F I N E

29 5 0
                                    

1/3/1999

Die Bücher fest eingeklemmt wanderte sie den Gang ihrer Schule hinunter.
Überall lächelnde Gesichter.
Banner mit dem rot-gelben Schullogo.
Sogar ein Poster mit dem Frühlingsball.
Sie würde nicht kommen.
Ein paar abwertende Blicke trafen sie.
Ruth spazierte weiter.

Seit Chad dieses 'Gerücht' über sie verbreitet hatte, war sie vielleicht vier oder fünfmal noch da gewesen.
Aber sie, ihre Familie wussten jetzt vom Heroin.
Sie wollten Ruth nun lieber in der Schule als am Bahnhof sehen.
Es ging dabei nicht um Ruth.
Nur um ihre Stellung in der Gemeinde.

Ruth warf ihre Haare nach hinten.
Gleich.
Gleich hätte sie das Klassenzimmer erreicht.
"Ms. Denevue? Ruth, kann ich kurz mit Ihnen reden?"

Mrs.Tirs stand vor ihr.
Die Vertrauens und Ruths Englischlehrerin.
Mitte 40, kurze Haare, klein und stämmiger als so mancher Türsteher, wäre wohl eine treffende Beschreibung.
Nur die Rehaugen, ja die Rehaugen berührten selbst die kaputteste Seele.
Ruth nickte und folgte ihr in das kleine Büro.
Sie saß gegenüber Mrs.Tirs, die sie mit ihren Augen zu durchbohren schien.

"Wo waren Sie denn wieder, die letzten Wochen?"

Ruth fühlte nichts dabei, wenn sie zurückdachte.
An Schwester Kate und die...-
Sie zwang ein kurzes, trügerisches Lächeln auf.

"Auf Mission mit der christlichen Gemeinde."

Mission.
Wenn es die "Mission" war zu foltern...-
Mrs.Tirs unterbrach ihren Gedankengang.

"Ich weiß, Ruth.." Sie seufzte.

"Ich darf doch Ruth sagen?"

Ruth nickte.

"Ich meine die Wochen davor, wo du unentschuldigt gefehlt hast?
Ich mache mir wirklich sorgen, du bist nie da und- Entschuldige meine Formulierung, aber du siehst aus wie eine wandelnde Leiche."

"Ich weiß nicht worauf sie hinaus wollen."

Ruth schaute weg.
Versuchte ihr nicht ins Gesicht zu lügen.
Bedrückt.
Sie starrte lieber auf die vielen Tierfotos in Mrs.Tirs Büro.
Sie seufzte und händigte Ruth einen Zettel aus.

"Ich merke das etwas nicht stimmt.
Das hier ist die Nummer von einer Freundin von mir, Mrs.Herring.
Sie arbeitet beim Jugendamt und meine Telefonnummer steht ebenfalls darunter.
Wenn du doch Hilfe annehmen möchtest, ruf nur an."

Ruth nickte.
Steckte den Zettel weg.
Ging ohne eine Emotion zu zeigen.
Mrs.Tirs hatte ihren Auftrag erfüllt, sie würde also keine Schuldgefühle haben.
Ruth hielt alles für geheuchelt.
Ruth konnte man nicht helfen.
Der Zettel landete im nächsten Müll.

WE ARE NOT DONE Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt