Lusia |Ende

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,,Wo gehen wir hin?" fragte ich neugierig und schaute hoch zu Elias. Er sah besorgt aus. Ich mochte diesen Ausdruck nicht. Ganz und gar nicht.
,,Zu James."
,,Ich dachte er wäre mit einem Kunden weg?"
,,War er auch...ist er auch...vielleicht sind die beiden schon fertig und er möchte uns die Location zeigen?" Mein armer Teddybär sah wirklich über alle Maße zerstreut aus.
Ich hörte auf Fragen zu stellen.
Wir gingen nach draußen und liefen ein Stück die Straße runter. Elias parkte immer etwas abseits.
,,Darf ich vorne sitzen?"
,,Hm? Ja, meinetwegen."
Ich zuckte verschreckt bei dem Tonfall zusammen. Unwirsch. Genervt. Besser ich hielt meinen Mund.
So leise es mir möglich war öffnete ich die Autotür und stieg hinein. Anschnallen Tür zu. Blick raus aus dem Fenster. Mein Gespenstisches Spiegelbild erwartete mich in der Scheibe.
Es lächelte.
Überrascht hielt ich mir die Hand an die Lippen. Auch ich lächelte. Einen kurzen Moment hatte ich Angst gehabt mein Spiegelbild hätte sich selbstständig gemacht.
Ob es da drüben in dem Glas schöner war?
Der Motor ging brummend an. Das Geräusch lenkte mich nicht ab.
Meine Dämonen krochen mir auf die Schulter und tuschelten in meinem Ohr.
Ich wollte nicht hören was sie sagten. Wollte nicht sehen was sie mir zeigten.
Stattdessen kniff ich die Augen ganz fest zusammen und stellte mir vor wie aus dem Motorgeräusch leises Hufgeklapper wurde.
Pferde wieherten.
Die Kutsche unter uns holperte über den unebenen Boden.
Ich öffnete meine Augen und schaute mich um.
Ich saß auf einer Holzbank, die mit einem weinroten Kissen ausgepolstert war.
Direkt vor mir musste der Kutscher sein, denn von dort kamen die Geräusche der Pferde.
Elias saß neben mir, den Blick Richtung Fenster.
Ich beschloss selbst aus meinem Fenster zu schauen.
Eine wunderschöne Landschaft erstreckte sich vor mir. Wälder. Büsche. Blumen. Die Farbvielfalt erstaunten mich.
Ein scharrendes Geräusch war zu hören.
Ich spannte mich an.
Die Dämonen krochen die Wände der Kutsche hoch, legten den Blick frei auf mein milchiges Gesicht in der Scheibe.
,,Lasst mich gehen. Mir geht es hier gut. Bitte." Mein Flehen blieb ohne Wirkung. Ganz im Gegenteil, immer mehr Teile der Kutsche lösten sich auf. Ich spürte keine Holzbank unter mir. Da war das Polster des Stoffsitzes.
Ich konzentrierte mich, hielt das Bild so lange wie möglich fest.
Letzten Endes waren es nicht meine Dämonen, die mich aus der Kutsche zerrten, sondern Elias, der meine Schulter schüttelte.
,,Prinzessin, wir sind da."
Ich griff etwas desorientiert nach dem griff der Autotür und stieg aus.
Der Ort sah schön aus.
Elias hielt mir die Hand hin, doch ich ignorierte ihn. Sein Gesicht sah zu düster aus.
Ich schüttelte den Kopf. Sah es nicht. Sein Gesicht war ganz normal. Er war bestimmt glücklich.
Ich war auch glücklich. Bestimmt. War ich glücklich?
Ich spürte sie schon wieder. Ihre langen Arme. Ihr Atem im Nacken.
Ich wollte das nicht. Und weil ich es nicht wollte, begann ich loszurennen.
Ein Zelt tauchte vor mir auf. Wundervoll! Eine Feier!
Ich bildete mir ein Gelächter zu hören. Das klimpernde Geräusch aneinander schlagender Gläser.
,,James!" rief ich, weil ich mir sicher war, dass er da drinnen auf Elias und mich warten würde. Und er würde Lächeln. Und tanzen. Konnte er tanzen? Er würde es versuchen.
Elias rief hinter mir. Doch ich rannte lieber weiter vor. Weg von seinem Gesicht.
Als ich eintrat stockte mir kurz der Atem.
James war da.
Er lächelte nicht. Er tanzte nicht. Versuchte es noch nicht mal.
Da war eine Pistole.
Und eine andere Person, die die Waffe hielt.
Wie in Trance ging ich auf sie zu.
Nicht real. Nicht real. Nicht real.

Das war keine Person mit einer Waffe...das war...natürlich, jetzt sah ich es. Die Hand war knochig. Skelettartig. Gräulich. Er trug einen Lumpen und eine Maske, die aussah wie der Schädel eines Tieres.
Ich hatte keine Angst mehr. Egal wie unheimlich er aussah, er war nicht böse.
Als ich direkt vor ihm stand ließ er James los und beugte sich zu mir hinunter.
