Kühlraum

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eine Minute

„Hallo?", rief ich und trommelte mit beiden Fäusten gegen die Tür. Jedes Ausatmen bildete eine kleine Wolke vor meinem Mund.

„Hilfe! Hört mich Jemand??", Rezo warf sich mit der Schulter gegen die Tür. Nichts passierte.

Wir riefen und klopften bis uns irgendwann klar wurde, dass uns hier drinnen niemand hören würde. Dass wir uns unsere Energie genauso gut sparen konnten...

10 Minuten

„Scheiße!", sagte ich entgeistert.

„Das kannst du laut sagen", sagte Rezo, und blies sich warme Luft in die Faust. Er stieß weißen Dampf mit der Atmeluft aus. Auch mir war inzwischen wirklich sehr kalt. So als wäre die Kälte bereits bis zu meinen Knochen durchgedrungen. Ich zog den Bademantel enger um mich, hielt meinen Oberkörper mit meinen Armen umschlossen.

„Warum wolltest du auch unbedingt hier rein?" warf er mir vor. Ich konnte nicht dazu sagen. Ich wusste selbst wie dumm das gewesen war... Doch das nutzte uns jetzt auch nichts. Irgendwie mussten wir doch hier wieder raus kommen! Wie lange würde es dauern, bis uns hier drinnen Jemand fand?

30 Minuten

Wir hatten aufgehört uns zu unterhalten. Ich wusste, dass mir Rezo Vorwürfe machte, dass ich hier reingelaufen war. Und ich konnte mir selbst auch nicht erklären wie ich so dämlich sein konnte, in einen Kühlraum zu gehen, ohne sicher zu stellen, dass ich da auch wieder raus komme. Ich hatte die Arme vor der Brust verschränkt, und rieb mir mit den Handflächen immer wieder über die Oberarme. Meine Knöchel und Füße fühlten sich taub an. Immerhin steckten diese nur in einfachen Gummibadelatschen.

40 Minuten

„Das kann noch Stunden dauern, bis uns hier Jemand findet", sagte Rezo bibbernd. Ich nickte abwesend. Selbst mein Hals fühlte sich an, als sei er eingefroren. Als könnte er schon von der kleinen Bewegung jederzeit auseinander splittern.

„Es ist sooo scheiße kalt!" presste er hervor.

„Es tut mir Leid", flüsterte ich. „Das ist alles meine Schuld!"

„Ja, allerding! Aber... aber ich hätte dir ja nicht folgen müssen", sagte Rezo mit zusammengebissenen Zähnen. „Sagen wir einfach, es war dumm von uns beiden!" Er klopfte mir auf die Schulter, dann leuchtete etwas in seinen Augen auf.

„Ich hab eine Idee!", sagte er dann. „Aber vermutlich wird sie dir nicht gefallen..."

50 Minuten

Rezos Idee bestand darin, dass wir uns gegenseitig wärmten. Eigentlich so simpel. Wenn man bedachte dass wir nur Bademäntel anhatten, war der Sachverhalt schon schwieriger. Wenn schließlich funktionierte das gegenseitige Wärmen am besten, wenn man möglichst wenig Stoff zwischen den Körpern beließ. Einige Minuten hatten wir uns noch geziert, peinlich berührt herumgedruckst, dann aber die Bademäntel geöffnet, und uns aneinander geschmiegt. Die Vorderseiten der Bademäntel hatten wir um den jeweils anderen gelegt, so dass wir jetzt eine Doppelte Stoffschichte um uns herum hatten, während wir unsere Vorderseiten aneinander wärmten. Brust an Brust, Bauch an Bauch. Es funktionierte, zweifellos. Ich spürte von Sekunde zu Sekunde die Wärme zurückkommen. Wie die Haut an meinem Bauch wieder aufzutauen schien. Ich zog ihn mit meinen Armen noch ein Stückchen näher und seufzte wohlig. Natürlich war es immernoch saukalt. Aber der Unterschied war enorm.

