für den Rest des Abends kein Stück mehr rühren.

Am nächsten Morgen stand ich zeitig auf, um Liam vor seiner Abreise noch den Traum eines Frühstücks zuzubereiten. Im Supermarkt waren um diese frühe Zeit nur seltsame Gestalten unterwegs gewesen. Ich hatte mich tatsächlich ein wenig gefürchtet. Einmal hatte ich sogar gedacht, Jordan unter einem dieser Personen zu erkennen.

All dieser mentale Stress verursachte bei mir schlimme Kopfschmerzen. So konnte ich auf dem Heimweg nicht dagegen ankämpfen, eine Zigarette zu rauchen. Ich hatte Sam zwar versprochen, nicht mehr zu rauchen und mich so gut es ging zu beherrschen, jedoch war dies Momentan die einzig mögliche Rettung um meine Gefühle und Gedanken ein wenig zu sortieren. Ich hatte schließlich vor, diesen Tag halbwegs zu überleben.

Als ich Liam mit einer Schale Rührei, einem liebevoll geschmierten Schokoladenbrot und einer Tasse Kakao an diesem Morgen überraschte, funkelten seine Augen als würde er noch träumen.

Meine Mum verbot mir vor einiger Zeit, jenes Fake-Nutella, welches wir uns mit den restlichen Lebensmitteln nur schwer erarbeiten, Nutella zu nennen.

Es erinnere sie nur an ihren kargen Lohn. Außerdem plagen bei dieser Aussage anscheinend schlimme Vorwürfe ihren Kopf, dass sie es nicht einmal fertig brachte, anständiges Essen auf den Tisch zu bringen.

Meiner Meinung nach schmeckte der Nutella Abklatsch ebenfalls ganz gut, doch ihrer Komplexe ließ ich gern freien Lauf. Jedenfalls war meine Mum Schuld, dass wir nur noch von Schokoladenbroten redeten, um uns nicht selbst an unseren Geldmangel zu erinnern. Das war doch sehr herbei gesponnen, jedoch taten wir es ihr zuliebe.

Mir kam ebenfalls mein Nebenjob in den Sinn, welchen ich neulich gekündigt hatte, da ich dort auf Jordan gestoßen war. Ich hatte wohl hauptsächlich aus dem Grund gekündigt, da ich Abstand zu ihm behalten wollte.

Die Kontrolle war so leicht zu verlieren, wie ich bereits schon einmal feststellen musste. Außerdem plagte mich meine Angst vor diesem großen Mann mit dem Kiefer aus Stahl. Zum einen meine persönliche Angst, welche ich teilweise immer wieder versuchte, in den Hintergrund zu stellen. Doch der Hauptgrund, aus welchem ich gekündigt hatte, war tatsächlich Liam.

Es klang, als würde ich nach einer Ausrede für mein memmenhaftes Verhalten suchen, jedoch entspricht meine Angst um ihn tatsächlich der Realität. Wegen Liam hatte ich meinen Job aufgegeben. Ich sorgte mich viel zu sehr um ihn. Wenn ihm etwas zustoßen würde, dann könnte ich mir das niemals verzeihen.

Und so hatte ich mich dazu entschlossen, Abstand von Jordan und den Regionen zu halten, in welchen ich auf ihn getroffen war.

Wenn mein Sinn nicht vollkommen mit mir spielte, dann hatte ich Jordan sogar diesen Morgen in dem kleinen Einkaufsladen nicht weit von unserem Zuhause gesehen. Und diese Tatsache ließ mich frösteln.

Zum Glück würde ich Liam heute aus dieser gefährlichen Situation entfernen können, und ihn somit in Sicherheit wiegen. Es wäre nicht von Vorteil, würde er in die Hände von Jordan fallen. Er könnte jegliche Forderung an mich stellen.

Kurz gesagt: Liam war eine Art Schwachpunkt für mich. Und diese verwundbare Stelle galt es zu verstecken und beschützen; mit jedem Mittel der Welt.

