C Z T E R Y

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„Und du bist dir ganz sicher, dass du bis zu dir nach Hause fahren willst? Ich kann dich auch gerne bis dahin fahren. Dass du noch einen Unfall baust ... Darauf kann ich nämlich verzichten." Ich habe mein kleines Haus am Rande von Miami erreicht. Eine typische familienfreundliche Gegend, würde man behaupten. Überall diese scheinbar gleichen Häuser, die gleichen Vorgärten mit den weiß gestrichenen Zäunen und dann diese Stille. Es gibt Tage, da macht es mich ziemlich verrückt, dass ich ausgerechnet in so einer Gegend meinen Wohnort gewählt habe. Ich stelle mir häufig die Frage, wie ich den Erfolg bewahren kann, nicht die Nerven zu verlieren. Ich habe den Audi an dem Straßenrad abgestellt, habe meine Sachen zusammengesucht und bin schließlich ausgestiegen. Vincent hat sogleich den freien Fahrerplatz eingenommen. Jetzt befinde ich mich vor meinem Haus und schaue meinen Kollegen an. „Du wirkst immer noch heiter. Wenn es wirklich nicht geht, kannst du auch gerne bei mir und meiner Schwester schlafen."

Zoë hat einen der begrenzten Plätze bei einer Universität für Medizin ergattert. Sie ist eine der sehr wenigen, die dieses Glück in der Tasche hat. Da jedoch die Gebühren den Großteil von ihrem Geld beanspruchen, kann sie sich keine eigene Wohnung leisten. Ich habe mich entschlossen, sie bei mir aufzunehmen. Bisher haben sich keine Schwierigkeiten ergeben. In meinem Haus haben wir die verschiedenen Aufgaben untereinander aufgeteilt. Wir sind mit ihnen nicht in Konflikt geraten.

„Sehr sicher sogar. Das wird schon klappen." Der Dreißigjährige streicht mit zwei Fingern über das Lenkrad. „So betrunken bin ich nicht. Wirklich, Valary. Ich kann dir versichern, dass ich keinen Unfall bauen werde. Ich kann die Situationen noch gut einschätzen. Und wenn mich ein Kollege erwischt ... Ja, dann ist es eben so. Dann habe ich Pech gehabt. Ich muss damit klarkommen." Er beendet es und sieht mich an. Das Strahlen ist aus seinen blauen Augen gewichen. Sie wirken dieses Mal etwas matt. „Es war ein lustiger Abend mit dir, das muss ich gesagt haben. Sehen wir uns morgen in aller Frische auf der Station wieder?"

Ein lustiger Abend? Ich ziehe die Augenbrauen hoch. Für mich hat der Abend nichts Lustiges gebracht. Er hat viel eher ein fremdes Verlangen auferstanden lassen, welches noch immer in mir lodert. Für Vincent ist er es gewesen. Er hat nämlich nicht in einer recht unangenehmen Situation gesteckt. Der Blonde hat ohne jegliche Probleme und Mangel an Selbstbewusstsein mit der namenlosen Blondine sprechen können. Ich nicht. Sie hat mir den Schweiß auf die Stirn getrieben, den Puls vorangetrieben und den Herzschlag deutlich erhöht. Ich habe kaum einen klaren Gedanken ergreifen können.

Ich vollbringe ein Schulterzucken und kehre mich halb um. Spreche, während ich einen Schritt Richtung Einfahrt setze: „Ich hoffe, dass ich dich morgen Früh nicht aus einer Ausnüchterungszelle holen muss. Pass' ja auf dich auf." Für einen Moment halte ich inne und lasse somit die Stille zwischen uns wandern. „Ansichtssache. Für dich war er das, für mich aber nicht. Na ja, aber ehe du eine Diskussion mit mir anfängst; wir hören morgen voneinander."

Der Dreißigjährige wirft einen kurzen Blick in den Rückspiegel, ehe er zu mir sieht. Ich blicke in das Blau. Erkenne, dass es nach und nach seinen gewohnten Glanz wiedererlangt. Seine Lippen verziehen sich für einen Augenblick zu einem Grinsen. Die schlanken Finger fahren über das Lenkrad.

„Wir reden morgen weiter, verlass' dich drauf", merkt er zum Abschied an und vollbringt eine knappe Geste. Ich erwidere sie. „Bis morgen." Mehr Worte folgen nicht. Vincents Hände schließen sich um das Steuerrad, und er lässt den Wagen von der Bordsteinkante rollen. Ich sehe ihm nach. Der Audi entfernt sich immer mehr von mir, bis er schließlich bei einer Kreuzung abgebogen ist. In der Ferne kann ich das tiefe Brummen des Motors vernehmen.

„So viel dazu", murmele ich mir selbst zu, mache auf dem Absatz kehrt und schreite über den schmalen Weg. Zoë hat wohl den Rasen bewässert, denn winzige Wassertropfen haften auf den einzelnen Halmen. Ich blinzele langsam und richte den Blick zu der unscheinbaren Haustür hin. Das Licht im Flur ist gelöscht. Ich sehe zu der linken Seite, dort, wo sich unser Wohnzimmer befindet. Zwar hat meine Schwester die Vorhänge zugezogen, dennoch lässt ein kleiner Spalt Lichtstrahlen nach draußen dringen. „Wenigstens ist sie wieder nicht feiern. Das hätte mir, wenn ich ehrlich bin, noch gefehlt."

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