1. Antwort

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Allerliebste Betty, meine beste Freundin - für immer,

frage mich am besten nicht, wie genau ich auf diese, vielleicht völlig hirnlose Idee komme, dir zu antworten, auf deinen Brief, der auch jetzt neben mir liegt und denn ich schon hunderte von Male gelesen habe und inzwischen in und auswendig kann.

Eine Antwort auf einen Brief, dessen Autorin längst unter den Toten ruht. Die Einen mögen mich für verrückt erklären, die Anderen für einfach nur trauernd.

Ich bin beides, in erster Linie trauernd.

Ich kann dir in diesem Moment nicht sagen, wie ich dieses Loch in meinem Herzen jemals wieder schließen soll, wie ich nur annähernd die Kraft dazu aufbringen kann, diesen grausamen Schmerz zu überwinden.

Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht und ich will es auch gar nicht. Ich will nicht darüber hinweg kommen.

Und weißt du warum nicht? Weil ich dich nicht vergessen will, weil ich dich in meinem Herzen tragen will, tagein tagaus, weil ich gemeinsam mit dir leben will, weil ich gar nicht im Stande bin allein zu leben.

Wir haben oft darüber gesprochen. Viel dafür gebetet. Ich wusste von Anfang an, dass du gehen musst - irgendwann.

Ich wusste es und ich habe es akzeptiert und gleichzeitig habe ich mir kein einziges Mal auch nur annähernd ausgemalt was es heißt einen so wundervollen Menschen wie dich zu verlieren. Vielleicht wird es mir auch jetzt erst bewusst. Vielleicht wird mir jetzt erst klar wie sehr ich dich brauche, wie viel du mir bedeutest, wie wichtig du mir bist und vor allem, dass ein kleines Stück meines Herzens nur für dich geschlagen hat und da selbst dieses Stück seine Arbeit eingestellt hat, fällt es mir unglaublich schwer zu leben. Schwer zu atmen, schwer dich auch nur für eine winzige Sekunde gehen zu lassen.

Ja liebste Betty, ja ich bin abgetaucht. Ich bin wieder gefallen, zurück in jenes Schema aus welchem du mich damals heraus geholt hast. Ich habe die Tätigkeit meines Körpers vielleicht nicht herunter gefahren ich habe sie nur auf etwas anderes fixiert.

Mein Inneres!

Es arbeitet auf Hochtouren.

Es arbeitet dauernd, jede einzelne Sekunde, es benötigt keine Ruhe und auch keinen Schlaf, beziehungsweise vielleicht gönne ich ihm das auch einfach nicht. Die Ruhe und den Schlaf.

Meine Gedanken sind immer unterwegs. Kreisen um die verschiedensten Themen, meist hat es irgendetwas mit dir zu tun. Doch ich schaffe es nicht mich zu fokussieren und ich schaffe es auch nicht an der Realität teilzunehmen.

Ich weiß, dass es Leute gibt, die langsam beginnen sich um mich zu sorgen, doch ich weiß auch, dass meine Mum noch absolut nichts kapiert hat, weil sie mal wieder viel zu sehr mit ihrem Job und dem eigenen Leben beschäftigt ist und meinen Dad interessiert das ja sowieso einen Scheiß.

Worüber ich mir aber vollkommen im klaren bin ist, dass du die Einzige wärst, die es längst bemerkt hätte. Du würdest dich sorgen, aber das würde nicht ausreichen. Du wärst nicht du, wenn du nicht handeln würdest. Und ich meine so richtig handeln, mit Druck und einem Ziel dahinter.

Du würdest es schaffen mich heraus zu holen. Allein du!

Wir haben uns damals kennen gelernt, kurz nach der Trennung meiner Eltern. Kurz nachdem mein Vater nach Amerika abgehauen ist, weil meine Mutter ihm nicht das geben konnte was er sich immer ausgemalt hatte, weil er so grausam darauf getrimmt war Träume wahr werden zu lassen und weil er Rückschläge nicht verkraften konnte. Nie, auch heute nicht.

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