Was ist der tiefere Sinn einer Zerstörung?

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Ich wusste nicht, wie lange ich dort auf meinen Knien im Scherbenhaufen saß.
Es könnten nur Sekunden gewesen sein, oder aber auch Tage.
Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren, alles, was ich nur noch spürte, war der unbändige Schmerz in meiner Brust, der sich in jeden einzelnen Winkel meines Körpers nistete.


„Max, oh mein Gott! Was ist passiert?! Du blutest ja!"
Wie durch eine Schicht Watte bekam ich mit, wie Amy auf mich zugelaufen kam. Als sie sich neben mich hinkniete und nach meinen Händen greifen wollte, zuckte ich jedoch nur zusammen und rutschte von ihr weg.

„Max, bitte! Lass sie mich anschauen."
Ich schüttelte nur den Kopf und starrte weiterhin auf die Scherben.
Das Licht brach auf der Glasoberfläche und brachte es somit zum Funkeln.
Wie konnte so etwas Grausames nur so etwas Schönes sein?

„Max...?"
Ich antwortete nicht, konnte nicht hochschauen.
Konnte ihr nicht in die Augen schauen.
Ich wollte nicht ihre verweinten Augen sehen, die Tränenspuren, die zerzausten Haare und all das, was man in ihrer Stimme schon heraushören konnte.
All das, was es mir nur noch deutlicher unter die Augen führte, dass sie nicht mehr da war.

„Dann lass ich... Dann lass ich dich mal besser- allein?" Sie ließ es wie eine Frage klingen, wahrscheinlich in der Hoffnung, dass ich sie zurückhalten würde.
Dies tat ich jedoch nicht.

Und so ging Amy.
Nur durch Zara hatte ich Amy und Dean kennengelernt und mit ihnen Freundschaft geschlossen.

Aber nun war sie tot.
Verschwunden.
Für immer von dieser Welt.
Was passierte mit unserer Freundschaft?
Würde auch sie ihre Magie verlieren, genauso wie es bei dem Stein der Wünsche der Fall gewesen war?
Würde sie zerbrechen wie das Glas?
Würde sie fallen wie Zara?

Ich starrte weiterhin in den Scherbenhaufen und ballte meine verletzten Hände zu Fäusten.
Auf einmal war ich unglaublich wütend auf... auf einfach alles!

Wie konnte mir dieser Stein den einzigen Wunsch verweigern, den ich mir vom ganzen Herzen wünschte?
Warum mussten mich meine Eltern hier her schicken?
Warum musste Amy sich so verhalten, als wären wir befreundet, obwohl unsere Freundschaft mit Zara in den Tod gestürzt war?
Warum musste mein Leben so verdammt unfair zu mir sein?

Aber, verdammt nochmal, ich war unglaublich wütend auf Zara.
„Wie konntest du mir das antun!", schrie ich so laut es ging durch mein Zimmer. „Warum musstest du fallen? Warum musstest du alles mit dir reißen? Denkst du nicht einmal an uns? Du hast mir ein Versprechen gegeben!"

Ich ballte meine Hände immer wieder zu Fäusten. Ich war noch nie ein Schläger gewesen, hatte mich bisher nie geschlagen oder gar jemanden ein Bein gestellt, doch nun ließ mich das Gefühl nicht los und brachte mich an den Rand der Explosion.

Ich musste etwas zerstören... Denn es zerstörte mich und ich hielt den Schmerz nicht mehr aus.
Ich musste es ausgleichen, meinen Schmerz herauslassen.
Ich schmiss die Glasscherben durch die Gegend, doch dies reichte mir längst noch nicht.
Mit wackeligen Beinen richtete ich mich auf, schmiss die Bettdecke und die Kissen vom Bett und riss das Bettlaken von der Matratze.

Es roch alles so intensiv nach Zara.
Überall.
Sie hatte in diesem Bett gelegen und keine Sekunde konnte ich länger diesen Anblick ertragen. Ich schmiss das Laken in eine Ecke, fegte die Lampe von dem Nachtschrank.
Sie zerschellte in tausend Einzelteile, doch meine Wut und meine Zerstörungsdrang waren noch lange nicht befriedigt.

Ich zerrte meine Klamotten aus den Schubladen und schmiss sie in alle Himmelsrichtungen, zerriss die T-Shirts, die ich anhatte, während Zara und ich morgens den Sonnenuntergang betrachtet hatten. Zertrat die Bilderrahmen und schlitzte die Ölbilder, die an der Wand hingen, auf. Selbst vor meiner PlayStation machte ich nicht halt.

Nie wieder könnte ich mit dieser spielen.
Nie wieder.
Nie wieder, nachdem Zara mir so viel Wichtigeres beigebracht hatte.
Zara...
Wutentbrannt schmiss ich mit einem zufriedenen Aufschrei meine PlayStation auf den Boden. Es knackte eklig, doch sie blieb unbeschädigt. Wütend trat ich auf sie ein. Immer und immer wieder.
Und als das Gehäuse immer noch nicht kaputt ging, suchte ich nach einem spitzen Gegenstand.

„Max, bitte- oh mein Gott! Was ist... Was machst du hier! Max, du...!"
Ich bemerkte kaum, wie Amy mein Zimmer betreten hatte und sich geschockt in meinem vollkommen verwüsteten Zimmer umsah.
Ich achtete nicht weiter auf sie. Stattdessen drehte ich mich wie im Wahn um meine eigene Achse, auf der Suche nach etwas, was mir dabei helfen würde, meine PlayStation zu zerstören.

Mein Blick fiel auf den bereits zerstörten Stuhl und sofort griff ich nach dem abgesplitterten Stuhlbein.

„Max?" Amys Stimme klang wie aus weiter Ferne und ohne auf sie zu achten, ging ich wieder auf meine PlayStation los.
Amys laute Stimme drang an mein Ohr, doch ich verstand ihre Worte nicht, sie erreichten mich nur gedämpft, waren vollkommen unbedeutend.
Denn wie sollten sie auch nur in geringster Weise von Bedeutung sein?
Alles was zählte, war das hier.
Immer und immer wieder schlug ich auf meine Spielkonsole ein.

Warum.
Schlag.
Ging.
Schlag.
Dieses.
Schlag.
Verdammte.
Schlag.
Ding.
Schlag.
Nicht.
Schlag.
Kaputt?

Plötzlich zog mich jemand weg. Es war Amy.
Wie konnte sie es wagen!
Ich wollte doch nur...

„Max, Max! Bitte- bitte beruhige dich! Es ist alles okay, ja?"

Ich ließ meinen Blick von dem Stuhlbein in meiner Hand über die PlayStation und schlussendlich zu Amy gleiten. Ihre Augen waren noch immer verquollen, doch sie brachte ein gequältes Lächeln zustande.
Zara wäre stolz auf sie.

Zara.
Alle Erinnerungen überfluteten mich ein weiteres Mal und dann erkannte ich das gesamte Ausmaß meiner Zerstörungswut. So gut wie gar nichts, außer ein paar Kleidungssachen, hatten meinen Ausraster überlebt.
Was würde Zara wohl denken...?

Und nun kam mein Zusammenbruch. Ich brach wortwörtlich in Amys Armen zusammen und zusammen fielen wir auf den Boden.
Dort krümmte ich mich unter seelischen Schmerzen zusammen und wimmerte immer und immer wieder: „Es tut mir leid. Es tut mir so leid."

Amy strich mir durch mein Haar und meinte unter Tränen: „Mir auch. Mir auch. Ich vermisse sie. Ich vermisse sie bereits jetzt schon jede verdammte Sekunde."

Ich bekam einen Zitteranfall und so hielten wir uns weinend in den Armen und ich schloss meine Augen.
Ich wollte nicht die Zerstörung sehen.
Die Zerstörung, die ich angerichtet hatte. Wegen der Wut.
Wut auf Zara.
Ich war so dumm.
Niemals könnte ich, hätte ich auf Zara wütend sein können.
Ich konnte mir ausmalen, was Zara nun zu mir sagen würde: Worin liegt der tiefere Sinn in einer Zerstörung, Max?

Aber ich wusste es doch nicht!
Ich wusste es nicht und Zara war nicht mehr da um es mir erklären zu können.

Das Mädchen aus GlasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt