„Du weißt, ich habe auch eine Menge über eine geschälte Zitronenschale zu sagen, nicht wahr? Eine gut geschälte Zitrone sagt reichlich über das Talent eines Künstlers aus."

„Wieso sollte jemand eine Zitrone schälen?"

„Oh, ausgezeichnete Frage, es hängt mit dem Vanitas Gedanken zusammen, der besonders im Stillleben-"

Luhan drückte seine Hand. „Bitte vergiss, dass ich gefragt habe. Ich bereue es."

Wärme schoss seinen Nacken hinauf. Es war noch nicht lange her, dass sie einander gesagt hatten, was sie füreinander empfanden und sie hatten sich zwar schon geküsst und definitiv ein paar andere Dinge getan, aber es fühlte sich immer noch ein wenig befremdlich an, diese Dinge auch in der Öffentlichkeit zu tun.

Besonders hier, zwischen all den Farben und all den Künstlern, die Kyungsoo so sehr liebte.

„Wieso begeistert dich das alles so sehr?"

„Kunst?", fragte er.

„Ja, ich meine", er deutet auf das Bild vor ihnen. „Du siehst sogar hierin etwas Schönes nicht wahr?" Das Gemälde zeigte einen schimmernden, schwarzen Hintergrund, vor dem ein gelber Schmetterling über einem feinen Silbertablett schwebte. Meeresfrüchte, Hummer und Obst tummelte sich darauf, zu einem viel zu vollgeladen Turm. Kyungsoo schossen vor allem die Trauben eines Traubenstocks in die Augen, die das implizierte Licht reflektierten wie kostbare Smaragde.

„Es ist gut gemalt. Sehr lebensgetreu."

„Das kann eine Fotografie auch."

„Das ist nicht dasselbe."

„Inwiefern?"

„Zum einen ist es schön gemalt, aber, um gegen eine Fotografie anzuhalten, könntest du dir auch den Prozess dahinter vergegenwärtigen. Damit meine ich die reine Tatsache, dass es eben nicht fotografiert wurde und du dennoch versucht bist, ins Bild zu greifen, um einen Apfel von dem Stapel zu nehmen. Kannst du dir vorstellen, wie dieser ganze Turm in sich zusammenbrechen würde, wenn du den Apfel von der Spitze nimmst? Kunst regt deine Phantasie an."

Luhan nickte langsam. „In Ordnung."

„Es gibt so viele Blickwinkel, die du ergründen könntest! Obst ist noch von kürzerer Lebensdauer als wir Menschen. Stell dir vor, der Künstler hätte diese Schale ein paar Tage lang einfach nur stehen gelassen? Das Obst wäre vergammelt und vom Fisch ganz zu schweigen und nun? Das Bild hat einer so grundlegend vergänglichen Sache eine Unendlichkeit geschenkt. Etwas so triviales wie Obst wird so weit aufgewertet, dass es sogar den Künstler selbst an Zeitlichkeit überdauert und wahrscheinlich auch dich und mich. Das kann eine Fotografie auch, aber stell dir vor, wie lange der Malens-Prozess dauerte und wie unglaublich feinfühlig der Künstler arbeiten musste. Ich wette, alles Obst war längst dahin, bevor er fertig mit dem Gemälde war und dennoch: Hier ist es. Fragile Unsterblichkeit."

Luhan sah ihn mit vor Erstaunen geweiteten Augen an.

„Natürlich basiert ein Großteil meiner Wertschätzung für Kunst auf der reinen Tatsache, wie und wie gut etwas dargestellt wurde, aber jedes Gemälde erzählt auch eine Geschichte viel tiefer als das Auge sehen kann. Manche Dinge musst du auf intellektueller Ebene erfahren und andere-", er lächelte, „-mit dem Herzen erfühlen."

„Verdammt." Luhan strich sich über das Gesicht. „Du hast mich geschlagen, Soo. Dagegen kann ich nicht argumentieren."

Kyungsoo war zugegebenermaßen ein wenig stolz darauf. „Na also. Es gibt keine schlechte Kunst, nur solche, die man nicht versteht. Oder nicht richtig versteht." Er dachte kurz nach. „Oder noch nicht versteht. Yixing zum Beispiel malt Bilder, die man erst auf den zweiten Blick versteht, aber dann umso mehr wertschätzt."

Blüten so kalt wie SchneeWhere stories live. Discover now