10. Meine Sünden

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Panisch rannte ich zwischen den Schuttbergen und den brennenden Teilen her, die das gesamte Gelände zierten und es so zu einem unübersichtlichen Irrgarten machten. Mein Atem ging stoßweise und egal wie tief oder wie oft ich versuchte, meine Lungen mit Sauerstoff zu füllen, das Brennen in meiner Brust und in meiner Kehle wollte einfach nicht aufhören.

Doch meine Beine machten einfach weiter. Wie von selbst rannten sie über das graue Metall und hinterließen mit jedem weiteren  Schritt einen neuen dumpfen Ton in meinem Ohr.
Getrieben von einer Kraft, die in den letzten Monaten mit jedem Tag gewachden und stetig wichtiger geworden war. Ein Gefühl, das unbewusst jeden Winkel meiner Seele und meines Herzens eingenommen und babei so unscheinbar begonnen hatte.
Es hatte mich gewärmt, wenn ich einsam war, mich geführt, wenn ich nicht mehr weiter wusste und mir immer neue Hoffnung gegeben hatte, wenn ich dachte, es würde alles enden. Gewachsen, bis es größer als alle anderen Gefühle war, hatte ich nicht einmal gemerkt, wie es ein Teil meiner Persönlichkeit geworden war, das ich für selbstverständlich gehalten hatte.

Aber was war es eigentlich?

Und viel wichtiger, wo war es hin?

Ich wusste nicht was es war, geschweige denn woher es kam, aber dass es verschwunden war wusste ich ganz genau.

Und ich wollte es wieder haben.

Also musste ich weiter suchen.
Immer schneller und schneller rannte ich durch die einstigen Flure und Zimmer, die sich nur noch an winzigen Überresten der Grundmauern erahnen lassen konnten. Ich schaute hinter jeden Schutthaufen, unter jedem Stein und ließ meinen Blick immer wieder durch den öden, grauen Himmel schweifen, um jede noch so kleine Regung eines lebendigen Wesens wahrzunehmen.

Aber warum?

Plötzlich blieb ich stehen, ohne dass mein Kopf den Befehl dazu gegeben hatte und beinahe wäre ich vorne übergefallen, hätten meine Beine sich nicht wie angewurzelt im Boden verrammt.
Erschrocken sah ich nun tief hinunter, in ein riesiges, Meter tiefes und irgendwie seltsam perfektes Loch. Es sah aus, als hätte man die Form einer riesigen halben Kugel um Boden eingelassen, die keine kleinen Löcher oder Ungleichheiten zuließ. Im Vergleich zu den auseinander gerissenen Wänden, den Trümmerhaufen und den fast schwarzen Ascheflocken, die wie toter Schnee vom Himmel fielen, wirkte es so seltsam und unwirklich, im gleichen Moment jedoch so bekannt, dass ich mich zum ersten Mal fragte, wo ich eigentlich war.

Ein winziges, fast schon unwichtig kleines Geräusch schob meine Gedanken beiseite, jagte eine Welle Adrenalin durch meinen Körper, bei der sich mir die Nackenhaare aufstellten und ließ mich binnen Sekunden bis zum zerreißen gespannt still stehen. Ohne zu atmen, oder auch nur ein winzigen Ton von mir zu geben, stand ich da. Hochkonzentriert achtete ich auf den Klang, der in unregelmäßigen Abständen folgte und ich hätte schwören können, dass ich in diesem Augenblick sogar den Aufprall der Asche auf dem Boden gehört hatte.

Das Geräusch wurde lauter und kam jetzt immer häufiger. Dennoch hatte ich keine Ahnung, was es sein könnte. Das Einzige, was ich wusste, oder besser gesagt tief in mir spürte, war, dass es das war, was ich suchte.

Wie vom Blitz getroffen, drehte ich mich um und rannte erneut durch die fast unerkennbaren Ruinen von...

Ja was war das hier überhaupt?

Auch wenn ich keinen Plan hatte, wo ich war, war es so, als würde eine Macht mich zu sich rufen.
War es diese innerliche Kraft, die ich glaubte verloren zu haben?

Geschickt wich ich um einzelne größere Metallteile herum, sprang über Trümmerteile und lief weiter zwischen den Grundmauern her, die höchstwahrscheinlich einen Flur darstellen sollten.
Immer lauter und deutlicher hörte ich dieses Geräusch und mein innerer Kompass zog mich noch stärker in die Richtung, aus der es kam.

So wie ich bin.Where stories live. Discover now