Kapitel V

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Der Pfiff ertönte. Keuchend hielt ich an und stütze mich auf die Knie. Mein Herz pochte in meiner Brust. Ich habs geschafft! Sie hatten gesagt, normalerweise gäbe es keine Aufnahmebedingungen, aber sie brauchten einen starken Ersatz. Ich solle nur das Training überstehen. Und jetzt war es vorbei.
Die Anderen kamen zu mir. Kila klopfte mir auf die Schutzpolster. Ich war umringt von grimmigen Grimassen hinter den Schutzgittern der Helme. Carmen hatte ihre Arme vor der Brust verschränkt. Juli neben ihr machte einen Schritt zur Seite, um ein Mädchen mit Gehhilfen durchzulassen. Sie hatte ihre blonden Haare zu einem strengen Pferdeschwanz zusammengebunden. Jessica. Schlagartig richtete ich mich auf. Die Gehhilfen waren der Grund, warum ich überhaupt eine Chance gehabt hatte ins Team zu kommen. Sie hatte sich beim Training den Knöchel gebrochen.
"So. Du hast es also geschafft." Ihr eisblauen Augen fixierten meine. Ich hob mein Kinn trotzig nach oben.
"Meinen Glückwunsch."
Wir starrten uns weiter an. Mein Herz pochte immer stärker und ich bekam Angst, dass sie es hören konnte. Nach einer gefühlten Ewigkeit ließ sie von mir ab und humpelte davon. Ich atmete aus. Die anderen Spielerinnen folgten ihr. Nur Kila und Juli blieben.
"Manno man. Die scheint dich ja gar nicht zu mögen.", stellte Kila fest. Juli guckte mir prüfend in die Augen.
"Hast du irgendwas getan?", fragte sie.
Ich schüttelte den Kopf: "Nein, nicht das ich wüsste."
Juli nickte nur. Ihr Blick machte nicht gerade Mut.
"Ist sie denn immer so zu Neuen?", hakte ich nach.
"Freudig begrüßt hat sie noch nie jemanden, aber das hat sich mit der Zeit eigentlich immer gelegt. Das wird schon."
Juli klopfte mir aufmunternd auf die Schulter.
"Na los. Du musst dich noch fertig machen.", sagte Kila.
"Wofür?"
"Das ist Tradition. Zur Feier von jeder neuen Spielerinnen gibt es eine Zimmerparty.", erklärte Juli.
"Echt? Und wo?"
Juli schaute mich an und lächelte mitleidig.
"Bei der Kapitänin."
"Lass mich raten. Jessica ist die Kapitänin.", stellte ich fest.
Sie nickte.
"Das wird super.", grummelte ich.
"Ach, wenn du da negativ ran gehst, wird es auch schlecht. Also geh positiv an die Sache ran.", lächelte mich Kila an.
"Aber sicher.", murmelte ich.

Als ich geduscht und umgezogen wieder ins Zimmer kam, war ich überrascht Carmen darin zu finden. Ja, es war ihr Zimmer, aber sie hätte genauso gut nicht darin wohnen können. Meist schlief sie nicht mal in ihrem Bett.
Doch jetzt lag sie darin und las in einem Buch. Ich schloss die Tür hinter mir. Die Sporttasche landete in der Ecke und ich setzte mich auf mein Bett. Ich schlüpfte aus meinen Schuhen. Carmen sah nicht einen Moment auf. Ich musterte sie. Sie trug ihre schwarze Jeansjacke und ein weißes T-Shirt. Ihr Blick galt ganz ihrem Buch. Auf dem Einband war ein Leuchtturm im Sonnenuntergang zu erkennen. Den Titel konnte ich nicht entziffern, da ihre Hand sie verdeckte. Ich schaute sie wieder an.
"Ist irgendwas?", fragte Carmen.
"Nein.
"Warum starrst du mich dann an?"
Ich fühlte mich ertappt, wollte aber nicht, dass sie es merkte. Ich räusperte mich.
"Ich bin nur überrascht dich hier zu sehen."
"Ist das nicht mein Zimmer?"
"Doch, schon. Du bist nur selten hier."
"Das braucht dich ja aber auch nicht zu interessieren, was ich in meiner Freizeit mache."
"Wow, sry. Bin schon still."
Ich schnappte mir mein Handy und verließ das Zimmer. Die ganze Show musste ich mir nicht weiter antun. Sie verletzte mich nur und das ohne Grund. Ich hatte gedacht, dass es sich seit dem Ausflug geändert hätte, aber es ist nur noch schlimmer geworden. Ich holte die Kopfhörer aus meiner Hosentasche und stöpselte sie in mein Handy. In der Bibliothek angekommen, verzog ich mich in eine versteckte Ecke. Ein Glück waren hier nie so viele Menschen, also hatte ich den Raum für mich. Ich setzte mich auf den Boden und lehnte mich gegen ein Bücherregal. Die Musik schnitt mich von meiner Umgebung ab und ich konnte meinen Gefühlen und Gedanken freien Lauf lassen.

