22« Davis

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»Alter, ist alles in Ordnung?«
Daniel rammte mir seinen Arm in die Seite und lehnte sich seitlich hinüber, um mir ins Gesicht sehen zu können. Seine Augen waren ausdruckslos, doch er hatte voller Missverständnis eine Augenbraue gehoben. Ich schüttelte den Kopf. Mir ging es bestens. Was sollte schon sein?

»Ja. Alles gut. Es ist nichts.«
»So siehst du auch aus.« Er zog sich genervt zurück auf seine Seite des Tisches und sah aus den Fenstern hinaus auf Seattle. Ich starrte wieder Löcher in den Tisch und ignorierte ihn.

Tears war mit Jane zusammen zu den Toiletten gegangen und nachdem wir als Erstes die wahnsinnig schöne Aussicht des Space Needles genossen hatten und ehrfürchtig über unsere Heimat geblickt, die Lichter zu zählen versucht und unsere Wohnungen in der Höhe ausfindig gemacht hatten, saßen wir nun beim Nachtisch an einem Fenstertisch innerhalb der Kuppel.
Ich hatte schon einige Male hier gegessen, es war in Ordnung, doch für die anderen war es etwas Besonderes und ich wollte niemanden die Stimmung verderben, obwohl meine eigene unter der Erde lag.

Dabei nieselte es. Das Wetter schlug um und ich wusste, dass es die ganze Nacht regnen würde. Das Wetter änderte jedoch nicht, wie schlecht mir innerlich war.
Die Gedanken, dass Tears mich hier aus voller Sucht nach Luxus versuchte auszunutzen und sich nur deshalb so hinfällig gab, setzten mir zu.

Hatte ich etwa, wie Gray damals, eine rosafarbene Brille auf der Nase und sah nicht, wie schlecht sie eigentlich war?
War sie so verhasst und süchtig, dass sie mich auf verführenden Wegen zur Rache bringen wollte?
Stand ich dieser Frau wirklich so naiv und dumm gegenüber?
Was kümmerte sie mich überhaupt?
Was hatte ich mir denn von ihr erhofft? Dass sie anders war?
Hatte ich das geglaubt?
Wieso wirkte sie auf mich? Wieso kümmerte mich, was sie tat und empfand?

Die vielen Fragen prasselten von einer Sekunde auf die andere auf mich ein. Der Abend hatte so schön angefangen, aber jetzt packte mich der Zweifel.
Ich versuchte kläglich Tears abzuwerten, aber es wollte mir nicht gelingen.
Es kam mit meinem Unterbewusstsein, dass ich sie musterte und beobachtete, ihre Mimik speicherte und hellhörig wurde, wenn sie sprach. Mir gefiel eben, wenn sie da war, daran konnte auch meine blinde Einsicht nichts ändern.

Dafür war es zu spät.
Aber wofür genau war es zu spät?
Ich war nicht dabei mich in Tears zu verlieben. Nie im Leben.
Womöglich aber war sie mir wichtiger geworden, als es üblicherweise war. Vielleicht mochte ich sie ganz einfach vor schlechten Menschen schützen, als Ausgleich für den bösen Menschen in mir, vor dem ich sie nicht hatte beschützen können.

Das Komplizierte an meiner Lage war meine eigene Unsicherheit. Ich wusste nicht, wo ich im Leben stand und wo mich dieses Kennenlernen hingeführt hatte. Ich war von heute auf morgen in einer Lage gelandet, die mir vollkommen fremd war. Ich war tatsächlich überfordert mit neuen Erfahrungen und ich drohte zu platzen.
Aus Unsicherheit, aus Belastung, aus Unglauben und Unwillen.

Ich hatte noch nie gespürt, was ich spürte, wenn ich Tears in die Augen sah. Da war diese Grenzenlosigkeit in ihren Augen, die mir den Himmel zu Erden brachte. Ich mochte das Glitzern und Funkeln ihrer blauen Augen, die gar nicht wussten, wie viel sie in mir auslösten, wenn sie mich nur Sekunden musterten.
Es hatte noch nie gekribbelt, wenn ich die Hand eines anderen Menschen halten durfte und zugegeben ich hatte nie die Hand einer Frau gehalten.
Da war nie der Stich in meiner Brust gewesen, der mich mit beinahe krümmenden Schmerzen durchfuhr, wenn sie zu weinen begann oder es ihr schlecht ging.

Ich wusste gar nicht was mich in diesem Moment so unsicher werden ließ. Als ich mich heute Nachmittag umgezogen hatte und ins Auto gestiegen war, hatte ich mich nie besser gefühlt. Vor allem da der gestrige Tag so ein Erfolg gewesen war und sie einen Spaß gehabt hatte, der mir mit ihrem Lachen noch immer in den Gliedern saß.

TEARSWhere stories live. Discover now