25« Tears

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San Francisco war auch nach Jahren noch wunderschön.

Bunte Häuser reihten sich in den langen Alleen aneinander und jedes zog mit ganz besonderem Inventar die Aufmerksamkeit auf sich.
Jedes Haus in San Francisco war ein Unikat und ich hatte schon immer geliebt, wie farbenfroh und einzigartig dieser Flecken Erde war.

San Francisco hob sich von anderen Städten ab, denn hier gab es keinen langweiligen Standard Schnickschnack und einen Glaspalast nach dem anderen.
Die Stadt blieb vor allem der viktorianischen Architektur treu und spielte mit einem Mix aus modern und alt.

Ich liebte San Francisco.
Ich hatte hier mein halbes Leben verbracht.
Ich war in den Kindergarten unseres Wohnorts gegangen und hatte meine ersten Kontakte mit Jungen, als ich drei Jahre alt war und im Sandkasten versuchte eine Torte zu backen.
Peter hieß der blonde Junge, der sich an einem Morgen im Mai neben mich setzte und mir bei meinen Plänen half.
Er war mein erster richtiger Freund.
Andere Kinder wollten nichts mit mir zu tun haben, ich war komisch.
Komisch, weil ich nicht so viel sprach und weil ich mit derselben ausdruckslosen Miene die Gruppe betrat, wie ich sie am Tag zuvor verlassen hatte.
In meinen Augen hatte sich schon immer die grenzenlose Leere gespiegelt und ich glaubte, auch das war ein Punkt an mir, der viele abschrecken ließ.

In der Grundschule wollte ebenfalls niemand meinen Kontakt und als Peter in der zweiten Klasse die Schule wechselte, verließ mich auch mein einziger Freund.

Unsere Freundschaft war anders gewesen, als die der anderen.
Eine typische Freundschaft bestand aus tausenden Umarmungen, gemeinsamen Ausflügen und albernen Insidern, über die man jahrelang zu lachen hatte.
Zwischen ihm und mir hatte es sowas nie gegeben und doch war ich mir sicher, dass wir beide Freunde gewesen waren. Beste Freunde.

Uns hatte vor allem die Ruhe verbunden. Der Drang den Mund zu schließen und stiller Beobachter der Situation zu sein.
Wir hatten so gut wie nie geredet.
Nachmittags hatten wir zu zweit auf einer Bank gesessen und jeder still für sich ein Buch gelesen.
Oder wir hatten Musik von seinem tollen MP3-Player gehört und dabei die Wolken am Himmel gezählt.

Womöglich denkst du, das wäre langweilig gewesen.
Glaub mir, das war es nicht.
Ich hatte nie etwas mehr genossen, als die Ruhe und die Gesellschaft eines Menschen, der mich auch ohne Worte zu verstehen schien.

Mir war nie Zeit geblieben Peter wirklich zu vermissen, denn während ich in der Schule nur noch alleine war und zum größten Außenseiter überhaupt mutierte, ging bei mir Zuhause die Hölle los.

Ich hatte unser Strandhaus immer besonders gern gehabt.
An windigen Tagen hatte ich durch mein geschlossenes Fenster das Meer rauschen hören können und ich erinnerte mich an unzählige Abende im Juni, die ich bloß im Sand gelegen und meine Hände unter der erhitzten Oberfläche vergraben hatte.
Ich hatte das immer genossen, ebenso wie das Gefühl einer ruhigen Nacht, die mit einem klaren Sternenhimmel begann und mit einem nebligen Sonnenaufgang endete.

In der zweiten Klasse, kurz nachdem Peter umgezogen war, verstarb mein Großvater.
Er war krank gewesen, unglaublich krank. Trotzdem war er der beste Großvater gewesen, den ich hätte haben können.
Seine treue Seele hatte meist den ganzen Tag in einem Schaukelstuhl auf der Veranda seines Hauses gesessen und sich von Winde schaukeln lassen.
Die letzten Monate seines Lebens waren die reinste Qual für ihn und er hatte körperlich unglaublich viel durchzustehen, doch er blieb immer derselbe Mann.

Jeden Morgen, wenn ich an seinem Haus vorbei zur Schule lief, war er da gewesen, hatte die Hand gehoben und laut durch die Nachbarschaft gegrüßt.
»Guten Morgen, Sonnenkind!«, hatte er gerufen und mir einen Luftkuss durch den Vorgarten zugeworfen, den ich lächelnd aufgefangen und an mein Herz gehalten hatte.
Grandpa und ich, das war etwas ganz für sich allein gewesen.
Er hasste Gesellschaft und Menschen die diskutierten und redeten und letztendlich doch zu keiner Lösung kamen.
Deswegen hatte er oft Streit mit seinen Nachbarn. Sie redeten ihm zu viel und störten ihn bei seinem Genuss im Schaukelstuhl zu sitzen.

TEARSWhere stories live. Discover now