Kapitel 6

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Songempfehlung: Dance to this - Troye Sican ft. Ariana Grande

Die folgenden Tage zogen nur so an mir vorbei und ehe ich mich versah, stand schon der letzte Schultag vor der Tür. Zwei Tage vor Heiligabend. Überall auf den Straßen Seattles herrschte der alljährliche Weihnachtstrubel. In einigen Wohnblocks lieferten sich die Häuser einen Wettstreit, wer wohl die schönere Weihnachtsdekoration hatte, während man in den Supermärkten das Gefühl bekam, der Teufel hätte seinen Sack ausgeschüttet, da offenbar halb Seattle noch eilig den letzten Einkauf vor den Feiertagen erledigen wollte.

Ich warf mir meinen Mantel über und schlüpfte hastig in meine schwarzen Winterboots, ehe ich mich nach draußen zu meinem Auto und somit auf den Weg zur Schule begab. Wieder einmal war ich viel zu spät dran.

Als ich auf dem Schulgelände ankam, lenkte ich meinen Wagen in eine passende Lücke und blickte durch die Windschutzscheibe. Es hatte begonnen zu schneien. Dicke, weiße Schneekristalle rieselten von dem wolkenverhangenen grauen Himmel herab. Nachdem ich ausgestiegen war, blinzelte ich einige Male, da sich eine Flocke in meinen Wimpern verfing.

»Ho ho ho!«, vernahm ich eine Stimme hinter mir und erkannte Poppy, die mit einem breiten Grinsen und einer roten Weihnachtsmannmütze auf mich zugelaufen kam. Um ein Haar hätte ich sie mit der Mütze und der neuen Haarfarbe gar nicht erkennt. Rosa Löckchen ringelten sich unter der roten Mütze hervor und umschmeichelten den sanften Zügen ihres Gesichtes.

Erstaunt hob ich die Brauen

»Poppy!«, begrüßte ich meine beste Freundin mit einem Lächeln, während ich sie eingehend musterte. »Ist da jemand in den Farbtopf gefallen?«

Poppy zuckte lediglich mit den Schultern.

»Ich brauchte einfach eine Veränderung.«

Ich nickte verstehend. Auch wenn Poppy ihre Haarfarbe wechselte, wie andere Leute ihre Kleidung, so war ich mir doch sicher, dass es dieses Mal ihrer Trennung mit Lukas geschuldet war.

»Lass uns reingehen, es ist schweinekalt!«, schlug Poppy vor, wobei man beinahe schon ihre Zähne klappern hören konnte. Ich gab einen zustimmenden Laut von mir und gemeinsam machten wir uns auf den Weg ins Schulinnere. Kurz vorm Eingang stießen Timmy und Danny zu uns. Wir begrüßten die beiden und Timmy machte Poppy sogleich ein Kompliment über ihre neue Haarfarbe. Sie errötete und gab nur einen piepsendes Dankeschön von sich. Danny und ich warfen uns vielsagende Blicke zu.

»Hey Leute, was habt ihr an Heiligabend vor? Ich habe gehört, dass Barney das Café am späteren Abend öffnet. Habt ihr Lust, natürlich erst nachdem ihr mit euren Familien etwas gefeiert habt, zusammen noch etwas im Barney's trinken zu gehen?«, fragte Danny mit einem fragenden Blick in die Runde.

Ich kam kurz ins Grübeln. Selbstverständlich hatte ich Lust darauf, meine Freunde an Heiligabend zu sehen. Allerdings galt dieser Tag stets der Familie, zumindest war es bisher bei uns zuhause immer so gewesen. Dieses Jahr war das erste Weihnachtsfest ohne meine Mom. Zudem bezweifelte ich, dass Tante Carolyn und Adam eingeladen waren. Nun ja, Tante Carolyn womöglich schon, aber ich nahm nicht an, dass sie ihren Sohn an Heiligabend alleine lassen wollte. Denn egal was Adam getan hatte, er war immer noch ihr Kind.

Der Gedanke an Tante Carolyn tat mir unglaublich weh. So hatte sie sich ihr Weihnachten sicherlich auch nicht vorgestellt. Doch was passiert war, war passiert. Ich konnte den Tag im Krankenhaus nicht mehr rückgängig machen. Das wollte ich auch überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Ich war unglaublich froh darüber, dass die Wahrheit endlich raus war.

Dennoch tat mir meine Tante leid, sehr sogar. Sie war eine herzensgute Frau, die alles für die Menschen tat, die sie liebte. Und als hätte sie dank ihrem tyrannischen Ehemann all die Jahre nicht schon genug leiden müssen, so hatte sie nun auch noch herausfinden müssen, dass ihr Sohn zu demselben Mistkerl herangewachsen war, wie einst sein Vater gewesen war. Ich hoffte, dass Dad ihr zumindest eine Einladung ausgesprochen hatte, auch wenn es wahrscheinlicher war, dass sie nicht kommen würde.

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