Im Morgengrauen

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Es war ein angenehmer Herbstmorgen. Feine Sonnenstrahlen kämpften sich durch die grauen Wolken, die den immer heller werdenden Himmel bedeckten und ließen den frischen Tau auf den Grashalmen glitzern. Die Dunkelheit der Nacht zog sich weiter in den Wald zurück und ließ die sich im Wind wiegenden Bäume in einer leuchtenden Farbpracht zurück. Gelbe, orangene und rote Blätter gaben sich der Melodie des knarzenden Holzes hin, verteilten sich über dem gesamten Schlossgelände und ließen es magisch golden schimmern.

Harry Potter stand in einer einfachen Jeans und einem deutlich zu großen, dunkelgrünen Pullover am Eingangsportal von Hogwarts und ließ diesen herbstlichen Anblick auf sich wirken und seine Seele wärmen. In seiner linken, knochigen Hand hielt er einen prallen Apfel, über dessen rote Schale er sanft mit dem Daumen strich. Er hatte schon einige Stunden wach gelegen, bevor er sich dazu entschloss, einen ruhigen Spaziergang zu machen. Die letzten Tage waren sehr anstrengend und verwirrend gewesen, sodass er diesen Augenblick für sich benötigte, um neue Kraft zu tanken.

Ein kühler Windzug blies dem Gryffindor die zerzausten Haare von der Stirn und ließ eine feine, aber dunkelrote Narbe sichtbar werden. Es war ihm ein Rätsel, warum sie sich seit einigen Wochen so deutlich abzeichnete und ihn immer wieder vor Schmerz aufzucken ließ. Doch das war nur eines der unzähligen Rätsel, die den jungen Schüler belasteten und ihm jede ruhige Minute zunichte machten. Er hoffte von ganzem Herzen, dass Professor Lupin sein Wort halten würde und ihn schon bald in die ablaufenden Geschehnisse einweihen würde. Nachdem Harry auf dem Sofa seines Lehrers wach wurde, hatte man ihn wieder mit besänftigenden Ausreden und offensichtlich leeren Versprechungen abgespeist. Denn das war mittlerweile gut zwei Wochen her und er hatte noch immer keine Informationen erhalten.

Er fragte sich, wer außer ihm schon Bescheid wusste. Er hatte deutlich das Gefühl, dass Professor Snape und Professor McGonagall sich anders verhielten als die Schüler es von ihnen gewohnt waren und es würde ihn nicht wundern, wenn sie etwas ausheckten. Die beiden Lehrer begegneten dem Gegenüber zwar stets respektvoll, doch sie schienen sich nie sonderlich gut zu verstehen. Jedoch konnte man seit einigen Tagen immer öfter beobachten, wie sie beim Essen bedeutungsvolle Blicke austauchten und sich in den Korridoren gelegentlich unscheinbare Rollen Pergament zusteckten.

Kopfschüttelnd versuchte Harry die Gedanken tief in seinem Kopf zu verdrängen und schritt zielsicher auf den großen See zu. Dort angekommen stapfte er durch feuchtes Gras auf einen Trampelpfad zu, der durch hochgewachsenes Schilf zu einem einsamen Steg am Rande des Sees führte. Von dem Punkt aus hatte man einen wunderschönen Ausblick auf den See, den Waldrand und auf das gewaltige Schloss Hogwarts, in welchem nach und nach Lichter angezündet wurden und die Fenster im Morgengrauen flackernd leuchten ließen.

Bevor der Gryffindor rausgegangen war, hatte er Cedric Diggory eine Nachricht zukommen lassen, in der stand, dass er gerne nachkommen dürfe, falls er ebenfalls schon wach sei. Harry wusste nicht, ob er etwas Besonderes für seinen neugewonnenen Freund empfand. Momentan genoss er einfach die Nähe und Zuneigung, die ihm zum ersten Mal in seinem Leben vermittelte, dass er einen Wert hatte.

Seufzend ließ er sich auf dem hölzernen Steg nieder, ließ seine dürren Beine über dem Wasser baumeln und biss zögerlich in den roten Apfel. Ihm war bewusst, dass er wieder mehr essen musste. Das hatten auch Professor Lupin sowie Professor Canopus deutlich zum Ausdruck gebracht; Harrys Körper war am Ende seiner Kräfte. Doch es fiel ihm unglaublich schwer, die Menge zu essen, die angebracht für ihn wäre. Das Gefühl von Hunger gab ihm eine Sicherheit, die sonst in seinem Leben kaum zu finden war.

Ein Rascheln im Schilf riss Harry aus seinen Gedanken und er beobachtete, wie Cedric den Steg betrat. Er trug ebenfalls eine einfache Jeans und drüber einen dicken Pullover in den Farben Hufflepuffs. „Guten Morgen, Harry.", grinste er und ließ sich neben diesem nieder.
„Guten Morgen, Cedric", flüsterte der Schwarzhaarige, biss erneut ein Stück von dem Apfel ab und legte seinen Kopf auf die Schulter des Anderen. Für einen Augenblick herrschte Stille und die Beiden genossen den mystischen Anblick der Nebelschwaden, die geheimnisvoll über die Oberfläche des Sees wanderten. Doch plötzlich begab sich eine weitere Person in ihr Blickfeld und Harry richtete sich interessiert auf.

Weit entfernt auf der anderen Seite des Ufers, kaum auszumachen, streifte eine Gestalt durch die aufwachende Natur. Sie lief gebückt und hocke sich gelegentlich hin, um nach etwas auf dem Boden zu greifen. Sie schien etwas zu pflücken. Ihr Körper war in einen purpurnen Umhang gehüllt und ihre gekräuselten Haare standen in alle Richtungen ab.

„Das ist Professor Trelawney.", sagte Cedric verdutzt und fügte hinzu „Es wird gemunkelt, dass sie ihren Turm nur in den seltensten Fällen verlässt und lieber abgeschottet für sich lebt.".

Harry kniff die Augen zusammen und versuchte zu erkennen, was die Professorin dort sammelte. Noch ein-, zweimal bückte sie sich und trabte daraufhin zielsicher zum Schloss zurück. So schnell wie sie gekommen war, war sie auch schon wieder verschwunden.

„Wie ist Professor Trelawney im Unterricht?", fragte der Gryffindor und warf den Rest des Apfels mit einer ausholenden Bewegung in den See. Ein langer Tentakel stürzte aus der schwarzen Tiefe hervor und zog ihn weit mit sich herunter.

„Sie unterrichtet Wahrsagen, das Fach habe ich nie gewählt.", begann Cedric und nahm eine verzweifelte Miene an. „Meine Schwester, Lianne, hatte sie die wenigen Jahre, die sie auf Hogwarts war. Es wurde gesagt, dass Lianne ein wahres Talent gewesen wäre, wenn es um die Betrachtung der Zukunft ging." Seine Lippen kräuselten sich zu einem traurigen Lächeln und er fuhr mit belegter Stimme fort. „Meine Schwester hat von Professor Trelawney geschwärmt und ist selbst in den Pausen öfter zu ihr gegangen. Auch wenn es niemand nachvollziehen konnte; sie hat sich nicht davon abbringen lassen. Doch von einem auf den anderen Tag war sie wie verhext. Sie zog sich zurück, kapselte sich selbst von mir ab. Dann wurde sie krank. Ganz schrecklich krank. Selbst die Heiler im St. Mungo wussten nicht wie sie helfen sollten, sie fanden keine Ursachen. Wir haben dabei zugesehen, wie sie immer schwächer wurde und ein wenig später endgültig die Augen schloss."

Ein lautes, herzzerreißendes Schluchzen ließ die Natur für einen Atemzug innehalten und verstummen.

Harry streichelte sanft über den Rücken seines Freundes.

Für diesen Augenblick gab es keine Worte, die Cedric den Schmerz von der Seele nehmen könnten.


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Und hier bin ich auch schon wieder. Wer hätte das gedacht? :D

Das Schreiben macht mir gerade unglaublich Spaß und geht mir super leicht von der Hand. Mittlerweile habe ich auch die gesamte FF durchgeplant und ich muss euch warnen, es wird noch sehr sehr viel Unerwartetes passieren.  

Wie gefällt Euch das Kapitel? 

Wie immer freue ich mich sehr über Votes und Kommentare!

Ich wünsche Euch einen wunderschönen Rest-Samstag :)

Bis ganz Bald!
Eure Ronja

FighterWhere stories live. Discover now