Abschied

14K 1.4K 193
                                    

Zwei Tage lang.
Zwei lange, grauenvolle Tage hatte ich mich in meinem verwüsteten Zimmer verschanzt.
Immer wieder war Amy mit Essen gekommen und wollte mich in ein Gespräch verwickeln, doch ich konnte es nicht.

Wie sollte ich Amy denn erklären, dass ich an Zaras Sturz verantwortlich war?
Als ich an diesem Morgen inmitten der Verwüstung aufwachte, wusste ich sofort, was heute für ein Tag war.
Und was auf mich zukommen würde.

Mein Magen zog sich zusammen und ich bekam Panik.
Ich kroch unter meine Bettdecke und zog meine Knie an meinen Oberkörper heran.
Ich wollte nicht zu Zaras Beerdigung.
Nein, ich konnte es nicht. Ich würde zusammenbrechen und nicht mehr aufstehen können.
Leise weinte ich vor mich hin und hörte so nicht, wie Amy mein Zimmer betrat und im Türrahmen anfing zu sprechen: „Max, komm, du musst dich noch fertig machen."

Ich zuckte zusammen und krallte dann meine Finger noch mehr in den dünnen Stoff der Decke. „Ich will nicht." Meine Stimme klang durch die Decke gedämpft und ich konnte ein leises Seufzen vernehmen
„Du musst aber. Denk an Zara. Tue es für sie."

Mit einem Ruck zog sie mir die Decke weg und wütend warf ich sie mit dem Kopfkissen ab.

„Was interessiert es Zara denn noch? Sie ist doch nicht mehr da! Warum muss ich zusehen wie sie, wie in einer Sardinenbüchse, in der Erde verscharrt wird?"
Amys Augen waren immer noch gerötet und nun presste sie ihre Lippen zusammen.

Doch ich konnte es nicht ändern. Zara würde ich nie wiedersehen und ich wollte sie so in Erinnerung behalten, wie ich sie kennengelernt hatte und nicht wie sie tot in einem Sarg lag, der nicht im geringsten irgendetwas mit ihrer Lebensfreude gemeinsam hatte.

„Zara wird es noch immer bemerken. Und auch wir werden ihre Anwesenheit spüren. Sie hätte es gewollt, dass wir kommen." Sie ging zu meinem Kleiderschrank und sah sich meine wenigen Kleidungsstücke an, welche meine Zerstörungswut überlebt hatten. „Hmm... Du hast fast nichts mehr übrig gelassen. Versuch es mal damit."
Sie warf mir eine schwarze Hose und ein weißes T-Shirt zu.

Ich wusste nicht, woher mein plötzlicher Sinneswandel kam, doch langsam richtete ich mich auf, starrte auf die Anziehsachen und nickte langsam. Zara hätte wirklich gewollt, dass wir kommen würden. Hoffnungslos seufzte ich auf, nickte Amy zu, stand auf und trottete in das Badezimmer.

„Du kannst dir bestimmt von Dean eine Krawatte leihen. Ich frage ihn eben. In einer Stunde treffen wir uns draußen."
Ich antwortete nicht mehr, sondern schloss hinter mir die Tür, zog den gelben Duschvorhang zurück, den ich noch an meinem ersten Tag belächelt hatte und stellte mich unter das eiskalte Wasser der Dusche, damit ich einen klaren Kopf bekam.
Doch stattdessen machte sich die Angst breit.

Es war ein sonniger Morgen und wir saßen zu viert in der Schrottkiste von Auto. Es erinnerte mich an den Ausflug zum Baumarkt, doch trotz dieser Gemeinsamkeit, war die Fahrt von vielen Unterschieden geprägt.
Weder musste ich auf diese Fahrt um mein Leben fürchten, noch war die vierte Person Zara. Dieses Mal war es Delores, die schweigend fuhr.
Seitdem sie Zara gefunden hatte, hatte ich nicht mehr mit ihr gesprochen, doch man sah ihr an, dass sie vollkommen am Boden zerstört war. Ihr schwarzes Kleid hing ihr viel zu locker und knitterig am Körper herunter, ihre Haare schienen noch gräulicher und ihre Augen waren durch das viele Weinen rot angeschwollen.

Lange Zeit blieb es still, bis Delores von der Hauptstraße fuhr und schließlich auf einen Parkplatz zum Stehen kam.
„Wir sind da", murmelte sie leise und sofort sprang ich aus dem Auto. Ich konnte einfach nicht den Gedanken daran ertragen, dass wir vor ein paar Wochen mit genau diesem Auto zu McDonald's und in das Baugeschäft gefahren waren.

Vor uns breitete sich das große Tor eines Friedhofes aus und sofort bekam ich einen Kloß im Hals. Ich schluckte und folgte mit unsicheren Schritten den anderen, die bereits das Friedhofsgelände betraten. Als mein Blick auf die vielen Grabsteine fiel, schloss ich meine Augen.
Also das würde von Zara bleiben.
Ein nichts aussagender grauer Stein.

Das Mädchen aus GlasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt