Es macht mir Angst, es ist so absolut unrealistisch und gleichzeitig freue ich mich. Ich freue mich so sehr und ich kann nicht anders als zu lächeln, wenn ich daran denke, dass heute wirklich der Tag gekommen ist, dem ich mich schon so lange entgegensehen und der gleichzeitig voller Sorge und Ungewissheit ist.

Wenn Betty nur wüsste.

Wenn meine beste Freundin nur den blassesten Schimmer hätte was für Neuanfänge momentan wirklich vor meiner Türe stehen. 

Wenn sie nur die geringste Ahnung hätte was heute für ein Tag ist.

Ihr Todestag und der Tag der Veröffentlichung meines Buches.

Tiefe Trauer, absolute Freude und schreckliche Ungewissheit gleichzeitig.

Ein ganz schön großes emotionales Chaos auf jeden Fall.

Wenn sie nur annähernd wissen würde wie es mir in diesem Moment geht.

Vielleicht weiß sie es ja.

Vielleicht weiß sie wie durcheinander und zerrissen ich bin. Wie meine Gefühle innerhalb weniger Millisekunden wechseln. Wie dieser Tag ein einziges Auf und Ab ist. Wie anstrengen es ist und wie ich schon zu dieser Tageszeit absolut müde und geschafft bin, verwirrt sowieso.

Ich schaue auf meine Armbanduhr. Stelle erschreckend fest wie lange dieser Tag noch sein wird.

Es ist gerade einmal 8.00 Uhr morgens und ich habe heute schon so viel geweint, dass ich eigentlich komplett ausgetrocknet sein müsste. Zum Mittagessen bin ich mit meiner Oma verabredet, heute Abend ist ein Essen mit Uta, Anayo und Philipp angesetzt, zu Feier der Veröffentlichung.

Allein bei dem Gedanken daran wird mir schlecht. Am liebsten würde ich mich heute in meinem Zimmer vergraben, weinen und schreiben. Genauso wie ich es vor einem Jahr gemacht habe, als  ich von Bettys Tod erfahren habe, genauso wie ich es die ganzen ersten Monate gemacht hatte. Mich verschanzt hinter meinen eigenen Mauern, bloß nicht heraus kommen. Und tja dann trat Philipp in mein Leben und Milena gleich mit. Anayo und Uta ebenfalls und irgendwie hat sich alles so schnell verändert und ich bin dankbar dafür, aber nicht heute, heute will ich nichts damit zu tun haben. Ich weiß nicht ob ich an diesem Tag die Kraft habe mich mit anderen Menschen auseinanderzusetzen.

Aber was muss das muss, vor allem wenn man laut Uta ab jetzt in der Öffentlichkeit stünde (etwas übertrieben meiner Meinung nach), dennoch mag ich das junge Ehepaar total und ich verbringe gerne Zeit mit ihnen.

Trotz alledem wird mir ganz komisch, wenn ich daran denke. Wenn ich daran denke, dass ich mich heute Abend gleichzeitig auch noch mit Philipp auseinandersetzten muss. Ein weiterer Neuanfang oder auch nicht Neuanfang. Eine Beziehung, vielleicht auch nur Freundschaft. Was ist das überhaupt zwischen uns? Die letzten Wochen bin ich ihm größtenteils aus dem Weg gegangen, jedenfalls habe ich es gekonnt vermieden Zeit mit ihm allein zu verbringen. Meist war Milena dabei. Wir waren gemeinsam im Zoo oder Kino oder haben einfach nur ellenlange Spieleabende gemacht. Doch sobald Milena schlafen gehen musste oder wir nach Hause gekommen sind, habe ich mich beeilt schnellst möglichst abzuhauen. Ich verdrängte die Tatsache gekonnt, dass wir wohl irgendwann reden mussten. So richtig versucht hatte aber auch er es noch nicht, jedenfalls nicht ganz so offensichtlich, vielleicht ist das auch schwer ohne Sprache - keine Ahnung.

Ich lese noch einmal Bettys Brief. Ein paar Tränen kann ich mir natürlich selbst nach dem 10. Mal Lesen nicht verdrücken, gut dass ich an diesem frühen Morgen allein hier bin.

Anschließend schlendere ich über den Friedhof, bete ein wenig, kann mich nicht konzentrieren und lege mich schließlich wieder in mein Bett und weine mich in einen unruhigen Schaf, nur so lange bis mich meine Oma weckt, um zu fragen, ob wir gemeinsam kochen wollen. 

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