S E C H S | Unglück

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Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte ich mich wie gerädert. Alles tat mir weh- mein Rücken schmerzte, in meinen Beinen zog es und meine Arme brannten. Und das, obwohl ich gestern weder die Kisten aus dem Mietwagen nach oben getragen hatte, sondern nur in den Fahrstuhl und aus diesem wieder herausgetragen hatte, noch hatte ich alle Kisten ausgepackt und die paar, die ausgepackt wurden, wurden auch nicht von mir alleine ausgepackt.

Obwohl auch mein Kopf brummte, als hätte ich gestern mehr als ein Glas Whiskey getrunken, erinnerte ich mich schnell wieder daran, dass ich Ginevra in meinem- nun ziemlich unnötig wirkenden- Gefühlausbruch gestern Abend darum gebeten hatte heute vorbei zu kommen. Trotz der Schmerzen rappelte ich mich deshalb auf und begann mich fertig zu machen, damit ich bevor Nev da wäre noch einkaufen gehen könnte. Schließlich hatte sich leider mein Kühlschrank nicht auf magische Weise gefüllt, sondern war weiterhin so leer geblieben wie gestern Abend.

Als ich durch die Wohnung lief und nichts außer sporadisch vorbeifahrender Autos hörte wurde mir zum ersten Mal so richtig bewusst, dass ich von nun an allein war. Die Stille würde zu meinem alltäglichen Begleiter werden und ich würde weder meine Familie tagtäglich sehen noch würde ich weiterhin den Luxus des Hotels Mama haben. Andererseits machte es mich auch stolz, dass ich es endlich geschafft hatte das Haus meiner Kindheit zu verlassen. Denn auch wenn ich es echtgenossen habe und es auch weiterhin wundervoll finden würde, so konnte man in einem Haushalt mit Eltern nicht komplett selbstständig werden, immer würde man ein bisschen Arbeit abgenommen bekommen. Selbst, wenn es nur ein Teller Suppe in der Klausurenphase war.

Mein Glück war, dass ich mich seit vier Jahren regelmäßig in Münster aufhielt und ich somit keinerlei Anfangsschwierigkeiten haben würde. Ich kannte schon einige Restaurants, die ich auch nicht mehr missen wollte, eine große Menge Cafés und Supermärkte und auch eine Menge Orte an der frischen Luft, an denen ich mich entspannen konnte.

Kurz bevor ich zum nächsten Supermarkt laufen wollte, schrieb ich noch Nev eine Nachricht

Hey Maus, kannst du sagen wann du losfährst?

Da sie mit dem Auto je nach Verkehrslage circa 45 Minuten brauchte, konnte ich entspannt loslaufen und brauchte mir keinerlei Sorgen machen, dass ich sie warten lassen würde- sofern sie nicht schon losgefahren war.

Ich zog meinen olivgrünen Mantel, der wunderbar mit meinen lockigen braunen Haaren wirkt, über, stopfte zwei Stoffbeutel hinein und warf in die andere Jackentasche mein Portemonnaie und meinen Schlüssel, nachdem ich mit diesem die Tür verschlossen hatte.

Aufgrund meines Muskelkaters entschied ich mich trotz meiner Abneigung dazu den Fahrstuhl zu nehmen. Glücklicherweise waren nicht auch noch andere Menschen in dem Fahrstuhl und ebenso wenig stiegen auf der Fahrt welche hinzu. Als ich unten die Wand mit den Briefkästen passiere machte ich mir gedanklich die Notiz nachher meinen zu kontrollieren, denn ich hatte keine Lust die eventuell darin enthaltene Post mit mir rumzutragen.

Ich schlenderte entspannt durch die Straßen Münsters und lies mir die spärlichen, morgendlichen Sonnenstrahlen ins Gesicht scheinen. Glücklich dachte ich daran, dass ich von nun an jeden Morgen entspannt ein zur Uni laufen konnte ohne stundenlang im Zug zu sitzen oder im Extremfall sogar zu stehen zu müssen. Das war echter Luxus, vermutlich sollte ich mir von dem Gesparten ein Fahrrad kaufen, da Münster ja zum einen die Stadt des Fahrradfahrens war und ich zum anderen weder Geld noch Nutzen für ein Auto im dichteren Stadtverkehr hatte. Um den Gedanken nicht zu vergessen, holte ich mein Handy heraus und speicherte für übermorgen, also Montag, Fahrrad kaufen? ein.

Als ich den nur wenige Straßen von mir zuhause entfernten Supermarkt erreicht hatte und immer noch keine Nachricht von Ginny eingegangen war, beschloss ich, dass ich mich nicht zu hetzten brauchte, da sie vermutlich noch schlief.

fleur de cerisier //Where stories live. Discover now