Zwei Stunden später stand ich wieder vor meiner Zimmertür. Licht fiel unten durch die Türspalte. Na toll. Jetzt fände ich es besser, wenn sie sich wie sonst verzogen hätte. Ich nahm die Kopfhörer aus den Ohren und drückte die Türklinge runter. Carmen las noch immer. Ich ging zurück zu meinem Bett, steckte die Kopfhörer wieder in die Ohren und drückte auf Play. Gerade wollte ich die Augen schließen, als mich jemand anstupste. Carmen stand vor meinem Bett. Genervt aber auch überrascht nahm ich einen Hörer raus.
"Was?", fragte ich gereizt. Sie wich fast schon erschrocken einen Schritt zurück.
"Ich wollte dich nur an die Party erinnern."
"Und? Ich geh nicht hin." Ich drehte mich von ihr weg.
"Du solltest aber hin."
Ihre Schritte verrieten mir, dass sie wieder zu ihrem Bett gegangen war. Ich stöhnte und stützte mich auf die Ellenbogen.
"Und wieso bist du der Meinung?"
Carmen sah von ihrem Buch auf.
"Wenn du nicht willst, dass die Situation zwischen dir und Jessica schlimmer wird, solltest du gehen."
"Aha. Und seit wann interessierst du dich für Dinge, mit denen ich zu tun hab?"
Sie klappte das Buch zu und legte es auf den Nachtschrank. Dann schaute sie mir ausdruckslos in die Augen.
"Das tu ich nicht. Ich hab nur kein Bock auf Unstimmigkeiten in der Mannschaft."
Mit den Worten stand sie auf und ließ mich mit deren Wirkung allein. Getroffen starrte ich auf die Stelle, wo sie eben noch gesessen hatte. Es fühlte sich an, als hätte sie mich ins Gesicht geschlagen.
"Also was ist jetzt?", fragte sie und stand mit der Hand auf der Türklinge aufbruchbereit da. Mein Blick wanderte zu ihr. Sie hatte eine Augenbraue hochgezogen, alles andere jedoch zeugte von keinerlei Emotionen in ihr. Wortlos schmiss ich meine Kopfhörer auf die Bettdecke und stand auf. Ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich ihre Worte verletzt hatten. Carmen ging voran. Ich starrte auf ihren Hinterkopf, während wir auf dem Weg zu Jessicas Zimmer waren. Jetzt wusste ich wenigstens woran ich bei ihr war. Ich konnte jetzt alle Gedanken begraben. Ich hatte die Antwort. Vielleicht konnte ich die Direktorin um ein neues Zimmer bitten.
Carmen blieb stehen und klopfte an eine Tür. Hinter ihr konnte man Stimmen und Musik hören. Die Tür wurde geöffnet und Jessica stand dahinter. Als sie mich sah, lächelte sie zuckersüß und falsch: "Hallo Sam. Schön das du da bist. Kommt rein." Damit hüpfte sie zur Seite und machte den Weg in ihr Zimmer frei. Carmen trat ein und ich folgte ihr. Das Zimmer war fast doppelt so groß wie meins und es stand nur ein Bett darin. Es hatten sich sechs Mädchen darauf niedergelassen. Der Rest saß auf Kissen, die am Boden lagen. Jede hatte einen Becher in der Hand. Als Kila auf einem der Kissen vor lachen nach hinten fiel, entdeckte sie uns und winkte uns zu. Juli zog sie wieder hoch und begrüßte uns ebenfalls. Carmen nahm auf einem Kissen neben Juli platz. Ich auf dem neben Kila. Wenigstens musste ich mich erstmal nicht mit Carmen beschäftigen. Jessica setzte sich auf einen Stuhl neben Carmen. Kila reichte mir einen Becher mit klarer Flüssigkeit und der Geruch von Alkohol brannte sich in meine Nase. Ich schaute wieder zu Jessica. Sie hatte sich nach unten gebeugt und unterhielt sich mit Carmen. Genervt wandte ich meinen Blick ab und fing an mich mit Kila zu unterhalten. Während unserem Gespräch bekam ich mit, wie Jessica und Carmen immer wieder zu mir rüber schauten. Langsam wurde ich wütend. Ich wollte hier raus. Wenn Carmen entschieden hatte, dass sie mich nicht mag, fein, aber dann musste sie nicht noch mit Jessica über mich lästern. Dann noch so auffällig.
"Hey, Sam. Alles okay?", fragte Kila. Verwirrt schaute ich sie an. Sie deutete nach unten. Als ich ihrer Geste folgte, sah ich, dass sie meine Hand um den Becher verkrampft hatte und ihn zerknüllt hatte. "Äh, ja alles okay.", murmelte ich. Mein Gesaicht wurde heiß ud ich hoffte, dass es niemand anderes mitbekommen hatte. Ich nahm den Becher in die andere Hand und streckte die Finger aus. Unauffällig schaute ich mich um. Meine Augen trafen direkt auf dunkle braune Augen. Natürlich hatte sie es mitbekommen. Nicht nur Carmen. Auch Jessica starrte mich ohne Scham an. Sie schien mich zu mustern und etwas zu überlegen. Sie lehnte sich wieder zu Carmen, die mich immer noch nicht aus den Augen ließ, und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Carmen nickte. Abrupt brach sie den Augenkontakt mit mir ab. "Schon gruselig, wie die dich die ganze Zeit anstarren.", flüsterte Kila mir zu. Ich nickte und beobachtete die Beiden. Jessica drehte sich um und machte die Musik leiser. Was kommt denn jetzt?
"So meine Lieben.", erhob Jessica ihre Stimme, "Ich habe beschlossen, dass wir jetzt ein Spiel spielen. Wahrheit oder Pflicht."
Die Sechs auf dem Bett ließen zustimmende Laute hören. Mir schwante nichts Gutes.
"Natürlich gibt es auch die Möglichkeit nicht antworten zu wollen oder die Aufgabe nicht zu machen. Wahrheit bedeutet einen Schluck und Pflicht bedeutet exen."
Bei den letzten Worten stoppte sie mit ihrem Blick bei mir. Sie verweilte einen Augenblick bei mir. Danach holte sie eine leere Glasflasche hinter sich hervor und legte sie in die Mitte des Kreises. "Sam, die Party ist für dich, also fängst du an."
Mein Puls schoss in die Höhe. Ich versuchte das Zittern meiner Hand zu unterdrücken, als ich sie nach der Flasche ausstreckte. Meine Haut traf auf das kalte Glas. Ich drehte. Der Flaschenhals kreiste und wartete auf sein erstes Opfer. Er stoppte. Carmen. Aber natürlich. Ich schaute sie an. Sie schaute zurück. Ich schluckte. "Nimmst du Wahrheit oder Pflicht?", fragte ich. Meine Stimme klang belegt.
"Wahrheit."
Na toll, was sollte ich sie jetzt fragen? Mir fiele schon einiges ein, aber wenn die Antwort so ausfällt, wie ich denke, wäre es besser ohne das Publikum. Ich nahm eine unspektakuläre Frage.
"Hast du schonmal was geklaut?"
"Ja."
Carmen nahm die Flasche und drehte. Es dauerte nicht lange, bis ich wieder dran kam. Jessica hatte gedreht.
"Wahrheit oder Pflicht?", fragte sie.
"Wahrheit."
"Hast du schonmal etwas illegales gemacht?"
"Ja."
"Und was?", hakte sie nach.
"Hey, du hast nur eine Frage!", beschwerte sich Kila und schob mir die Flasche rüber.

