Kapitel 28

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Mit einer kleinen Bewegung schiebe ich das Leder zur Seite und erstarre im nächsten Moment. Weiß, soweit das Auge reicht. Der Schnee glitzert in der kalten Sonne. Winnetou kommt hinter mich und sieht ebenfalls raus. ,,Was ist?", fragt er, da ich mich immer noch nicht bewegt habe. Diese Schneemassen sind überwältigend. Er muss mindestens so hoch sein, dass ich mit meinem ganzen Fuß darin versinken werde und trotzdem nicht auf dem Boden aufkomme. So gewaltig viel Schnee habe ich noch nie gesehen. Natürlich hat es in Brighton auch ab und zu geschneit, doch dies war so wenig, dass alles direkt wieder geschmolzen ist oder nur noch dreckig am Straßenrand lag. Doch hier glänzt das weiße Pulver mit der Sonne um die Wette und alles sieht so schön aus. ,,Hast du noch nie Schnee gesehen?", fragt Winnetou erneut und schiebt sich an mir vorbei. Schnell gebe ich ihm mit ein paar Handzeichen zu verstehen, dass ich noch nie so viel Schnee auf einmal gesehen habe. Er fängt an zu grinsen. ,,Na komm. Reiten im Schnee ist schöner als ihn zu betrachten." Doch ich schüttel den Kopf. Vorallem bei diesem Wetter muss viel Arbeit erledigt werden. Da kann ich mich nicht den ganzen Tag mit reiten beschäftigen. ,,Keine Sorge. Wir werden nicht lange weg sein. Versprochen. Danach haben wir noch genug Zeit für unsere Arbeit." Ich gebe nach und mache meinen ersten Schritt in die kalte Schönheit. Bei jedem Schritt knirscht es laut unter meinen Füßen. Dieses Geräusch habe ich so vermisst. Es erinnert mich an schöne Kaminabende mit Tee und Geschichten, Schneeballschlachten mit Freunden, wenn genug gefallen war, oder einfach nur das beruhigende Treiben der Schneeflocken, welche vom Himmel schweben, zu beobachten.

Winnetou hatte Recht. Schon so ist es atemberaubend, aber auf Maka die Landschaft zu betrachten, dabei das leise knirschen zu hören und den warmen Körper des Pferdes zu spüren ist wirklich schön. Dicke Eiszapfen hängen von den Bäumen, ab und zu sieht man Tierspuren und immer wieder drehe ich mich um, um die lamge Spur aus Hufabdrücken zu betrachten. Manchmal rieselt etwas Schnee von den Bäumen auf uns hinunter und immer wieder kann ich rote Winterbeeren unter dem Schnee hervorlugen sehen. Dieses Land ist tatsächlich schöner, als ich es mir je erträumt hätte. Im Volksmund klang das immer ganz anderes. Niemand in Brighton wollte freiwillig nach Amerika. Wir lieben unsere kleine Stadt. Obwohl ich nicht weiß, wie anders das Leben eventuell in den Kolonien ist. Bei den Apachen ist das Leben wirklich schön und ich kann nicht verstehen, wie man alle Einheimischen veranscheuen kann. Natürlich gibt es Gute und Böse, aber ist das nicht bei meinem Volk genauso? Zwischen Mr. Carter und dem Kapitän liegen Meilenweite Unterschiede. Und ich bin froh, dass ich bei der guten Seite bin und nicht mehr bei den Ausbeutern.

Die nächsten Tage bleibt es so kalt. Und der Schnee bleibt ebenfalls. Manchmal, wenn es Nachts geschneit hat, reite ich mit Winnetou umher und hinterlasse mit Maka neue Hufspuren im Schnee. Die Kinder spielen täglich ausgelassen im Schnee und erinnern mich immer wieder an meine eigene wundervolle Kindheit. Ganz wage tauchen auch wieder Bilder von meinen Eltern in meinem Kopf auf. Ich war gerade sieben, als sie verschwanden. Und doch erinner ich mich an die liebevollen grünen Augen, meines Vaters, welche ich ebenfalls habe und die schönen langen blonden Haare meiner Mutter, mit denen ich als Kind so gerne gespielt habe. Auch diese habe ich von meiner Mutter geerbt. Ich erinner mich, wie meine Mutter mir Abends vorgesungen hat und mein Vater mir bei Gewitter Geschichten erzählte, damit ich beruhigt einschlafen konnte. Und auch wenn es nicht viele Erinnerungen sind, ich bin froh, dass ich überhaupt welche habe.

,,Ruby, wie geht es dir mein Mädchen", begrüßt Klekih-Petra mich freundlich. ,,Gut", antworte ich leise und setze mich zu ihm ans Feuer. ,,Gefällt dir der Winter? Etwas anderes als in England nicht wahr?" Ich nicke lächelnd. Alles ist hier anders als in England. Angefangen vom Essen bis hin zu den Sitten und Bräuchen der Völker dieses Landes. Erstaunlich schnell habe ich mich hier eingelebt, obwohl ich die Sprache nicht spreche und nur wenig verstehe. Doch es wird Woche um Woche besser. ,,Winnetou hat mir von der Wundersuppe erzählt, die du ihm gemacht hast. Was war das?", fragt der alte Mann. Ich lächel etwas. Wundersuppe. Das ist wirklich ein lustiger Name. ,,Brühe", antworte ich schlicht. Irgendwie ist mir heute nicht so nach reden. Doch Klekih-Petra scheint das nicht im geringsten zu stören. Er weiß, dass es nicht immer einfach für mich ist. ,,Bisonbrühe nehme ich dann mal an. Hühner gibt es hier nicht." Ich nicke. ,,Er war schnell wieder auf den Beinen. Vielleicht hast du ja ein außergewöhnliches Talent", überlegt er scherzhaft und zwinkert mir zu. Bei dieser Geste muss ich grinsen. Er schafft es wirklich mich immer wieder zum Lachen zu bringen.

Stolen from Britain, brought to AmericaWhere stories live. Discover now