,,Du bist Lusia, nicht?"
,,Ja, bin ich."
,,Es ist mir eine ungemeine Freude, dass du es zu mir geschafft hast."
Ich lächelte strahlend zu ihm hoch.
,,Komm, von dort oben sehen wir besser."
Eine Skeletthand legte sich mit leichtem Druck auf meinen Rücken und führte mich zu einer kunstvoll verzierten Empore.
Wir setzten uns hin und staunend schaute ich mich um.
Das Zelt wurde von duzenden Kerzen hell erleuchtet.
Musik spielte und Menschen tanzten zur Musik. Sie waren nichts als schemenhafte Schatten. James und Elias standen in der Menge. Sie lächelten zu mir hoch. Ich winkte fröhlich.
,,Es ist wirklich wunderschön." hauchte ich andächtig.
,,Wohl war."
Der Kopf meines Sitznachbars hob und senkte sich. Ein leises Klappern entstand dabei.
Ich summte leise mit der Musik.
,,Schau mal, dein Bruder."
Ein langer Arm deutete zum Eingang des Zeltes, welches sich verdunkelte. Die Feier zerplatzte. Die Lichter verschwanden.
,,Finnick!" rief ich. Er musste schnell rein kommen, damit die Festivitäten weiter gehen konnten.
,,Er sieht besorgt aus."
,,Tut er nicht!" erwiderte ich sofort und konzentrierte mich auf die Lichter. Sie gingen funkelnd wieder an.
,,Siehst du, er lächelt."
,,Wenn du das sagst." flüsterte das riesige Skelett. Seine Lumpenkleidung flatterte im Wind.
Finnick kam näher, aber nicht zu mir. Er wollte wahrscheinlich nicht mit mir reden...nach allem was passiert war.
Um mich abzulenken drehte ich mich zu meinem neuen Skelettfreund und fragte:,,Wie heißt du eigentlich?"
,,Rem."
,,Ein schöner Name."
,,Vielen dank kleine Lusia...ich finde du solltest etwas sagen. In deinen Augen mag dein Bruder Lächeln, aber er macht sich große Gedanken um dich."
,,Was meinst du?"
Rem streckte seine Hand aus und wischte durch die Luft. Wie Nebel tauchte Finnicks Gesicht vor mir auf.
Er war so besorgt.
,,Ist schon gut Finnick! Solange sich alle benehmen passiert mir nichts." sagte ich schnell. Zum Glück schien es zu reichen, denn der Nebel löste sich wieder auf und Finnick lächelte.
,,Ewig kannst du nicht davor weg laufen."
,,Ich laufe nicht weg!"
Rem blieb daraufhin still. Ein Stich fuhr durch meinen Arm.
,,Au! Was ist das?"
,,Du weiß was das ist."
Rem schaute mich an. Seine leeren Augen schauten mich durch die Maske hindurch lange an.
Ein Dämon schlängelte meinen Arm entlang und gab den Blick frei auf eine Hand, die mich fest umschloss.
,,Das ist nicht real." murmelte ich und wandte die Augen davon ab.
Rem drehte den Kopf weg Richtung Tanzfläche.
Leon war da. Und grade kamen Taylor und Zac.
Es war schön, dass so viele gekommen waren.
,,Hörst du das?" fragte Rem aus dem nichts.
,,Nein, was denn?"
,,Du darfst zu deinem Bruder, schau doch."
Sein Hand, die mich mehr und mehr an eine Klaue erinnerte kratzte durch die Luft. Die tanzenden Leute verschwanden.
Elias. James. Finnick. Leon. Zac. Taylor.
Sie alle standen da. Vor der Bühne. Überraschung und Furcht in den Augen.
Ich wollte das nicht sehen.
So schnell es mir möglich war rannte ich von der Bühne hinunter in Finnicks Arme. Hier war ich sicher. Hier sah ich nichts.
Er roch vertraut und fremd zur gleichen Zeit.
Als er mich von sich weg schob waren die Menschen wieder da. Tanzend, lachend.
Wo war Rem?
Suchend schaute ich mich um.
,,Rem?"
,,Neben dir kleine Lusia."
Ich drehte den Kopf. Das war Rem. Und irgendwie auch nicht. Er sah geisterhaft aus.
,,Geht es dir gut?"
Er nickte, langsam. Das genügte mir als Antwort. Neugierig ließ ich meinem Blick schweifen und blieb an James und Elias hängen. Sie tanzten beide nicht.
,,Es wäre schön, wenn sie zusammenkommen würden." meinte ich gedankenverloren.
,,Nun, es ist deine Welt. Wenn du möchtest, dass sie tanzen, dann tanzen sie."
,,Meine Welt? Du bist verrückt Rem! Ich kann doch nicht über sie bestimmen."
,,Nicht? Schau sie dir ganz genau an. Stell dir vor sie würden tanzen. Oder sich küssen. Oder sich umarmen. Sich dir was aus."
