Kapitel 1o

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Wanda erwachte durch die Stimmen der anderen auf dem Gang, gefolgt von Koffern und anderen Gepäckstücken, die laut durch das ganze Haus transportiert wurden.
Sie rieb sich die Augen und stöhnte. Richtig, heute war der Abreisetag. Es ging nach Bowmore und das vermutlich für einige Jahre.
Mürrisch gähnend setzte sie sich hin und wollte gerade aufstehen, um sich anzuziehen, als ihr etwas ins Auge stach, das eigentlich nicht auf ihren Nachttisch gehörte.
Es war kein großer Kuchen, aber er war mit der Zimtglasur, die sie so liebte, überzogen, und mit 21 weißen Kerzen versehen. Wandas Lächeln wurde schnell zu einem begeisterten Strahlen. "Vis.", murmelte sie. Ihr stiegen Freudentränen in die Augen.
Ihr erster Geburtstagskuchen seit 11 Jahren!
Und Vis hatte sich wirklich selbst übertroffen.
Sie nahm das Kuchentablett zu sich aufs Bett und zündete eine Kerze nach der anderen mit Hilfe ihrer Fähigkeiten an. Dann schloss sie die Augen und pustete sie aus. Alle mit einem Atemzug.

Beim Frühstück an der langen Tafel im Speisesaal herrschte ungemütliche Stille.
Für gewöhnlich redeten zumindest Natasha oder Steve über irgendwelche Kampftaktiken, aber an diesem Morgen aßen alle nur schweigend vor sich hin.
Mit einen Koffer in der einen Hand und einer vollgestopften Büchertasche über dem Arm bahnte Wanda sich später den Weg durch die mit Gepäck vollgestellten Gänge.
Manchmal musste sie sogar einige Taschen beiseite schieben, um überhaupt durch zu kommen.
Es bereitete ihr Unbehagen, dass die anderen für mindestens zwanzig Leute gepackt hatten.
Hin und wieder kam jemand mit Gepäck an ihr vorbei gehuscht, deshalb fiel ihr zuerst nicht auf, dass Vision ihr mit ein paar Kisten auf dem Arm entgegen kam.
Schließlich bemerkte sie ihn dann wegen seiner markanten Hautfarbe.
"Hey!", sagte sie erfreut, als sie ihn sah.
"Hey.", gab er mit einem Lächeln zurück und war so schnell an ihr vorbeigegangen, wie er aufgetaucht war.
Perplex sah Wanda ihm nach, als er sich entfernte. Peggy Carter hätte sich jetzt für den Kuchen bedankt. Aber auch Peggy Carter hätte keine Zeit gehabt, mit ihm zu reden, so schnell wie er verschwunden war.
Und außerdem war sie nunmal leider nicht Peggy Carter.

Etwas später war fast das ganze Zwanzig-Personen-Gepäck erstaunlicherweise problemlos im Quinjet verstaut worden.
Steve war damit beschäftigt, das Navigationsgerät zu programmieren.
"Bis nach Bowmore sind es Elf Flugstunden.", stellte er fest, was die allgemeine Vorfreude auf die Reise zusätzlich steigerte.
Wanda saß ganz unten auf der Rampe des Jets und sah Sam beim Einladen der letzten Taschen zu, das Gesicht in die Hände gestützt.
„Hallo." Ihr wurde warm ums Herz, als sie diese vertraute Stimme vernahm.
„Hey.", sagte sie und sah lächelnd zu Vision auf.
„Verzeih mir, dass ich erst jetzt dazu komme..."
Die letzten Worte klangen etwas gestammelt.
Das hatte Wanda noch nie zuvor bei ihm erlebt. Wo war der Vision, der sich immer makellos auszudrücken wusste?
Er setzte von Neuem an. "Darf ich..."
"Ja.", antwortete Wanda. Vis setzte sich zu ihr auf die Rampe.
"Erinnerst du dich an den Abend, als du zum ersten Mal nach mir gesehen hast?", fragte sie ihn nach einem kurzen Schweigen.
Vis nickte wieder. Wie könnte er diesen Abend vergessen?

