Es wird die Mission nicht beeinträchtigen.

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Erschöpft wischte Guren sich den Schweiß von der Stirn. Nachdem Shinya gegangen war, hatte auch Kureto die Szene verlassen und somit musste er sich um das neue Team kümmern. Ihm ist zudem mal wieder klar geworden, warum er Kinder so nervig fand. Aufgedreht wie sonst was, naiv, unnötig emotional und dumm. Kein Wunder, dass ihm sein weißhaariger Freund manchmal so richtig auf die Nerven ging. Er führte sich öfters auf wie ein Kind, als Guren lieb war. Doch so lang er dies tat, hatte der Oberstleutnant zu mindestens die Sicherheit, dass es seinem Freund mehr oder weniger gut ging. Doch dessen Reaktion während des Tests war überhaupt nicht normal für ihn gewesen. Besorgt sah er aus seinen violetten Augen in den wolkenverhangen Himmel. Er sollte schleunigst nach Shinya sehen.
Er brauchte ca. 5 Minuten zu dessen Wohnung. Wenn Guren ehrlich war, war er bis jetzt nie wirklich bei diesem zu Hause gewesen. Es lag für seinen Geschmack zu nahe am Hauptquartier, weshalb sein Freund meistens einfach bei ihm auftauchte. Egal ob Büro oder Wohnung.
Unschlüssig stand er jetzt vor der Tür. Sollte er klingeln, klopfen oder einfach reingehen, falls es nicht abgesperrt war. Letztendlich entschied er sich, alles nacheinander zu versuchen. Als Guren auf die Klingel drückte, hörte er diese bis nach draußen, doch selbst nachdem er Weile gewartete hatte, passierte nichts. Nachdem er nochmal zweimal geklingelt hatte und wieder nichts geschah, änderte er seinen Taktik.
„Shinya? Ich bin's Guren. Bist du da?" Er hämmerte gegen die Tür, doch einen Antwort bekam er nicht.
„Vielleicht ist er ja gar nicht zuhause.", murmelte der Oberstleutnant leise. Einfach nur um sicher zu gehen, drückte er die Klinke herunter. Zu seiner Überraschung war nicht abgeschlossen. Langsam betrat er die Wohnung und ließ die Tür hinter sich wieder ins Schloss fallen. Neugierig sah er sich um. Allein der Gang war kaum eingerichtet, nur ein Spiegel mit weißem Rahmen hing an der Wand. Sein Blick fiel auf die ebenfalls weißen Fliesen und entdeckte Shinyas Stiefel.
„Er ist also daheim. Aber warum hat er dann nicht aufgemacht?"
Er lauschte. Doch kein Geräusch war zu hören.
„Also unter der Dusche steht er vermutlich nicht."
Langsam folgte er dem Gang. Die Wohnung bestand aus sechs Zimmern, die sich jeweils zu dritt auf einer Seite an den Gang reihten. Die ersten zwei Räume schienen Küche und Büro zu sein. Beide Zimmer waren ebenfalls nur spärlich eingerichtet und die Möbel in weiß gehalten. Doch während die Küche sehr unbenutzt aussah, stapelten sich in dem Büro Dokumente um Dokumente. Dennoch war keine Unordnung zu erkennen. Die nächsten zwei gegenüber liegenden Räume waren ein mögliches Gästezimmer, Guren glaubte zu mindestens, dass es nur für Gäste gemacht war, da das Bett nicht bezogen worden war, und das Bad. Vorsichtig öffnete der schwarzhaarige Mann die Badtür einen Spalt und lugte herein. Doch abgesehen von einer weißen Dusche, einer ebenfalls weißen Badewanne und einer Toilette sowie Waschbecken war nichts in dem Raum zu finden.
„Hat Shinya eigentlich überhaupt irgendwelche persönlichen Besitztümer?"
Guren kratzte sich am Kopf. Er selber hatte zwar auch nicht viel, aber diese Wohnung sah richtig verlassen aus....und so weiß...
Er schüttelte den Kopf, als er sich bis zum Ende des Gangs begab. Als er die erste Tür öffnete, stand er in Shinyas Schlafzimmer. Immerhin war neben den normalen Möbeln noch ein gefülltes Bücherregal zu finden. Zu seinem Erstaunen befand sich auch ein Bild auf der Kommode neben dem Bett. Als Guren näher heran ging, erkannte er, dass das Bild ihn und Shinya zeigte, wobei er auf den Foto nicht zu wissen schien, dass er gerade fotografiert wurde.
„Wann zur Hölle hat er das bitte gemacht?", fluchte er und verließ seufzte das Schlafzimmer. Jetzt blieb nur noch ein Raum. Wenn Shinya sich darin nicht befand, dann wusste Guren nicht mehr weiter.
Vorsichtig öffnete er die Tür und stieß einen erleichterten Seufzer aus, da ihm mal nicht nur die Farbe Weiß entgegenschlug. In diesem Raum hielt sich Shinya wohl, abgesehen vom Büro, am meisten auf. Doch in selben Moment bekam Guren ein beunruhigendes Gefühl. Mittlerweile wusste er, dass sein Freund ein sehr ordentlicher Mensch war. So seltsam war es, dass überall am Boden Bücher verteilt herumlagen, als wären sie achtlos durch die Gegend gepfeffert worden. Langsam trat er ein. Anders als die anderen Räume, war dieser nicht viereckig, sondern man musste erst einen schmaleren Bereich durchqueren, bevor man in den größeren kam. Beiläufig hob Guren noch Shinyas Jacke auf, die ebenfalls nur achtlos auf den Boden geworfen worden war. Als er um die Ecken in den großen Bereich schauen konnte, entdeckte er endlich seinen Freund. Dieser schien zu schlafen. Leise näherte er sich der grauen Couch und betrachtete ihn. Doch dessen Anblick vertiefte Gurens Sorgenfalten. Shinya war blasser als sonst, er hatte seine restliche Uniform noch an, welche mittlerweile komplett verknittert war. Sein Atem ging unruhig und auf seine Stirn glänzte vor Schweiß. Vorsicht legte der schwarzhaarige seine Hand auf dessen Schulter.
„Shinya", flüsterte er und schüttelte seinen Freund leicht.
„Shinya, wach auf."
Doch dieser wachte nicht auf, stattdessen gab er nur ein leises Wimmern von sich.
„Shinya!", rief Guren nun lauter und rüttelte an ihn an der Schulter.
„Shinya, wach endlich auf!"
Plötzlich fuhr dieser hoch und starrte Guren an. Sein Blick ließ den Ichinose erstarren. Die blauen Augen waren so mit Verzweiflung erfüllt, dass dem Anführer der Monddämonen einen Schauer über Rücken lief.
„W-was machst du hier?", fragte sein Freund als er Guren nach einer Weile endlich zu erkennen schien. Seine Stimme war extrem zittrig und sein Gegenüber hatte die Befürchtung, dass diese jeden Moment zerbrechen könnte. Ohne eine Antwort zu geben, umarmte er Shinya.
„Es ist alles gut. Ich bin da. Es war nur ein Traum."
Guren hatte zwar keine Ahnung, was sein bester Freund geträumt hatte, aber das war ihm auch egal.

