Kapitel 12

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Sie hatten das Ziel erreicht.
Nach elf Stunden trockener Luft verließen die vier Flüchtlinge den Jet, sie waren in einer Einöde etwas ab vom Schuss gelandet, um kein Aufsehen zu erregen.
Die Sonne stand schon tief am Himmel, als sie los stapften. Über die Hälfte des üppigen Gepäcks mussten sie im Jet lassen, für den Moment trugen sie nur das Wichtigste. Nach einer guten halben Stunde Laufen erreichten sie das Hafenörtchen, in dem laut Sharon ihre Unterkunft stehen sollte.
Der kleine Ort war überraschend schön. Er bestand größtenteils aus aneinandergereihten, weißen Steinhäuschen mit schwarzen Dächern.
Den Mittelpunkt des Dorfes bildete eine Kirche, deren Turm man von überall aus sehen konnte. Unten im Hafen lagen die verschiedensten bunten Yachten und Fischerboote.
Sam und Nat sahen sich gleich etwas in der Gegend um, während Steve eine Ortskarte inspizierte. Wanda entdeckte eine Bank und ruhte sich kurz darauf aus.
Schließlich trommelte Steve die Gruppe wieder zusammen und wies alle an, ihm die etwas ansteigende Straße zur Kirche hoch zu folgen.

Noch ungefähr eine Viertelstunde brauchten sie, dann erreichten sie ein Haus, das so aussah, wie Sharon es beschrieben hatte: ein kleines zweigeschossiges Cottage mit Schornstein.
Es war ziemlich abseits vom Rest des Ortes.
Vom Dorf war nicht mehr viel zu sehen, nur der Kirchturm und ein paar Hausdächer ragten noch hinter den Hügeln hervor.
Ein winziger, schroffer Abhang und ein paar Dünen trennten das kleine Ferienhaus vom Strand, direkt in der Nähe mündete flacher Rasen in eine felsige Hügellandschaft mit Kliffen.
Der Hausschlüssel befand sich, wie versprochen, unter der Fußmatte vor der Tür. Inzwischen war die Sonne fast weg, deshalb musste zum Aufschließen eine Taschenlampe herhalten.
Erschöpft gingen die vier ins Haus und stellten erst einmal ihre Taschen ab. Wie sich beim Anknipsen der Lampen herausstellte, war der erste Raum, den sie betraten, Wohnzimmer und Küche in einem. Das Zimmer hatte seinen ganz eigenen, angenehmen Holzgeruch und viele große Fenster mit Meerblick.
Boden, Wände und Decke waren aus hellen Holzdielen, in der Mitte des Raumes standen sich zwei große, schwarze Ledersofas vor einem Kamin gegenüber und den Fußboden zierte ein flauschiger Teppich.
Zugegebenermaßen, Wanda hatte es sich hier schlimmer vorgestellt. Mit einem Seufzer der Erschöpfung sank sie auf einem der Sofas zusammen und wollte gar nicht mehr aufstehen, aber die anderen waren schon ins Dachgeschoss gegangen, um sich die Schlafzimmer anzusehen, also erhob sie sich nach einer Weile wieder und ging ebenfalls nach oben.
Steve, Sam und Nat hatten schon angefangen, sich einzurichten. Es gab zwei Schlafzimmer mit jeweils einem Doppelbett.
"Hey!" sagte Nat lächelnd, als sie Wanda auf dem Gang stehen sah.
"Ich schätze, du hast mich jetzt an der Backe." Sie deutete auf die freie Hälfte ihres Doppelbetts.
Wanda nickte, sie war nun etwas besser gestimmt und machte Nat mit ein paar Handgesten klar, dass sie kurz ihre Sachen von unten holen ging.
"Und dann hilfst du mir gefälligst mit dem Bettlaken!" rief Nat ihr hinterher, als sie sich auf Weg nach unten machte. Wanda musste grinsen.

Nachdem die beiden mit etwas Mühe das Bett bezogen und den Jungs im Zimmer nebenan eine gute Nacht gewünscht hatten, lagen sie nebeneinander unter der Decke und redeten.
Wanda war zwar eigentlich todmüde, aber Nat litt offenbar unter Schlafproblemen und hatte eine ganze Menge zu erzählen. Außerdem konnte man sich mit ihr wirklich gut unterhalten.
Sie sprachen über Clint und darüber, ob er wohl endlich das Arbeitszimmer seiner Frau fertig saniert hatte. Und über die Frage, wo Bruce steckte; hier redete hauptsächlich Nat.
Irgendwann wurde Vision zum Gesprächsthema.
"Was ihr da habt... das ist unfassbar wertvoll.", sagte Nat.
"Wir?", fragte Wanda verwirrt.
"Du und Vision." Nat sah sie vielsagend an.
Wanda biss sich verlegen auf die Unterlippe.
"Du träumst wohl, Nat.", entgegnete sie defensiv. Ihre Stimme zitterte ein wenig.
"Tu ich das? Sag du es mir.", antwortete Nat lächelnd.
Wanda verdrehte die Augen.
"Ich sehe nur, wie du ihn ansiehst."
Kopfschüttelnd legte Wanda sich auf die Seite. "Vision und ich, wir...", setzte sie erklärend an, knetete dann aber nachdenklich ihre Hände, "ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, was wir sind."
Nat betrachtete sie einfühlsam.
"Aber er fehlt mir.", sagte Wanda mit einem steinernen Blick an die Zimmerdecke.
"Und du ihm.", murmelte Nat und nahm Wandas Hand in ihre. Diese drehte den Kopf und sah Nat fragend an.
"Denkst du?"
"Das weiß ich."
Etwas später waren beide eingeschlafen. Und Natasha hielt die ganze Nacht Wandas Hand.

Westering Home - Wanda's Vision Where stories live. Discover now