V I E R | Kleines Monsterchen

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Um mein Unbehagen zu überspielen lief ich zum Kühlschrank und erfragte währenddessen, ob Viktor etwas essen wollen würde. Als ich jedoch den Kühlschrank öffnete, bemerkte ich, dass ich nicht wirklich darauf vorbereitet war jemand fremdes in meiner Wohnung zu haben. Der Inhalt meines Kühlschranks war nicht wirklich breit gefächert und definitiv nicht zur Ernährung eines Kindes gedacht, denn außer Schokolade, Cola und einer Tiefkühlpizza im Gefrierfach, die ich nur im äußersten Notfall essen würde, war auf den Plexiglasbrettern nichts zu finden.

Stöhnend wand ich mich zu Viktor, der meine Frage in der Zwischenzeit zu meinem Bedauern mit ja beantwortet hatte, um. Gerade als ich ihm sagen wollte, dass ich nicht wirklich etwas Essbares in der Wohnung hatte, kam mir die Idee, dass ich ja einfach etwas bestellen konnte.

„Du Viki, worauf hättest du denn Hunger?"

„Nudeln", rief er. Nickend lief ich an ihm vorbei, nicht ohne ihm dabei durch seine Haare zu wuscheln, um seinen Vater zu fragen, was er denn essen wollte. Als ich Noah jedoch fragte, war er dagegen, dass ich Essen bestellte und schlug stattdessen vor, dass wir zu ihnen rübergehen und dort etwas kochen könnten.

„Ich habe ehrlich gesagt eh keine Lust mehr Kisten aus zu räumen und ich denke der zeitliche Rahmen beim Bestellen und selber machen ist ungefähr gleich", argumentierte er und erneut konnte ich ihm sein Angebot nicht abschlagen. Es schien als würde er mich willenlos machen und mich zu so ziemlich allem überreden können.

Euphorisch lief Noah zu Viktor und rief ihm schon entgegen, dass er seine Sachen zusammenpacken sollte, da sie nach Hause gehen würden, während ich wie paralysiert zurückblieb.

Erst als Viktor mit seinem Schulrucksack auf dem Rücken und seinen Schuhen in der Hand vor der Schlafzimmertür stand und zu mir aufblickte, riss ich mich aus meiner Starre und lief dem Vater-Sohn-Gespann voran zur Tür. Unterwegs griff ich mein Handy und den immer noch verwahrlost wirkenden Wohnungsschlüssel vom Schlüsselbrett und stopfte beides in meine Hosentaschen.

Ich stützte mich mit einer Hand an der Wand ab und zog meine Schuhe mit roher Gewalt über meine Füße, während ich Viktor betrachtete, der sich brav auf die Dielen gesetzt, seine Schnürsenkel entknotet und nach dem Anziehen wieder vernünftig mit einer Schleife verschlossen hatte.

Mit einem letzten Blick über die Schulter auf den Flur, in dem nun weniger Kisten standen, verließ ich die Wohnung und zog die Tür hinter mir zu. Schnell lief ich hinter Noah und Viktor, die schon ein paar Meter zurückgelegt hatten, her.

Nachdem wir die Treppe, die um den Fahrstuhl herum verlief, eine Etage heraufgestiegen waren, hielten wir vor einer Tür, die meiner ziemlich ähnlich sah. Ihre Wohnung musste gegenüber von meiner jedoch um eine Etage nach oben verschoben liegen.

Nachdem Noah den Schlüsselbund aus der Hosentasche gezogen hatte und dem danach lechzenden Viktor den passenden Schlüssel in die Hand gedrückt hatte, schloss dieser nach einigen Versuchen die Tür auf.

Augenblicklich stürzte Viktor in die Wohnung, schmiss seine Tasche in ein Zimmer neben dem Flur und lief geradewegs durch. Noah, der den Schlüssel, den sein Sohn in der Tür stecken gelassen hatte, abzog, deutete mir hinein zu gehen.

Die Wohnung der Familie schien ähnlich, wenn nicht sogar gleich aufgebaut zu sein, wie meine. Und doch wirkte sie wie eine andere Welt.

Viktors vergleichsweise kleinen Schuhe lagen verstreut unter der Garderobe im Flur und seine ebenso klein erscheinenden Jacken hingen unordentlich über dem Haken an der Wand.

Die Wände waren übersät mit Bilderrahmen. Große und noch viel mehr Kleine Momentaufnahmen hingen neben einander und strahlten eine unglaubliche Wärme aus. Staunend blieb ich neben dem ersten stehen und betrachtete dieses.

fleur de cerisier //Where stories live. Discover now