O S I E M N A Ś C I E

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Vier weitere Fälle habe ich bis zu der Mittagspause aufnehmen müssen. Alle haben einen verschiedenen Kern besessen. Fast jeder, der die Anzeige aufgegeben hat, hat die Fassung über sich verloren und seine Verärgerung in Form von scharfen Bemerkungen ertönen lassen. Ich habe jedes Mal aufs Neue versucht, die Personen zur Ruhe zu rufen, aber bei niemand hat dies etwas genützt. Entweder haben sie meine Versuche ignoriert oder haben mich zu einer unsinnigen und grundlosen Rechenschaft gezogen. Ich habe mich beherrschen müssen. Es ist mir schwer gefallen, ein inneres Gleichgewicht zu bewahren. Ständig habe ich den Drang verspürt, mich zu erheben und die Personen aus dem Büro zu werfen. Ich bin wie angewurzelt auf meinem Stuhl sitzengeblieben und habe die jeweiligen Anzeigen notiert. Jede Sekunde, jede Minute, sie alle haben sich wie eine endlose Schleife angefühlt.

Dementsprechend wird mein Körper mit einer freudigen Erleichterung ausgefüllt, nachdem die Uhr die Mittagspause angekündigt hat. Ich habe mich ohne Weiteres von meinem Platz entfernt, das nötige Geld in die Hosentaschen gesteckt und habe das Büro verlassen. Vorher habe ich noch einmal kontrolliert, ob ich das Handy am Mann habe.

Nun eile ich durch die Flure, kein Kollege oder eine andere Person hält mich auf. Zielstrebig laufe ich förmlich die Stufen herunter, schlüpfe durch die Lücke, nachdem ich die Glastür geöffnet habe. Eine ekelhafte Schwere steckt in mir, welche mich aufhalten will und mir die Freude rauben will. Ich kämpfe gegen sie an und unternehme den Versuch, mich nicht auf die Schwere niederzulassen. Zielstrebig und entschlossen durchquere ich den letzten Flur. Von irgendwo strömt der Geruch nach einem Fertiggericht unmittelbar zu mir. Ich rümpfe die Nase und höre meinen Magen vor Hunger ächzen. Ich blicke nach vorne und lasse den Blick durch das recht voll besetzte Foyer schweifen. Etlicher meiner Kollegen nehmen Dokumente oder andere Papiere an und gehen von Charly weg, welcher am Empfang sitzt. Der Telefonhörer klemmt zwischen Schulter und Ohr, und nebenbei reicht er schier viele unzählige Papiere weiter oder wechselt sogar ein rasches Wort mit jemand.

Ich bewundere ihn für seine Arbeit. Wirklich, ich zeuge ihm Anerkennung. Charly behält selbst in stressigen Situationen einen klaren Kopf und ist in der Lage, den konstanten Durchblick zu wahren. Keine Lage kann ihn aus der Rolle bringen. Der Mittvierziger ist der flexibelste Mensch, der mir je unter die Nase gekommen ist.

Dann setze ich mich in Bewegung und schlendere durch das Foyer. Ab und zu setze ich einen Schritt zur Seite, um für jemand den Weg freizumachen. Ich habe das Gefühl, dass man meine Anwesenheit nicht direkt registriert hat. Aber das macht mir nichts aus. Ich bin gerne außerhalb der Aufmerksamkeit unterwegs. Ich habe den Ausgang erreicht. Eine Hand legt sich um den Griff, und ich stoße die Tür mit der rechten Schulter auf. Sobald ich mich an der stickigen Luft befinde, bilden sich Schweißtropfen auf meiner Stirn, und die Atmung wird ein wenig schneller. Der gesamte Körper beginnt, sich der drückenden Temperatur anzupassen.

„Das ist so unangenehm und ekelhaft", brumme ich und schaue zu dem einen Ende der Straße hin. Der gesamte Straßenrand ist mit allerlei Autos vollgesteckt worden. Über dem Asphalt rauscht eine gleichmäßige Bewegung. Der typische Verkehr zu der Mittagszeit. Jeden Tag das Gleiche. Um Punkt zwölf bis um dreizehn Uhr ist jede Straße vollgestopft, und man kommt nur schleppend voran. Ich schüttele langsam mit dem Kopf und mache mich auf dem Weg zu Vincent, welcher bei der Straßenecke auf mich wartet.

Mein Kollege hat die Möglichkeit erhalten, früher in die Mittagspause zu gehen als ich. Allerdings hat er nicht vorgehabt, sich schon in das Joey's zu begeben. Vincent will auf mich warten, damit wir gemeinsam zu dem Diner gehen können. Meine Lippen formen sich zu einem kleinen Lächeln. Manchmal finde ich es etwas übertrieben, was er tut. Vor allem für mich.

Ich behalte das Lächeln bei, nachdem ich den Blonden erreicht habe. Auch sein Oberkörper steckt in einem weißen Oberteil. Im Gegensatz zu meinem lockeren liegt sein Shirt eng an der Haut.

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