Epilog

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Meine Füße baumeln weit über der Erde, ich schaue auf meine dreckigen Schuhe, nehme den Riss an meiner Hose war, ich weiß nach wie vor nicht so ganz genau wo ich da eigentlich hängen geblieben bin. An der Leiter war es auf jeden Fall, die Leiter hinauf zu unserem Baumhaus. Kein Wunder eigentlich, dass sie inzwischen etwas morsch geworden ist, an der ein oder anderen Stelle vielleicht kaputt.

Es ist zwei Jahre her, seit ich zum letzten Mal hier oben saß. Heute vor genau zwei Jahren ist sie von uns gegangen - meine Freundin. Betty. Ich denke praktisch jeden Tag an sie, in keinem Moment negativ, vielmehr positiv, voller Freude, ich liebe es an sie zu denken. Es macht mich nicht mehr traurig, viel lieber lache ich über unsere gemeinsamen Erinnerungen, Erfahrungen. Manchmal muss ich schmunzeln, ein anderes Mal einfach nur träumen und wieder ein anderes Mal werde ich an Dinge erinnert, die ganz konkret mein Leben betreffen und die ich dringend in Angriff nehmen muss.

Ihre Briefe habe ich nie wieder gelesen, an manche Abschnitte kann ich mich dennoch nach wie vor beinahe wortwörtlich erinnern. Sie gehören einer anderen Zeit an. Es hat sich viel verändert seit der Veröffentlichung meiner Poetry Slams. Das zweite Buch wurde vor wenigen Wochen gedruckt. Längst bin ich nicht mehr das unbedeutend, schüchterne Mädchen, das an einem winzigen Fleck in Deutschland wohnt, das niemand kennt und das selbst niemanden kennen will. Ich habe eine eigene Instagram und Facebook Seite. Ich habe so viele Follower, dass man sie längst nicht mehr an einer Hand abzählen kann. Manchmal da lese ich auf Buchmessen, ein anderes Mal in Gemeinden oder auf privaten Events. Nicht dass diese ganzen Zahlen irgendwie von Bedeutung wären, aber Gott hat mir durch dieses neue Leben so unglaublich viel gezeigt. Auch viel Hass und Abwertung und vor allem viel Anerkennung, viel Anerkennung durch ihn, in all dem Bösen dieser Welt. Denn letztendlich hat sich vielleicht mein Umfeld geändert, aber meine Beziehung zu Gott ist das was wirklich zählt und wäre sie die letzten Monate über nicht so viel stärker und intimer geworden, dann hätte ich diese ganze Sache mit dem Schreiben vielleicht längst abgebrochen.

Dem ist nicht so - ich mache es gerne. Genauso gerne nehme ich mir jedoch auch Zeit für mich, heute zum ersten Mal wieder hier oben auf dem Baumhaus. Aus der alten Truhe habe ich mir eine kratzige Decke geholt, sie hält dennoch warm. Ich schaue in die Ferne, fahre mir durch meine inzwischen wieder super langen Haare. Das letzte Mal, als ich hier oben saß, waren sie noch raspelkurz und ich hatte meine Glatze im Sommer stehts mit einem Tuch verdeckt. Vielleicht sollte ich sie wieder einmal abrasieren - meine Haare, als Erinnerung, aber vielleicht ist diese Zeit auch längst vorbei, schließlich hatten meine kurzen Haare ja nichts mit unserer Freundschaft zu tun, genauso wenig wie mein Alltag etwas mit meiner Beziehung zu Gott zu tun hat. Es geht nicht um Äußere Dinge, es geht um mein Herz.

"Above all else, guard your heart,
for everything you do flows from it."
(Proverbs 4:23)

Ich hatte mein Herz die letzten Monate und Wochen immer wieder beschützen müssen. Beschützen vor bösen Worten, beschützen vor ungesunden Momenten, beschützen vor Dingen, die mich einfach weg von Gott bringen und ich bin mir auch absolut im Klaren darüber, dass ich wohl auch in ferner Zukunft weiter auf mein Herz aufpassen muss.

Ich denke gerne und viel nach, manchmal da tauche ich ab in eigene Gedanken, Probleme, meine ganz persönliche Welt. Daran hat sich nichts geändert, aber es ist okay, es gehört zu mir.

Manchmal da weiß ich gar nicht so genau über was ich eigentlich nachdenke, aber ich denke, das definitiv. So wie in diesem Moment und dann werde ich unsanft zurück die Realität befördert.

"Hey Träumerlein!",

es ist vollkommen belanglos, dass wir seit über einem Dreivierteljahr gar keinen Kontakt mehr hatten, seine Stimme erkenne ich sofort.

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