Ich zögerte, konnte der Versuchung jedoch nicht widerstehen. Sie sollten miteinander tanzen, Spaß haben, lachen. Kaum gedacht, schon taten sie es. Die Dämonen lachten leise.
Ich schüttelte entsetzt den Kopf. ,,Das war nicht...ich hab nicht...es war nur Zufall! Mehr nicht! Das hier ist real!"
Rem schwieg beharrlich, wartete eine kleine Weile, bevor er wieder mit mir sprach:,,Dein Bruder braucht dich."
Mein Bruder tanzte mit Leon, grinste breit.
,,Warum sollte er mich brauchen?"
,,Schau ganz genau hin." flüsterte Rem und legte seine knochige Hand auf meine Schulter. Ich spürte sie kaum.
Das Bild flackerte. Mein Bruder lag neben mir auf dem Boden. Sein Gesicht war voller Schmerz.
,,Hör auf damit! Das ist nicht real! Du zeigst mir nur Trug Bilder! Nichts davon ist echt! Ich bin glücklich! Mein Bruder ist glücklich! Alles ist gut!"
Energisch schüttelte ich Rems Hand ab. Er ließ mich gewähren, lief aber um mich herum und beugte sich leicht zu mir runter.
,,Wer bist du überhaupt?" wollte ich leise von ihm wissen. 
Dabei kannte ich die Antwort schon. Er wartete stumm ab.
,,Du bist einer von ihnen oder? Einer meiner Dämonen. Wer bist du? Meine Angst vor der Dunkelheit? Meine Angst vor dem Meer? Meine Angst vor dem Monster unter meinem Bett? Sag schon!" Am Ende schrie ich fast ihn an.
,,Ich bin der Schlimmste von allen kleine Lusia, ich bin die Realität."
Mein Herz setzte kurz aus.
,,Die Realität?"
Seine Finger, kaum ein Lufthauch, fuhren mir sanft übers Haar.
,,Denkst du, du kannst dich mir stellen? Kannst du mich akzeptieren? Für deinen Bruder?"
Ein Schauder überlief meinen Rücken.
Die helle, freundliche Szenerie um mich herum begann zu bröckeln. Die Dämonen. Sie zerrissen das mühsam aufgebaute Kunstwerk.
Rem dagegen stand einfach nur da, seine leeren Augen auf mich gerichtet. Die Maske sah aus der Nähe grotesk aus. Feine Risse zogen sich durch den Knochen.
Ich hatte Angst. Um mich herum blitzte immer mehr Dunkelheit auf. Die Lichter wurden in der Luft zerfetzt.
,,Entscheide dich kleine Lusia. Es liegt ganz bei dir. Lässt du dich fressen oder stellst du dich deinen Dämonen?"
Ich schloss die Augen. Konzentrierte mich auf das Atmen. Ein. Aus. Ein. Aus.
Unter meinen eigenen Atem mischte sich der meines Bruders. Ich hörte schmerzen heraus. Verzweiflung.
Ich hatte mich entschieden.
Blinzelnd öffnete ich meine Augen. Mein Bruder neben mir. Auf dem Boden.
Da war ein Mann. Vor ihm. Er redete mit Leon. Doch seine Hand zuckte. Eine Pistole.
Ich dachte nicht länger nach.
Der Körper des Mannes spannte sich an, drehte sich zu meinem Bruder, der Arm hob sich. Der Finger krümmte sich.
Doch ich war schon da.
Niemand würde meinen Bruder verletzen. Nicht nochmal. Nie mehr wieder.
Etwas bohrte sich in meinen Bauch hinein. Eine Kugel.
Jemand schrie. Zwei Leute schrien.
Ich ließ mich fallen, meine Beine strauchelten.
Doch da war mein Bruder, der mich aufging.
Lusia..." hauchte er liebevoll und fuhr mir ganz leicht über den Kopf.
Ich hatte ihn so sehr vermisst.
Seine braunen Augen waren tieftraurig und dunkel.
,,Ich sterbe oder?" fragte ich. Wieder so eine Frage, deren Antwort ich bereits kannte. Ich spürte es. Keinen Schmerz, aber dafür Kälte. Ganz benommen war ich.
,,Nein, du wirst nicht sterben."
,,Ist schon okay..." murmelte ich. Es war okay. Ich war bei meinem Bruder. Er lebte. Er atmete.
,,Es tut mir leid." Seine Hand strich mein Haar entlang. Beruhigend.
,,Mir nicht." meinte ich und lächelte zu ihm hoch. Mir tat nichts hiervon leid. ,,Ich habe dich lieb."
,,Ich dich auch, und jetzt bleib ruhig. Es wird alles wieder gut."
Es war doch schon längst alles gut.
Mein Körper wurde schwerer. Immer Scherer. Das denken fiel mir schwer.
Und doch war ich friedlich. Keine Dämonen waren hier.
,,Ich habe es geschafft Finn."
,,Was hast du geschafft Kleine?"
Mein Kopf war leer.
Keine Dämonen mehr, die mich quälten.
,,Ich habe sie besiegt..."
Frieden.

Ich.bin.nicht.Schwul | Band 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt