E I N S | Neues Zuhause

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Schnaufend stellte ich die letzte Kiste in den Aufzug und drückte auf den Knopf mit der Aufschrift 3. OG. Als der Fahrstuhl sich ruckelnd in Bewegung setzte, lehnte ich mich an die kalte Metallwand und schloss kurz die Augen. Ich würde nicht öfter als nötig dieses Höllengefährt nutzen. Viel zu groß wäre die Gefahr, dass es einfach stehen bliebe und mich in ihm für unbestimmte Zeit einschloss.

Als sich die Fahrstuhltüren endlich stockend öffneten und ich ihn mitsamt meiner Kiste beladen verlassen wollte, rannte ein gehasteter, junger Mann in mich hinein, nuschelte bloß ein „Tschuldigung" und lief dann ebenso geschwind die Treppe hinab ohne sich noch einmal umzudrehen.

Während ich mich immer noch nicht von der Stelle bewegt hatte und stattdessen sprachlos in die Leere starrte, wurde das Geräusch von aufkommenden Schuhen auf den grauen Steinplatten immer leiser bis es schließlich gänzlich verstummte.

Kopfschüttelnd wendete ich mich in Richtung meiner Wohnung und lief mit dem Umzugskarton auf eben diese zu. Mit zitternden Händen fummelte ich den einzelnen Schlüssel, der die Tür zu meiner Wohnung öffnete, aus meiner Hosentasche. Ich trug die Kiste in mein neues, nach frischer Farbe riechendes Heim, schlug die Tür hinter mir mit dem Fuß zu und stellte den Karton auf irgendeine anderen. Überfordert sah ich mich in dem kleinen Flur um. Egal in welchen Raum ich gehen würde, überall wären nur Kisten zu sehen. Das einzige, was einigermaßen am rechten Platz stand, waren die massiven Möbel, wie Couch, Bett und Schränke, die das Speditionsteam zu Hause abgebaut und hier wiederaufgebaut hatten. Den Rest hatte ich einfach so schnell wie möglich hochgetragen und nur teilweise in die richtigen Räume gestellt.

Nachdem ich mir Schuhe und Jacke ausgezogen hatte, schaute ich mir unmotiviert die Beschriftung der Kiste, die ich gerade eben erst abgestellt hatte, an, und trug sie aufgrund dieser in die Küche. Seufzend begann ich das Geschirr aus dem Zeitungspapier zu wickeln und in die Schränke zu räumen.

Bereits beim Besichtigen der Wohnung im ruhigen Stadtteil Münsters, hatte sich in meinem Kopf eine Vorstellung davon gebildet, wie es aussehen sollte, wenn die Wohnung vollständig mit meinen Sachen eingerichtet war. Auch wenn mir bewusst war, dass ich meinen Träumen von der perfekten Einrichtung nicht gerecht werden konnte, räumte ich akribisch weiterhin Teller um Teller in den Hängeschrank.

Während ich den ersten Karton zusammenfaltete, tönte plötzlich die Melodie von Rachel Plattens Fight Song durch die Wohnung. Dankbar für die Ablenkung lehnte ich die Pappe an die Wand und lief zu meinem Handy. Aufgrund der gestrickten Socken meiner Mutter und dem Tempo mit welchem ich über die dunklen Fliesen lief, stieß ich mir den Fuß an der gläsernen, nicht ganz geöffneten, Übergangstür zwischen Flur und Wohnbereich. Fluchend hüpfte ich, den rechten Fuß haltend, auf das Schlüsselbrett im Flur zu. Als ich endlich das Smartphone in der Hand hielt und den Namen las, bildete sich in Lächeln auf dem Gesicht. Mama.

Vergessen war der schmerzende Fuß als ich ihre besorgte Stimme hörte. „Linnea!" Ich hörte sie aufatmen.

„Mama, hast du dir schon wieder Sorgen gemacht?"
„Aber natürlich, Spätzchen. Du wohnst jetzt alleine in einer Großstadt und brauchst Jahrzehnte um ans Handy zu gehen. Welche Mutter würde sich da keine Sorgen machen?"

„Diese Großstadt", betonte ich ironisch, „ist keine Stunde mit dem Auto entfernt und außerdem haben wir uns erst vor", ich schaute auf meine Armbanduhr, „fünf Stunden voneinander verabschiedet"

„Ja und? Ich vermisse meine einzige Tochter halt. Du hättest ja auch, wie die letzten 9 Semester einfach pendeln können."

„Das haben wir doch mehrmals ausführlichst besprochen und ihr wart beide damit einverstanden, dass ich hierhin ziehe. Schließlich habe ich keine Lust jeden Morgen um fünf oder früher aufzustehen, nur um dann 2 Stunden mit dem Zug zur Uni zu fahren. Und du weißt ganz genau, dass ich nicht jetzt ausgezogen wäre, wenn die Zeiten der Vorlesungen nicht so beschissen wären", antwortete ich gereizt.

fleur de cerisier //Where stories live. Discover now