100 Minuten

Ich spürte Rezos Herzschlag, an meiner Brust. Sein Kopf ruhte an meiner Schulter und sein Atem streifte meinen Hals. Ich hielt ihn fest an mich gepresst, mit beiden Armen umschlungen, wie auch er, mit dem Stoff des Bademantels in der Hand, seine Arme um mich gelegt hatte. Hielten uns fest, hielten uns warm, so gut es ging.

„Ich weiß es klingt fies, aber ich bin grad so froh dass du hier bei mir bist", flüsterte ich.

140 Minuten

Ich hatte bisher nicht oft erlebt, wie stechend Kälte sein konnte. Mit aller Kraft presste ich mich gegen Rezo, und er hielt mich ebenfalls fest.

„Keine Angst, wir schaffen es hier raus!" versprach ich ihm, und versuchte mir gleichzeitig selbst Zuversicht einzureden.

Rezo hatte die Augen geschlossen. In seinen Wimpern hingen winzige Eiskristalle. So wunderschön, und gespenstisch zu gleich. Sein Kopf lag immernoch an meiner Schulter und er nickte kaum merklich.

„Bloß nicht einschlafen!" sagte ich.

Meine Ohren spürte ich längst nicht mehr. Meine Füße fühlten sich fast warm an, was mich aber keinesfalls beruhigte, denn ich hatte mal gehört, dass sich Gliedmaßen wieder warm anfühlten, wenn sie dabei waren vor Kälte abzusterben. Tolle Aussichten.

„Rezo... Bleib wach! Du machst mir Angst!"

150 Minuten

Ich hörte ein Geräusch das mir Hoffnung schenkte. Endlich! Ich rüttelte Rezo energisch an der Schulter, und er schreckte hoch. Seine Lippen hatten den gleichen Blauton wie seine Augen.

„Ich glaube da kommt Jemand!"

Als die Tür aufgeschlossen wurde, war es wie ein Traum. Ein Junge, vermutlich ein Auszubildender stand mit geweiteten Augen im Türrahmen.

„Was...", Wie zwei ertrinkende die nach Luft gierten, drängelten wir uns an ihm vorbei nach draußen, und wurden sofort von der warmen Luft umhüllt. Wir stolperten weiter, ignorierten den Jungen, der uns hinterher rief wer wir seien, und was wir dadrin gesucht hatten. Wollte keine Erklärungen abgeben. Nur raus.

Als wir bei den Fahrstühlen angekommen waren, und gerade nach oben fuhren, ließ ich mich auf den Boden sinken. Der Junge war uns zum Glück nicht gefolgt.

Meine Gliedmaßen waren immer noch eiskalt. Das konnte ich sogar selbst spüren.

Wortlos schlurften wir, den Gang entlang und zurück zu meinem Zimmer. Kaum war die Tür hinter uns zugefallen, zog ich Rezo wieder an mich. Vor der Kälte konnte mich nur eins Retten- sein warmer Körper. Seine Haut auf meiner. Ich wusste selbst nicht warum, aber ich hatte immer noch das Gefühl sofort zu erfrieren, wenn ich ihn auch nur für einen Moment losließ. Vielleicht war ja mein Gehirn mit eingefroren.

„Ich lass mal Wasser in die Badewanne. Ich glaube so wärmen wir uns am schnellsten wieder auf!" sagte er unsicher und versuchte sich von mir zu lösen, doch ich dachte nicht dran meine Umklammerung zu lösen.

„Man Toni, komm, wir sehen mal zu, wieder Gefühl in unsere Füße zu bekommen!" lachte Rezo schwächlich. Seine Stimme klang schon weniger zittrig, was mich etwas beruhigte.

„Okay. Aber nur wenn du bei mir bleibst. Ich glaube wir passen auch zu zweit in die Wanne!"

A song of life and survival - RezoniWo Geschichten leben. Entdecke jetzt