Tonstudio

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Es war bereits einige Wochen her, dass ich der Band die Zusammenarbeit mit der Agentur verkündet hatte. Unser neuer Agent hatte sich inzwischen mit uns in Verbindung gesetzt. Es war so komisch plötzlich Sätze zu formulieren wie „Das muss ich zuerst mit meinem Agenten besprechen" aber so lief es jetzt. Das war echt crazy.

Unser Agent war eigentlich ganz entspannt. Der Typ war Mitte Vierzig, auch wenn er nicht so aussah. Er war dieser Typ Mensch der, wenn es darauf ankam immer bestens gekleidet war, aber normalerweise einfach nur mit Hoddie und Jens rum lief. Seine Haare waren kurz geschoren und hinter seinen Brillengläsern hatte er jungenhafte, hellblaustrahlende Augen. Außerdem zierten duzende von Festivalarmbändern seine Handgelenke. Rein menschlich war er so ziemlich das Beste was uns passieren konnte. Freundlich, fast kumpelhaft, aber dennoch mit dem nötigen Sachverstand und den Kompetenzen die man von einem Agenten erwartete. Thomas war einfach schwer in Ordnung.

An diesem Tag begleitete er uns zu unseren ersten Studioaufnahmen. Zumindest zu Beginn wollte er dabei sein, um sicherzustellen, dass wir mit dem Produzenten und Besitzer des Tonstudios gut zu Recht kamen. Zu diesem Anlass trug er eine schwarze Stoffhose und ein Hemd. Ganz der Agent eben.

Für uns war es heute Morgen ein wenig stressig zugegangen. Wir hatten mit einem Transporter die Instrumente aus dem Proberaum geholt und dabei zweimal umkehren müssen, weil wir irgendwas vergessen hatten. Außerdem war Tracy auch noch ziemlich erkältet, und hatte nun Angst, dass sie auf jeden Take husten würde. Ihr Anspannung schlug sich auf uns alle nieder, und so spürte ich stetig mein Stresslevel steigen.

Demnach kamen wir also leicht verschwitzt und einige Minuten zu spät beim Tonstudio an. Als der Produzent uns begrüßte viel mir als allererstes auf, dass der Typ so ziemlich die gleiche Haarfarbe hatte, wie ich. Das war ungewöhnlich, denn schließlich gab es nicht viele Verrückte, die sich ihre Haare als erwachsener Mann blau färbten.

Als ich ihm die Hand zur Begrüßung reichte, bemerkte ich, wie auch er meine Haare musterte und dann leicht in sich hinein schmunzelte.

„Hey, ich bin Rezo!", sagte er. Rezo... komischer Name. Aber ich fragte nicht weiter nach.

„Toni.", stellte ich mich vor.

Erst jetzt, wo ich wusste, wie es war, in einem Tonstudio zu stehen, wurde mir wirklich klar, was das für ein enormer Aufwand war. Wir waren bereits seit über sechs Stunden hier, und hatten gerade erst einen Song eingespielt. Und selbst damit waren wir noch nicht fertig. Ein paar Änderungen hier, eine andere Betonung dort. Wir waren noch dabei an den Feinheiten zu feilen. Ganz zu schweigen von der Nachbearbeitung, die noch folgte würde. Aber das konnte Rezo dann zum größten Teil allein machen, nachdem wir unsere Vorstellungen miteinander abgesprochen hatten, natürlich.

Als wir nach weiteren drei Stunden die Feinheiten geklärt hatten, und alle Absprachen getroffen hatten, machten wir endlich Feierabend für heute. Ich freute mich schon auf mein Bett und eine schnelle Mahlzeit zuhause, da schnappte ich auf, dass die Anderen den Abend gerne beim gemeinsamen Essen ausklingen lassen wollten. Ehrlichgesagt war ich ziemlich fertig, doch den Spaß wollte ich niemandem verderben, also stimmte ich zu, mit der Band und Rezo gemeinsam zum nahegelegenen Inder zu gehen.

„Deine Stimme ist wirklich gut. Hattest du mal Gesangsunterricht?" fragte Rezo, nachdem wir die Bestellung aufgegeben hatten.

