Kapitel 5

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Nur wenige Minuten später befand sich Samal, immer noch völlig überrumpelt, in einem Promenadencafé wieder. Sie saß auf einem Barhocker an einem hohen Tisch, ihr gegenüber ihr menschlicher Wecker, der sich als Mary-Sue Christiansen vorgestellt hatte („[...]Nur Sue bitte, sonst fühl ich mich wie in der Sonntagsschule.") und einem Sandwich vor sich auf der Tischplatte.

Immer wieder blickte Samal unsicher zu ihrem Gegenüber auf, wusste nicht was sie sagen sollte. Sie biss ein paar mal verlegen von ihrem Sandwich ab. Sue trank genüsslich ihren Kaffee und schien von der merkwürdigen Stille, die sich breitmachte, nichts mitzukriegen. Samal aß stumm ihr Sandwich auf und vermied den Augenkontakt mit ihrem menschlichen Wecker. Ihr Kopf war wie leergefegt, nicht der Hauch einer Idee wie man ein Gespräch mit dem seltsamen Menschenmädchen anfangen konnte enthalten. Misstrauisch beäugte sie ab und zu den großen, schwarzen Hund der unter dem Tisch lag. Sue bemerkte ihren Blick. „Das ist Holly, die tut dir nichts!", grinste sie und wuschelte Holly durchs Fell. „Aha.", presste Samal verlegen hervor, diese Situation war so seltsam. So neu. Noch nie hatte jemand, der sie auf der Straße aufgegabelt hatte, sie gefragt ob sie Hunger hatte, geschweige denn sie mit in eine Gaststätte genommen und ihr etwas zu essen bestellt. Samal war froh als der Kellner zu ihrem Tisch kam und sie die paar Dollar von Nick's Mutter zur Bezahlung zücken konnte. So viel zu 'sich eine Notfallreserve ansparen'. „Sie möchten bezahlen?", der junge Engel nickte wortlos. Sue sah erstaunt auf. „Du willst schon gehen?" Das Mädchen ihr gegenüber nickte erneut und schaute betreten zu Boden. Der Kellner kam zurück, Erleichterung flackerte in den Augen der Jüngeren auf. Sie zog ein paar Dollar aus dem Ausschnitt ihren dünnen Flatterkleidchens und wollte sie dem Kellner geben. Sue funkte dazwischen: „Ich bezahle." Das Palmenkind sah aus als ob es widersprechen wollte, also setzte sie noch nach: „Keine Widerrede."

Nachdem Sue bezahlt hatte, traten sie und Samal vor die Tür des Cafés. Der kleine Engel blickte unsicher aus ihrem Augenwinkel zu ihrer etwas aufgezwungenen Begleitung. Wie sollte sie sich von Sue verabschieden? Dieser Mensch schien ein reges Interesse an ihr zu haben. Samal fand ihr Misstrauen äußerst gerechtfertigt, noch nie hatte sich jemand für sie interessiert dem nicht das Hinterteil auf Grundeis gegangen war und der ihre Hilfe brauchen konnte. „Also...", begann sie schüchtern. Verflixt, was sollte sie denn sagen? Sie entschied sich für ein unverfängliches: „Ich muss bald los." „Oh, ok. Weißt du, ich gehe immer um diese Zeit mit Holly diesen Weg, also wenn du mich mal wiedersehen wollen solltest..." Samal nickte mal wieder stumm, drehte sich um murmelte: „Bis dann." und ging in die entgegengesetzte Richtung die Promenade hinunter. „Man sieht sich!", rief Sue ihr hinterher. Samal warf einen Blick über ihre Schulter und winkte zaghaft zurück als sie sah, dass Sue ihr hinterher winkte.

Für einen ganzen Monat fuhr Samal mit ihrem Alltag von Rettungsmissionen fort, bevor sie überhaupt wieder an Sue dachte.
Nach zwei Monaten gestand sie sich ein, dass die Vorstellung einer Freundin mit der sie reden konnte (wenn auch nicht komplett offen- Engel und so...) schon irgendwie reizend war, auch wenn Sue wahrscheinlich physisch doppelt so alt war wie sie. Nach zweieinhalb Monaten hatte sie endlich den Entschluss gefasst, wieder zu der Promenade zufliegen. Als sie nach fast drei Monaten den Mut dazu zusammen gekratzt hatte, machte sie sich auf den Weg. Nicht zu Fuß, versteht sich.

Samal flog über die Promenade und hielt nach Sue Ausschau, da es an diesem Morgen wolkig war und sie sich in ebendiesen Wolken (beziehungsweise dessen unteren Rand) aufhielt, musste sie nicht fürchten entdeckt zu werden. Sue war mit der großen, schwarzen Hündin nicht lange zu suchen, kaum hatte Samal sie ausfindig gemacht, landete sie auf einer Mülltonne hinter einem Restaurant in einer nahegelegenen Gasse und spazierte von dort zur Promenade. Dort angekommen, entdeckte sie Sue einige Meter vor sich. „Hey, Sue! Sue!", rief das Mädchen fröhlich, winkte enthusiastisch und rannte auf die junge Frau zu, die sich überrascht umgedreht hatte. Kaum hatte sie Samal erkannt, machte sich ein breites Grinsen auf ihrem Gesicht bemerkbar, dass Samal erwiderte. „Hey Palmenkind, hatte nicht damit gerechnet dich nochmal wiederzusehen!" Palmenkind? Oh richtig, Sue hatte ihr zwar ihren Namen verraten, aber sie selbst hatte sich nie vorgestellt. Ein wenig beschämt kam Samal vor der jugen Frau zum stehen. „Bitte entschuldige, dass ich letztes Mal so abweisend war", murmelte sie und wurde rot,„ Ich bin Samal." Sie lächelte und streckte Sue ihre Hand entgegen, die diese ohne zu zögern ergriff und schüttelte. „Nett dich endlich richtig kennenzulernen, Samal."

Samal: The Angels SinWhere stories live. Discover now