16.Kapitel

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Ohne irgendwelche Hemmungen stürzten wir in die Hauptzentralen von Fittes. Lockwood, der sich offenbar etwas auskannte, ging mit raschen Schritten auf die Anmeldestelle zu und verlangte ein sofortiges Treffen mit Penelope Fittes. Die Frau, die hinter der Anmeldestelle saß, eine etwas ältere, dünne Frau mit hochgesteckte Haaren, versicherte ihm mit professionell ruhiger Stimme, dass das auf keinen Fall möglich wäre, da Mrs. Fittes nur bestimmten Personen Zutritt gewähre.
„Es ist aber extrem wichtig und muss auf der Stelle geklärt werden!", beharrte Lockwood weiter.
„Es tut mir leid, aber wenn Sie keinen Termin haben oder keine Prominenz der Stadt sind, können Sie nicht durch. Ich habe meine Anweisungen, die ich befolgen muss!"
Lockwood schnaufte: „Ich glaube sehr wohl, dass Mrs. Fittes unser Kommen erwartet und mit uns sprechen will!"
„Da hat er allerdings Recht."
Sofort stieg mir ein leider allzu bekannter Geruch nach Rasierwasser in die Nase. Langsam drehten Lockwood und ich uns um, nur um einen grinsenden Gale vorzufinden, dem der Triumph schon in den Augen geschrieben stand.
„Sieh an, sieh an. Mr. Lockwood mit seiner kleinen Freundin Lucy Carlyle. Hat Penelope euch nicht gesagt, dass ihr euch nicht einmischen sollt?! Tja, wie sagt man so schön: Wer nicht hören will, muss fühlen... Schnappt sie euch!"
Sofort tauchten hinter ihm fünf stämmige Security-Männer auf, die, zu meinem großen Entsetzen, zwei riesige Säcke mit sich trugen. Bevor ich auch nur einen Gedanken zur Flucht hegen konnte, wurde ich auch schon gepackt und hinter die Anmeldestelle gezerrt. Bevor man mir den Sack über den Kopf zog, sah ich noch Lockwood, der sich krampfhaft zu wehren versuchte, bis man ihn schließlich mit einem Degenknauf K.O. schlug.
Dann wurde auch bei mir alles schwarz...

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Als ich meine Augen wieder aufschlug, fand ich mich in einem dunklen Raum wieder. Langsam richtete ich mich auf. Der Raum maß ungefähr 9 Quadratmeter und die einzige Lichtquelle war eine kleine, lose am Kabel hängende Glühbirne. Neben mir lag Lockwood, noch immer bewusstlos. Ich kroch zu ihm hinüber und versuchte, ihn wachzurütteln. Zunächst rührte er sich nicht, was mich leicht panisch werden ließ, weshalb ich heftiger rüttelte, bis er sich stöhnend auf die Seite rollte.
Lockwood!", zischte ich, „Komm schon!"
Langsam richtete er sich auf, wobei er sich mit einer Hand am Boden aufstützte und mit der Anderen den Kopf hielt: „Oh mein Gott..."
Er sah sich um. „Wo sind wir?"
„Ich hab keine Ahnung."
Vorsichtig versuchte ich aufzustehen, was mir nach zwei Versuchen auch gelang. Als ich endlich stand, schaute ich mich erstmal richtig um bis ich Lockwood auf die Beine half, der wegen dem Schlag auf den Kopf noch immer taumelte.
„Wir müssen hier raus!", zischte er und versuchte verzweifelt aufrecht stehen zu bleiben, „Sofort!"
Doch bevor ich auch nur den Mund zum Antworten öffnen konnte, wurde hinter uns die einzige Tür aufgerissen. Ein alter Mann in Fittes Klamotten blickte uns hinter einer kleinen Brille an: „Ahh! Ihr seid wach! Gut, das erleichtert einiges."
Sofort stürmten hinter ihm vier Männer hervor, die uns jeweils zu zweit packten und aus dem Raum zerrten. Ich versuchte gar nicht, mich zu wehren, da es sowieso nutzlos wäre und Lockwood war dazu nicht imstande und befand sich etwas Besseren. Trotzdem sah man deutlich, dass er sich den Männern am liebsten wiedersetzt hätte.
Man trug uns durch einige Gänge, bis wir schließlich in einen großen Raum gezogen wurden, wo ich mit einem „Uff!" auf Lockwood landete. Fluchend erhob ich mich und half Lockwood auf. Als wir beide halbwegs sicher standen (ich stützte Lockwood, der sich dankend an meine Schulter lehnte) sah ich mich endlich um.
