Wie im Rausch

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Eigentlich hatte ich geplant heute früh ins Bett zu gehen. Das wurde mir umso bewusster, als ich das schummerige Morgengrau sah, was langsam aber stetig heller wurde und die Nacht Stück für Stück auslöschte.

Hatten wir jetzt seit Stunden hier drinnen gesessen und Aufnahmen gemacht?

Wie viele Stunden waren es jetzt? Sechs? Sieben?

Jedenfalls hatten wir hier gesessen und innerhalb von wenigen Stunden einen kurzen Song geschrieben, ihn eingespielt und gesungen und schließlich nun auch fertig abgemischt. Da es lange nicht so professionell sein musste, hatte es einen ganz anderen Anspruch und ging somit leichter und schneller von der Hand. Das hier war just for fun. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie die Zeit verflossen war. Es musste am Ende nur uns gefallen. Noch für eine mitternächtliche Spontanaktion konnte sich unser Lied wirklich sehen lassen. Nagut der Text bestand nur aus zwei kurzen Strophen und einem Chorus der mehr „Nananana und lalala" war als alles andere, aber wie schon erwähnt: wenn man die Zeit betrachtete... Ach was, auch wenn man sie nicht betrachtete, fand ich den Song großartig.

„Wenn das mit unserer Band doch nicht klappen sollte, starten wir beide, als Duo durch!" sagte ich begeistert, als der Song endlich, fertig abgemischt, aus den Lautsprechern schallte.

„Okay, Deal!", sagte er und schlug bei mir ein. Wir saßen nebeneinander auf dem kleinen Sofa, welches hier im Studio stand. Mir gefielen meine hohen und seine tieferen Töne die so gut miteinander harmonierten. Die Melodie war ruhig und das Lied handelte von Freundschaft und Liebe...es war einfach ein absoluter Catcher.

„Wahnsinn!", sagte ich, als der letzte Ton verklungen war. „Absoluter Wahnsinn! Wir können gerne mal wieder die Nacht zusammen durchmachen!" Rezo grinste und sah ebenfalls zum Fenster, wo man schon die ersten Anzeichen des Morgenrots ausmachen konnte. „Machen wir. Aber vermutlich wird nicht so schnell wieder Zeit dafür sein. Ihr geht bald auf Tour, oder?"

Ich nickte matt. In dem Moment wünschte ich, er würde uns begleiten. Wäre dabei, Teil der Band vielleicht, oder des Teams. Er hatte locker das Zeug dazu, mit uns auf der Bühne zu stehen.

„Fuck. Ich muss in zwei Stunden auf Arbeit sein!" sagte Rezo, als er auf seine Uhr schielte. Ich folgte seinem Blick und nickte, fast reumütig. „Hmm. Das kommt hin. Ich auch!" gähnte ich. Mit einem Schlag wurde ich mir meiner eigenen Müdigkeit bewusst.

„Dann werde ich mal heimgehen... Duschen und dann los zur Arbeit!" sagte ich seufzend, bewegte mich aber kein Stück. Ich war schlicht zu müde, um aufzustehen. Ich ließ meinen Kopf gegen seine Schulter sinken. Um Kraft zu sammeln schloss ich kurz die Augen. Kurz... für zwei Stunden.

Mein Bewusstsein war irgendwo zwischen Traum und Erwachen. Wo war ich hier? Und an wessen Schulter lehnte ich? Ich atmete tief ein, stellte fest dass ich den Geruch mochte, der mir in der Nase lag und döste fast wieder weg. Doch plötzlich kam die Erinnerung zurück. Das Studio. Die Nach, in der ich nicht geschlafen hatte! Ich hätte nicht einschlafen dürfen!!

Als ich hochschreckte und auf die Uhr sah, rüttelte ich den ebenfalls schlafenden Rezo beherzt wach.

„Hey, Rezo! Wir sind weggepennt. Ich müsste genau jetzt auf Arbeit sein, und du sicher auch!"

Als meine Stimme zu ihm durchdrang, fuhr auch er hoch. Wir stürmten beide ins Bad, er gab mir eine Zahnbürste und wir machten uns wenigstens notdürftig frisch. Dann verabschiedete ich mich flüchtig, und rannte los zur Arbeit. Ich würde safe mindestens eine Stunde zu spät kommen. Und dann auch noch in den Klamotten von gestern erscheinen. Aber was solls. Es gab Tage, da musste man einfach tun, was man tun musste. Was wäre das Leben ohne Verrücktheiten?

Solange das Adrenalin durch meine Adern gespült wurde, war ich einigermaßen wach. Und während der Arbeit hielt ich mich mit regelmäßigen Kaffeepausen bei Laune. Doch spätestens am Abend, bei unserer Bandprobe machte mir die Müdigkeit echt zu schaffen. Ich hatte einfach keine Kraft mehr. Die anderen waren sauer, dass ich mir sinnlos die Nacht um die Ohren geschlagen hatte, anstatt zu schlafen, weil ich nun nicht mehr richtig in der Lage war zu Proben. Und vermutlich hatten sie Recht. Ich hätte nicht anders reagiert, wenn einer von ihnen so Übernächtigt zur Probe erschienen wäre. Schließlich wollten wir ja etwas erreichen! Aber dennoch. Der Spaß im Leben durfte doch auch nicht zu kurz kommen, oder?

Oder durfte ich nichts anderes mehr in meiner Freizeit tun, als mich um die Band zu kümmern? Hatte ich diese Entscheidung vielleicht doch zu leichtfertig getroffen?

Ich war viel zu müde, um mir darüber meinen Kopf zu zerbrechen. Der Einzige, der mich verstand, war Nia. Nach der vorzeitig beendeten Probe ging ich mit zu ihm. Wir schliefen, wie so oft, neben einander in seinem Bett. Für uns war das nie komisch. Und bevor ich endlich in meinen wohlverdienten Schlaf fiel, erzählte ich ihm mit matter Stimme vom gestrigen Abend und von dem Rausch in dem wir uns befunden hatten. Wir hatten einfach nicht aufhören können, bis der Song fertig gewesen war. Wir hatten uns gegenseitig hochgepusht und motiviert.

„Das klingt nach viel Spaß", sagte Nia.

„Bereust wohl, dass du nicht mitgekommen bist?", fragte ich.

„Ne, dann hätte ich ja heute auch so halbtot rumgehangen wie du!", lachte er. Ich zuckte mit den Schultern.

„Ich kann den Typen wirklich gut leiden", sagte ich noch, bevor mir schließlich die Augen zufielen.

A song of life and survival - RezoniWhere stories live. Discover now