Kapitel 33

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Die Verabschiedung war Tränenreich und nicht nur bei Tante Anne. Sie wird schnell sentimental, doch diesmal blieben auch meine Augen nicht trocken. Ich bin niemand, der gerne Gefühle zeigt, dazu noch in Anwesenheit anderer, aber das war dann doch zu viel. Winnetou wollte noch am selben Tag wieder fort reiten und vermutlich war es so auch besser. Denn dann war die Verabschiedung kurz und schmerzlos. Zumindest sollte das so sein. Doch Winnetou hatte Verständnis und hat respektvoll gewartet. Etwas, was ich sehr an ihm schätze.

Die Nacht ist bereits hereingebrochen, doch ich kann nicht schlafen. So wie letzte Nacht. Und davor die. ,,Wieso bist du nicht mitgegangen?" Winnetou bricht einen kleinen Stock durch und wirft ihn anschließend in das Feuer. Eigentlich hätte ich gedacht, dass er bereits schläft. ,,Ich hätte dich gehen lassen. Dort ist deine Heimat, deine Familie und Freunde. Warum bleibst du hier? Es ist gefährlich, vorallem für eine Frau. Du bist jung, Ruby. Die Comanchen sind unberechenbar. Tohon genauso. Ich will nicht, dass dir etwas passiert." So habe ich Winnetou noch nie erlebt. Es klingt fast so, als macht er sich Vorwürfe. Vorwürfe, mich nicht mit auf das Schiff gebracht zu haben. Und auch wenn ich nicht gerne und oft rede, in manchen Augenblicken fühlt es sich richtig an. So wie jetzt. ,,Ich weiß, was ich tue. Würde Tohon mich wirklich verletzten?" Er hebt seinen überraschten Blick. Und doch sagt er nichts dazu, lächelt nur kurz, bevor er meine Frage beantwortet. ,,Er ist unberechenbar. Vorallem wenn sein Verstand von Wut benebelt ist. Tohon hat einen Hass auf die Weißen. Ich ebenfalls, aber du bist anders. Du würdest unserem Stamm niemals schaden." Ich freue mich, dass Winnetou mir so sehr vertraut. Dennoch beunruhigt mich Tohon. Winnetou hat Recht, auch wenn er ein Verbot bekommen hat, mir zu nahe zu kommen, heißt das nicht, dass er sich auch daran hält. ,,Keine Angst. Ich passe auf dich auf. Mir stellt Tohon sich nicht in den Weg. Ich bin der zukünftige Häuptling und er weiß, dass ich ihn dann jederzeit vom Stamm wegschicken kann." ,,Danke", flüster ich leise. ,,Du tust so viel für mich. Möchtest du wissen, warum ich nicht nach England zurückkehre?" Sofort nickt Winnetou. Ich brauche einen Moment, bis ich die richtigen Worte gefunden habe, doch der Apache wartet geduldig ab. Er weiß, dass reden für mich schwer ist. ,,Du hast mir das Leben gerettet. Zweimal. Einmal hast du mich von den Comanchen befreit und einmal vom Kapitän. Du hast dein eigenes Leben für mich riskiert. Mir alles gegeben was ich brauchte, Essen, Kleidung, einen Schlafplatz, sogar ein Pferd hast du mir anvertraut. Und niemals werde ich dir jemals zurückgeben können, was du getan hast. Dennoch will ich aus tiefster Dankbarkeit hierbleiben und dein restliches Leben für dich da sein. Denn das bin ich dir schuldig." ,,Ruby, du bist mir nichts schuldig. Mir wurde gelehrt, dass so etwas selbstverständlich sein sollte. Und ich habe es gern gemacht." ,,Es ist mein Gewissen, Winnetou." Verständnisvoll nickt er. Ich sehe, dass ihm eine Frage auf der Zunge brennt, er sie jedoch aus Höflichkeit nicht stellen möchte. ,,Du willst wissen, was mit meinen Eltern passierte, nicht wahr?", frage ich leise und schaue wieder in die kleinen Flammen des Feuers. ,,Ich habe gerlent niemanden zu etwas zu drängen. Es steht dir frei, mir deine Geschichte zu erzählen." ,,Als ich noch klein war, waren sie auf einem Tagesausflug. Ich war ein braves Mädchen, wusste stets was ich durfte und was nicht und habe mich auch immer daran gehalten. Meine Eltern wussten, dass sie mich ohne Bedenken alleine lassen konnten, und zur Not wäre ich zu unseren Nachbarn gegangen. Es waren sehr nette Menschen, wir haben uns immer gut verstanden. Meine Eltern sollte am frühen Abend wieder zurückkommen. Doch das sind sie nicht. Ich wollte sie suchen und bin alleine durch die Straßen von Brighton geirrt. Jemand hat mich dann gefunden und zu Tante Anne gebracht. Meine Eltern sind bis heute nicht aufgetaucht und niemand weiß was passiert ist." Winnetou überlegt und denkt nach, um die richtigen Worte zu finden. Doch es gibt keine richtigen Worte für diese Situation und das weiß er auch. ,,Es freut mich, dass du mir deine Vergangenheit anvertraut hast. Es ist schwer mit solch einem schlimmen Schicksal das Leben zu bewältigen. Ist dies auch der Grund wieso du so selten redest?" Ich nicke. Bis jetzt habe ich nur mit Tante Anne oder Klekih-Petra geredet. Und nun auch mit Winnetou. ,,Ich verstehe wieso du hier geblieben bist", sagt er auf einmal. Da ich nichts mehr zu sagen habe, und er auch nicht, sind das die letzten Worte unseres Gespräches und wir legen uns schlafen.

Stolen from Britain, brought to AmericaWhere stories live. Discover now