Ein ganz normaler, etwas größerer Raum mit einem Schreibtisch, drei Stühle und einen großen Schrank. Nichts Ungewöhnliches.
Doch dann fiel mein Blick in eine Ecke und beinahe wäre ich umgekippt.
In der hintersten Ecke des Raumes stand, (in einem Käfig!) George. Auch Lockwood hatte ihn entdeckt. „George!", stöhnte er.
Der Angesprochene sah uns mit einem müden, mitleidigen Blick an und trat einen Schritt zur Seite. Es musste natürlich schlimmer werden. Hinter George stand, mit hängenden Schultern, Kipps und hinter diesem saß auf den Boden...
„Holly!"
„Hey Lucy...", sie lächelte matt.
Ich wollte schon fragen, wie sie hierhergekommen gekommen war, bis mir endlich was klar wurde. Dass sie länger als nötig von der Arbeit wegblieb, dass sie sich nie meldete, das sah Holly überhaupt nicht ähnlich. Die Situation hier erklärte einiges...
„Wie lange bist du schon hier?", Lockwood sah sie ausdruckslos vor Entsetzen an.
Holly überlegte: „Ich glaube über eine Woche..."
„Oh mein Gott!", ich zog die Luft ein und Lockwood schloss für ein paar Sekunden die Augen. Als er sie wieder aufschlug ertönte hinter uns ein knappes Räuspern.
Zornig drehten Lockwood und ich uns um: Dort stand sie, in einem eng anliegenden, dunkelgrünen Kleid, Penelope Fittes, die einflussreichste Persönlichkeit Londons. Lockwood blickte sei herablassend an: „Penelope, bei Ihrer anscheinend nicht vorhandenen Ehre, was, bitteschön, soll das?!", er deutete auf den Käfig, „Das geht zu weit!"
„Tja, Anthony", Penelope kam gelassen auf ihn zu, „Ich habe dich gewarnt! Da ihr nicht aufhören wolltet, euch einzumischen, musste ich handeln..."
„Aber doch nicht so! Das ist Freiheitsberaubung!", ich kam drohend auf sie zu.
„Aber nicht doch. Glaubt ihr wirklich, es war überraschend, als ihr heute bei mir in der Zentrale standet? Glaubt ihr wirklich, ihr hättet mich überrascht? Nein! Ich habe alles geplant. Von eurem ersten Einbruch im Mausoleum, bis hin zu der Rettung eurer Freunde."
Wir starten sie stumm an. Im Moment konnten wir sowieso nichts Anderes tun.
„Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis euch mein Schädel den ersten Teil meines Geheimnisses erzählt..."
„Er ist nicht Ihr Schädel!", fauchte ich sie an.
„Oh, doch Schätzchen. Das ist er. Ich habe ihn schließlich erschaffen!"
Ich konnte nicht verhindern, dass ich sie überrascht anstarrte. Auch George zog hinter mir entsetzt den Atem ein. Nur Lockwood starrte sie weiterhin wütend an, als hätte er diese Aussage bereits erwartet. Penelope genoss unsere überraschten Blicke sichtlich und fuhr mit erhobenen Hauptes fort:
„Ja, das ist alles schon sehr lange her... Es war ein verregneter Novembermorgen. Ich war auf der Suche eures Schädels. Der Vorfall von Bickerstaff ist euch, glaube ich, bekannt. Dementsprechend war er das perfekte Opfer für meinen Versuch, und die Quelle war auch einfach zu finden. Ich meine, ein Schädel!", sie schüttelte verächtlich den Kopf, „Das ist nun nicht besonders originell..."
„Aber das ist über 150 Jahre her!", ich sah sie entgeistert an.
„Ich bin ja auch schon über 300 Jahre alt, Liebes."
Bumm!
Da ließ sie jetzt eine Bombe platzen.
Sogar Lockwood starrte sie mit offenen Mund an. (Er musste sich noch immer auf mich stützen).
Penelope lächelte uns selbstsicher an: „Ich weiß, ich weiß. Ich sehe für mein Alter recht jung aus. Das hat mit einer ganz bestimmten Methode zu tun: Dem Lebenselixier eines Typ-3 Geistes. Dem Elixier, das einen Typ-3 Geist in dieser Welt hält. Die Methode ist eigentlich ganz simple: Du erweckst einen Typ-3 Geist und verbrennst zu gleich die Quelle. Somit erhält man einen auffälligen orangen Rauch, der dich zu einer unsterblichen Person macht, oder wie ich zu sagen pflege...", sie machte eine Kunstpause, „... einen Typ-4 Geist. Das einzige, das etwas ärgerlich ist, ist die Auswirkung auf den Typ-3 Geist: Euer Schädel ist für immer an unsere Welt gebunden. Man kann die Quelle nicht zerstören und den Geist nicht ins Jenseits befördern. Na ja, immerhin bin ich unsterblich, das ist es die Sache doch wert!"
Ich starrte sie entgeistert an. Sie war die Einzige, die es schaffte, einen Geist auf ewig zu foltern. Penelope bemerkte meinen Blick und fuhr fort:
„Zu schade, dass ihr es damals nicht geschafft habt, an mein Grab zu kommen. Dann hättet ihr nämlich gesehen, dass es keine Knochen gibt, weil Marissa nie gestorben ist. Penelope existiert nicht, genauso wenig wie ihre Mutter. Tom und ich haben das schon seit Jahren geplant. Nur war es ein Jammer, dass er es nie erleben durfte... Dadurch hatte er nie die Chance, das Elixier selbst auszuprobieren und starb durch die Geistersieche..."
Kurz sah ich, dass ihre Augen vor Traurigkeit aufblitzten, doch sie fasste sich schnell.
„Dementsprechend gab es für mich auch keinen Grund, es seinen Nachfolgern zu erzählen... Dennoch war ich damals so dumm und haben es meinen besten Freunden erzählt. Wer das war, glaube ich, wisst ihr schon, nicht wahr Anthony?"
Sie lächelte ihn zuckersüß an. Lockwood verkrampfte sich neben mir.
„Ich wusste von Anfang an, dass deine Mutter meinen Plan deinen Vater weitererzählen würde. Es war nur noch eine Frage der Zeit und es musste natürlich so kommen. Sie hätte es nicht tun sollen! Sie hatte es mir versprochen und so war es eigentlich ihre eigene Schuld, oder?"
Was?", Lockwood konnte sich kaum noch beherrschen.
„Der Autounfall, oder Unfall sollte man es eher nicht nennen... wo ich doch den Wagen geschickt habe, der in die falsche Richtung fuhr."
Okay, meine Hand wurde gerade auf eine unangenehme Art zusammengequetscht. Ich traute mich gar nicht, ihn anzusehen.
„DU HAST MEINE ELTERN UMGEBRACHT!"
Penelope zuckte mit den Schultern: „Anders hätte es nicht gehen können. Sei froh, dass deine Schwester und du das damals überlebt haben. Normalerweise hätte die gesamte Familie ausgelöscht werden sollen!"
Lockwood starrte sie fassungslos an und hinter mir wurde relativ viel Luft aus dem Raum eingeatmet.
„Du hast meine Eltern umgebracht? Du hast meine Kindheit zerstört und mein gesamtes Leben auf den Kopf gestellt!"
Penelope hüstelte einmal herablassend und fuhr wieder unbeirrt fort: „Sie wollte nicht hören und andererseits aber auch nicht mein Projekt unterstützen..."
„Wer würde sowas unterstützen?" Mein entsetzter Blick hatte sich mittlerweile in meinem Gesicht festgehaftet. „Das ist Folter!"
„Es sind nur Geister!"
„Was ist mit Charlotte? Warum lebt sie noch?"
Ich dreht mich um: George lehnte gegen die Gitterstäbe uns sah Penelope abwartend an. Diese blickte eindringlich zurück.
„Charlotte hatte Glück. Sie zog sofort noch Celias Tod zurück in ihr Heimatland Irland. Dort war sie für mich erstmal kein Problem. Trotzdem ist sie nun wieder da und hat, wie mir zu Ohren gekommen ist, ein Gespräch mit euch über mich geführt. Tja, es ist irgendwie schade um sie. Sie war eine gute Freundin..."
Ich riss die Augen auf: „Sie haben auch Charlotte umgebracht?"
Nun war es soweit, dass Lockwood und ich uns aneinander festhalten mussten.
„Umgebracht würde ich jetzt nicht so direkt sagen, eher so, dass der Kuchen ohne Nuss doch mit Nuss war. Aber wie gesagt, es ist ein Jammer, denn sie war eine treue Freundin und hat mir sofort von euren Besuch erzählt. Aber genug davon!"
Sie sah uns triumphal an.
„Das ist das Geheimnis, das ihr unbedingt lüften wolltet. Das Geheimnis, das nun euer Verderben sein wird..."

Lockwood & Co  Das Geheimnis von Penelope FittesWhere stories live. Discover now