Die anderen Unterhielten sich gedämpft über den Song den wir heute aufgenommen hatten, sie waren ganz begeistert von dem Sound und der Qualität der Aufnahmen. So etwas waren wir nicht gewohnt.

„Nein, tatsächlich nie", lachte ich „Ich hab nur immer schon gerne gesungen."

„Ja, das kenne ich. Aber das hört sich wirklich gut an bei dir. Vielleicht solltest du trotzdem mal über Unterricht nachdenken. Einfach wegen den technischen Aspekten. Du weiß schon, die richtige Atmung und so."

„Ja, ich denk drüber nach. Danke!", sagte ich und nahm mit einem, an den Kellner gewandten, dankenden Nicken, mein Getränk entgegen.

„Wie kam es eigentlich zu der Haarfarbe?", fragte ich neugierig und nippte an meiner Cola. Rezo lachte. Ich begann mich zu fragen wie alt er war. Vermutlich nicht viel älter als wir, wobei ich das bei ihm wirklich schlecht sagen konnte.

„Ich hatte einfach Lust auf ein bisschen Farbe. Und bei dir?" seine blauen Augen sahen in freundlichem Interesse zu mir rüber.

Ich erzählte ihm, wie ich mit Nia spontan vor einem Auftritt beschlossen hatte, uns die Haare zu Färben. Seine wurden damals Pink, meine Blau. Ich hätte selbst nie damit gerechnet, dass ich bei dieser Farbe bleiben würde. Doch irgendwie gefiel mir dieses Extrem.

Als ich schließlich nachhause kam, war ich unfassbar müde. Schon morgen würde ich wieder im Tonstudio stehen. Als ich schließlich im Bett lag und den Tag revuepassieren ließ, kam wieder dieses Gefühl auf, was mich verfolgte, seit es mit der Agentur geklappt hatte. Das Gefühl, dass sich jetzt alles ändern würde. Die große Chance.

Die nächsten Tage verliefen ähnlich wie der vergangene. Wir verbrachten viel Zeit im Tonstudio und als wir schließlich den letzten Track aufgenommen hatten, konnte ich es kaum erwarten die fertige Platte zu hören. Die neuen Songs, die wir gemeinsam mit ein paar unserer bereits bestehenden Werken, bald auf großen Bühnen zum Besten geben würden. Ich hoffte so sehr, dass sie Anklang finden würden.

Rezo versprach dass er sich beeilen, und uns Bescheid geben würde, wenn er mit der Nachbereitung soweit war. Dann würden wir nochmal gemeinsam alles durchhören, bei Bedarf noch Änderungen vornehmen und dann war es so weit. In zehn Wochen hatten wir bereits unseren ersten Auftritt. Bis dahin musste jeder Ton genau sitzen.

Komisch, dass es jetzt schon vorbei war, mit den Studioaufnahmen. Ich hatte Rezo wirklich zu schätzen gelernt in den letzten Wochen. Er machte seine Arbeit wirklich hervorragend und auch menschlich mochte ich ihn inzwischen wirklich sehr. Wir waren irgendwie auf derselben Wellenlänge, lachten über die gleichen Sachen, hatten die gleiche Art von Humor. Irgendwie war es merkwürdig ernüchternd, dass unsere gemeinsame Arbeit jetzt schon ihr Ende fand. Aber spätestens für die Aufnahmen unseres nächsten, richtigen Albums, würden wir uns ja wieder sehen.

Er umarmte Jeden von uns herzlich zum Abschied. Wir waren draußen vor seinem Studio, nachdem wir unsere Instrumente wieder alle verstaut und die Texte zusammen gesammelt hatten. Es war wie ein kleiner Umzug, alles wieder aus dem Studio zu tragen.

„Gib mir doch mal deine Nummer", sagte er zu mir, als er mich losließ. „Dann können wir mal zusammen einen Trinken gehen, wenn du Lust hast!?"

„Klar, gerne doch!" Schnell tippte ich meine Nummer in sein Handy. Vielleicht würden wir uns doch schneller wiedersehen, als ich gedacht hatte.

A song of life and survival - RezoniWhere stories live. Discover now