Shinya war erst von der Umarmung überrascht, so kannte er seinen Freund gar nicht. Doch er war zu erschöpft, um sich darüber große Gedanken zu machen. Er ließ sich in die Umarmung fallen und genoss den gleichmäßig Atem und die wohltuende Körperwärme von Guren.
Als er sich wieder beruhigt hatte und wieder einigermaßen in der Realität angekommen war, löste er sich, wenn auch nur ungern, aus der Umarmung und lehnte sich zurück an die Rückenlehne. Er bemerkte Gurens besorgten Blick und setzte ein beruhigendes Lächeln auf.
„Keine Sorge. Du hast ja selber gesagt, es war nur ein blöder Traum."
Doch sein Freund schien ihm nicht zu glauben. Stattdessen verschränkte er die Arme und sah ihn mit einem durchdringenden Blick an.
„Erst dein seltsames Verhalten bei dem Vorfall von heut Nachmittag und jetzt das? Ich glaube nicht, dass einfach nur ein blöder Traum war."
Shinya seufzte und raufte seine sowieso schon komplett zerzausten Haare. Manchmal hasste er es, wie Guren alles bemerkte, was sein Verhalten betraf. Nun ja, es beruhte auf Gegenseitigkeit. Trotzdem wollte Shinya nicht über etwas reden, was schon so lange in Vergangenheit lag und was bis jetzt auch noch nie ein Problem gewesen war.

Als sein Freund nicht antwortete, fragte Guren nochmal:
„Also? Was ist los?"
Doch Shinya schüttelte nur den Kopf und stand auf.
„Nichts."
Er setzte sein typisches falsches Lächeln auf und lief los zum Bad, um sich dort den Schweiß von dem Gesicht zu waschen. Guren aber ließ nicht locker und folgte stur seinem Freund.
„Das nennst du nichts? Ich hab dich gesehen. Das war viel, abgesehen von nichts."
Doch Shinya schwieg. Er wechselte den Raum und holte sich ein Glas Wasser aus der Küche.
„Shinya. Antworte mir."
Langsam wurden Guren ungeduldig und auch der Generalmajor schien gerade nicht sehr viel Ruhe zu besitzen. Trotzdem sah er den schwarzhaarigen Mann mit dem typischen Grinsen an und sagte:
„Keine Sorge. Es wird die nächste Mission nicht beeinträchtigen."
Fassungslos starrte Guren ihn an. Was ist denn mit Shinya los?!
„Die nächste Mission ist mir scheißegal! Ich mache mir Sorgen um dich!", rief er.

Die Wut in der Stimme seines Freundes war nicht zu überhören. Doch Shinya hatte keine Lust darüber zu reden. Es war nicht wichtig.
„Geh jetzt bitte.", sagte er ruhig und ohne jedes Lächeln.
„Was?", fragte Guren irritiert.
„Ich sagte, geh jetzt bitte!"
Auch seine Stimme wurde jetzt lauter.
Kopfschüttelnd und fassungslos starrte sein Gegenüber ihn an, bevor er auf den Absatz kehrt machte und mit einem lauten:
„Dann regle deinen Scheiß doch allein!",
das Haus verließ.
Müde stützte Shinya sich auf den Tisch und rieb sich über die Stirn. Er musste das so schnell wie möglich in den Griff bekommen, sonst könnte wer weiß was noch passieren.

Gureshin ~ Leben oder ÜberlebenWhere stories live. Discover now