Mein Herz wollte mir jedes Mal fast aus der Brust springen, wenn die Flasche auf mich zeigte. Ich erwartete, dass irgendetwas fieses passierte, aber es geschah nichts. Es fühlte sich so an, als wenn schon Stunden vergangen wären, als Carmen sagte: "Ich hau mal ab."
Einige ließen traurige 'Auf Wiedersehen' hören. Ich starrte stur auf die Flasche vor mir. Wie gern wollte ich auch gehen. Aber ich würde ihr und Jessica nicht die Genugtuung geben, dass zu zugeben. Doch anstatt sofort aus der Tür zu gehen, stoppte sie bei mir, kniete sich hin und flüsterte: "Du kannst mitkommen wenn du willst." Verwirrt schaute ich sie an. Ihr Blick wanderte ein wenig unsicher im Raum umher. Ein Teil von mir wollte gehen, doch der andere Teil wehrte sich dagegen, ihr zu vertrauen. Schließlich gewann der müde Teil, der schon lange schlafen wollte. Ich stand auf und verließ das Zimmer mit einem 'Gute Nacht'. Den Rückweg über schaute ich nachdenklich auf Carmens Rücken. Im Zimmer angekommen machte ich mich fertig undv setzte mich aufs Bett. Wenig später kam Carmen aus dem Bad und setzte sich mit Handy auf ihr Bett.
"Wieso hast du das gemacht?", fragte ich sie. Meine Augen beobachteten jede ihrer Muskeln im Gesicht.
"Ich hatte keine Lust nachts von dir geweckt zu werden." Damit legte sie sich ins Bett und drehte sich zur Wand.
Ich knipste mein Licht aus und legte mich ebenfalls hin. Es war eine durchaus logische Antwort. Doch vielleicht hatte sie mir auch helfen wollen. Da meldete sich eine Stimme in meinem Kopf und erinnerte mich daran, was sie vor diesem einen netten Moment alles gesagt oder getan hatte. Noch verwirrter als zuvor schlief ich ein, um am nächsten Morgen eine neue Überraschung zu erleben.

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Halihallo, hat leider etwas gedauert, bis ich das Kapitel geschrieben habe.

Ich hab mal eine Frage zu der vorherigen Sportszene: war die gut und soll ich ein paar mehr schreiben oder eher nicht?

Thx

ExpectationsWhere stories live. Discover now