Er hatte Wanda fragen wollen, ob sie mit den anderen zu Abend essen wollte. Sie hatte seit Tagen nichts zu sich genommen und ihr Zimmer nicht verlassen.
Langsam machte das ganze Team sich ernsthaft Sorgen um sie.
Wanda hatte nicht bemerkt, dass Vision in ihr Zimmer gekommen war. Sie hatte auf ihrem Bett gelegen und furchtbar geweint, mit den Händen über ihrem Kopf am Bettgestell, als ob sie Halt suchte.
Der Schmerz durch Pietros Tod schien für sie zur regelrechten Folter zu werden.
Es war schrecklich gewesen, sie so zu sehen, denn Vision wusste, es war seine Schuld, dass sie litt. Aber er hatte sie nicht sterben lassen können.
Als Wanda sich etwas beruhigt und einen starren, traurigen Blick auf die Zimmerdecke geworfen hatte, hatte Vision sich ein Herz gefasst.
"Ms. Maximoff?", hatte er leise gesagt. Erschöpft hatte Wanda sich aufgesetzt und ihn angesehen mit diesem befremdlichen, roten Funkeln in den Augen.
"Das Team fragt, ob Sie mit zu Abend essen möchten. Es sind alle unten."
"Verschwinde.", hatte sie heiser und tränenerstickt gesagt. "Ich kann dich nicht ansehen."

Die Bedrücktheit stand Vision ins Gesicht geschrieben, als sich dieser Moment vor seinem inneren Auge wiederholte.
"Du hast gelitten.", sagte er.
"Das habe ich.", stimmte Wanda zu. "Aber ich war nicht gerecht zu dir."
Er sah sie verständnisvoll an. "Es ist so viel Zeit vergangen - weshalb erwähnst du das jetzt?"
Sie zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht, ich schätze, ich bin dankbar für all das, was sich seitdem geändert hat."
Plötzlich tippte jemand sie von hinten an und sie drehte sich um. Es war Nat.
"Ihr zwei, ich will ja nichts unterbrechen... aber wir sollten los."
Das kleine Lächeln auf Wandas Lippen verschwand.
"Mach's gut, Vis!", sagte Nat und berührte seinen Arm. Er nickte nur.
Auch Sam und Steve kamen kurz wieder nach draußen, um sich zu verabschieden.
„Viel Glück", wünschte Tony ihnen. „Ihr werdet es brauchen." 

Als Wanda und Vision von der Rampe aufgestanden waren, sahen sie einander unsicher an. Der ganze Rest war schon wieder ins Innere des Jets verschwunden.
"Auf Wiedersehen, Wanda.", murmelte Vis leise.
Wanda spürte, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten. Beschämt biss sie sich auf die Unterlippe und wendete sich kurz ab, um sie wegzuwiscchen.
Ein Blick in Visions Augen verschaffte ihr Erleichterung. Sie trat etwas näher an ihn heran und schloss ihn in eine zärtliche Umarmung.
Scheulos, obgleich es das erste Mal war, dass sie ihn richtig berührte. Es fühlte sich sicher an und geborgen. Ihre Tränen liefen in seinen Pullover.
Sie ließ sich von ihm halten mit dem Wunsch, die Zeit stillstehen lassen zu können.
Steve und Nat beobachteten die zwei vom Cockpit des Quinjets aus und tauschten niedergeschlagene Blicke.
"Du musst gehen.", sagte Vision Wanda leise ins Ohr und fuhr ihr sanft mit der Hand über den Rücken.
Sie nickte stumm und löste sich aus der Umarmung.
Immer noch unter Tränen beugte sie sich vor und gab ihm einen kurzen Kuss auf die Wange.
Es war ihr egal, ob er verstand, was sie da tat oder nicht oder was die anderen davon dachten.
Dann ging sie die Rampe zum Jet hoch, ohne sich noch einmal zu ihn umzudrehen.

Westering Home - Wanda's Vision Where stories live. Discover now