Ich merkte gar nicht, dass ich mal wieder zu viel grübelte, bis Liam mich anstieß und mir das leere Geschirr mit einem großen herzlichen Lächeln entgegen hielt. Ich nahm es ebenfalls lächelnd in meine Hände und schlug mir meine verwirrenden Gedanken aus dem Kopf. Kurz küsste ich ihn auf die Stirn und ging dann zurück in die Küche.

Einige Zeit später saßen Liam und ich bereits zusammen auf meinem alten Moped. Es knatterte ein wenig und benötigte ganz sicher mal wieder eine Auffrischung in der Werkstatt. Auch die Reifen hatten kaum mehr Profil. Das dazugehörige Benzin war nicht gerade günstig, jedoch wurde es mir wegen Geldmangel von dem netten Tankwärter in unserem Ort meist für einen läppischen Preis verkauft. Er sorgte sich immer ein wenig um mich und meine Familie. Seine Gesten waren oft sehr herzlich und manchmal bedankte ich mich dafür mit Kleinigkeiten, wie beispielsweise freiwillige Arbeit in seinem großen Garten. Jedoch sah ich diese Arbeit weniger als gezwungen an. Ich mochte es wirklich gern, die Kontrolle über ein wunderschön farbenfrohes und lebhaftes Stück Gras zu behalten.

Und dieses kostbare Benzin wurde nun verfahren, um Liam, im befestigten Kindersitz hinter mir, mit seinen Eltern zu vereinigen. Es war wirklich jeden Milliliter wert, welcher dabei auf der Strecke blieb.

Es war schon später Mittag und Liam waren die Augen zu gefallen, als ich vor dem großen Haus meiner Verwandten hielt und das Gefährt in ihrer Einfahrt abstellte. Suse kam freudig aus dem Haus gelaufen und empfing uns mit herzlichen Umarmungen. Dabei wurde Liam wach, welcher seine Mutter mit verschlafenen Augen beäugte und ihr schließlich ebenfalls in die Arme fiel.

Diese lang ersehnte Wiedervereinigung ließ eine kleine Träne aus meinem Augenwinkel kullern, welche dort schon lang ausgeharrt hatte. Ich wusste, dass es nun an der Zeit war, Liam Lebewohl zu sagen und ihn hier, wo er hin gehörte, zurückzulassen.

Das aufkommende Gefühl des Verlustes schmerzte tief in der Brust, jedoch machte es mich zugleich ein wenig stolz, dass ich so gut auf ihn aufgepasst hatte. Auch wenn es hier und da ein paar Schwierigkeiten gegeben hatte, war ich der Überzeugung, meinen Vollzeitjob relativ gut gemeistert zu haben. Man musste jedoch auch sagen, dass Liam ein sehr pflegeleichtes Kind gewesen war.

Eine weitere Träne bahnte sich ihren Weg meine gerötete Wange hinunter. Ohne Vorwarnung an die ruhige Erde traf der salzige Tropfen auf den Boden aus Kies auf und zerlief dort in einem unscheinbaren Fleck. Ich konnte es nicht länger ertragen.

Die Trennung zerrte an mir und schien mich von innen heraus langsam aufzufressen. Schnell nahm ich Liam noch einmal fest in meine Arme. Sein kleines Herz war deutlich unter dem dicken Stoff zu spüren. Auch er begann nun zu weinen. Ich hockte mich hin, sodass ich mit ihm auf Augenhöhe war, und wischte seine kleinen Tränen schluchzend weg.

»Ach kleiner Löwe.«, entwich es meinem vor Kummer verzogenem Mund.

»Bitte vergiss mich nicht.«, hauchte er mir als Abschied entgegen.

Seine kleine Stimme hallte noch die komplette Rückfahrt in meinem Kopf.

Ich konnte an nichts anderes denken.

★? Danke!

roses are slowly dyingWhere stories live. Discover now