JA. Gott hat ihn verändert.

JA. Meine Gebete zeigten Wirkung.

JA. Das war alles nicht um sonst.

Aber kann es wirklich sein, dass wir jahrelang für Philipp gebetet haben? Muss das sein?

Muss es sein, dass ausgerechnet er da auftaucht, nett und fürsorglich, voller Respekt und einem tiefen Vertrauen in Gott. Muss es sein, dass ich ausgerechnet ihn persönlich treffe, mich dann auch noch in ihn verliebe irgendwie, oder wie würdest du mein viel zu schnell klopfendes Herz wenn ich an ihn denke (selbst nach allem was passiert ist noch), sonst beschreiben? 

Klar ist es schön zu sehen, wie Gebete wirken, wie Gott wirklich Veränderung schenkt, aber in diesem Fall...? Ich wünschte ich hätte ihn nie kennengelernt. Hätte in meinem kleinen, stillen Kämmerchen einfach weiterbeten können, ohne jemals zu wissen, was aus ihm geworden ist.

Und nun? Nun stehe ich hier und weiß nicht so ganz wohin mit mir. Klar bin ich böse auf ihn, weil er mit dir geschlafen hat und dir so viel Böses zugefügt hat und irgendwie bin ich auch nicht so richtig böse, weil es Jahre her ist, das Ganze längst aufgearbeitet und weil ich stets für ihn gebetet habe, nie wirklich so richtig böse war, warum dann aber jetzt?

Vielleicht bin ich vielmehr enttäuscht. Enttäuscht darüber, dass er mir nicht die Wahrheit gesagt hat, da immer nur diese bescheuerte und viel zu hohe Mauer war, enttäuscht über sein Verhalten, seine Verschwiegenheit und auch wenn ich es mir nicht wirklich eingestehen will, letztendlich bin ich vor allem enttäuscht über mich selbst.

Enttäuscht, weil ich ihm vertraut habe, mich auf ihn eingelassen habe, er so viel über mich weiß und ich nichts über ihn. Ich habe nie nachgefragt, immer nur gedeutet, angenommen, es war so offensichtlich und ich hatte es nicht gemerkt. Ich hatte meine Augen verschlossen, meine Ohren ebenso, war gefangen in meiner rosaroten Blase, habe nichts um mich herum wahrgenommen und nun? Nun ist sie geplatzt diese Blase, einfach so... zack! Von einem Moment auf den anderen. Als wäre es nicht schon von Anfang an klar gewesen. Klar, dass das Ganze irgendwann schief gehen würde, wir zu verschieden, er viel zu reserviert und ich? Ich zu offen, habe ihn viel zu nahe an mich heran gelassen, habe nicht verstanden, nicht wahr haben wollen, dass er ein Junge ist und nicht du, keine Betty, der ich wirklich vollkommen und zu hundert Prozent vertrauen kann und bei der es okay ist, wenn sie wirklich komplett alles über mich weiß. Es waren so viele Anzeichen, so viele Anzeichen, dass er eben nicht du ist, aber ich habe sie alle übersehen, ich wollte sie nicht sehen, ignoriert, ich war einfach unfassbar naiv.

Ich bin tatsächlich einfach enttäuscht. Unendlich enttäuscht und ganz besonders über mich selbst. Es tut weh dieses Gefühl, jenes Gefühl welches ich jetzt in genau diesem Moment habe, dann wenn ich hier in meinem Bett liege, mir am liebsten die Decke über den Kopf ziehen würde, um dann nie wieder aufzutauchen. Wenn die Welt plötzlich von einem Moment auf den anderen zusammenbricht und ich meine Gefühle so gar nicht mehr unter Kontrolle haben.

Klar bin ich enttäuscht über mich selbst, aber ich bin auch unfassbar wütend, wütend auf dieses Arschloch, dass mein Leben die letzten Wochen so sehr aufgebaut, wieder in gerade Bahnen gelenkt hat, um es dann einfach so kaputt zu machen, um mich an einen Punkt zu bringen, der noch weiter unten liegt, als jener noch vor sechs Monaten.

Ja, ich bin wirklich wütend, zornig, voller Hass, nenne es wie du willst. Ich will ihn nie wieder sehen, will nichts mehr mit ihm zu tun haben und gleichzeitig... gleichzeitig mag ich ihn, weiß dass ich ihn brauche, gehört ihm nach wie vor ein Teil meines Herzens, tatsächlich beginne ich erst jetzt so richtig zu kapieren was es bedeutet sein Herz zu verschenken und ja, irgendwo ganz tief im inneren verstehe ich warum er das getan hat auch wenn ich es nicht in Worte fassen kann und auch nicht in Worte fassen will. Ich will ihm vergeben und gleichzeitig auch nicht und dann doch irgendwie, weil ich allein durch dich gelernt habe, was für eine große und wichtige Rolle Vergebung spielt und wie groß der Unterschied zwischen Vergebung und Versöhnung ist. Eine Tatsache, die auch du über all die Jahre gelernt hast.

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