23. Kapitel - "Ich will einfach ich selbst bleiben"

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„Hallo Ms. J,

ich habe mir Sturmhöhe durchgelesen. Du hattest Unrecht, was „zu kitschig für dich" angeht! Ich habe das Buch wirklich genossen. Die Sprache ist fantastisch und die Liebesgeschichte von Cathy und Heathcliff einmalig. Selbst wenn wir nicht mehr über alles schreiben können, hoffe ich doch, dass wir uns weiterhin über Bücher unterhalten können.

Liebe Grüße Harry.“

Ich kann endlich „Harry" schreiben. Sie kennt mich. Ms. J weiß, wer ich bin!

Wird sie antworten? Wird sie mich wieder zurechtweißen, was eines ihrer Lieblingsbücher angeht? Sollte ich Angst haben, dass die „echte Ms. J" über meine Nachricht lacht?

Meine Augen weiten sich, als mein Laptop sich von alleine aktualisiert und eine neue Nachricht anzeigt.

„Du hast es wirklich gelesen?“

Was? Wirklich? Ich schreibe ihr einen langen Text, in dem ich sie praktisch anflehe, mir zu verzeihen, und sie fragt mich, ob ich wirklich das Buch geschrieben habe?

Na ja, wenigstens schreibt sie mir zurück. Heißt das, dass sie nicht all zu sauer auf mich ist?

„Du hast es mir doch empfohlen.“

Ist das zu scharf ausgedrückt? Wird sie es mir übel nehmen?

Meine Hände reiben über meine Jeans. Ich spüre, wie mein Magen sich umdreht. Vielleicht hätte ich nicht ohne Frühstück aus dem Haus gehen sollen oder zumindest bei Liam etwas essen müssen.

„Ja, habe ich. Aber wenn ich ehrlich bin, möchte ich nicht mit dir darüber diskutieren, solange noch diese Sachen zwischen uns steht.“

Diese Sache? Sie meint wohl die Tatsache, dass sie meinen Namen weiß, und ich nichts. Rein gar nichts.

„Wie willst du diese Sachen aus der Welt schaffen? Wirst du mir deinen Namen verraten?“

Ich schnaufe und tippe auf meinen Knien herum. Hat sie Mitleid mit mir? Sie musst doch wissen, wie verzweifelt ich bin.

„Erzähl mir, wer du wirklich bist.“

Wie erzählen? Ich bin Harry! Das weiß sie doch!

„Wie ist das gemeint?“

„Wer bist du wirklich? Den Harry, den ich kennen gelernt habe, oder der Harry aus der Schule. Denn wenn ich ehrlich bin, hat mich die Wahrheit ziemlich aus der Bahn geworfen.“

Die Wahrheit hat sie aus der Bahn geworfen? Ich würde ja gerne das Selbe behaupten, aber ich kenne die Wahrheit nicht. Was soll ich antworten? Ich bin der eine Harry, aber auch der andere Harry. Mein Gott, ich bin einfach Harry!

Ich fahre mir an die Stirn und wuschele durch meine Haare. Ich sollte mal wieder zum Friseur gehen. Aber vielleicht mag Ms. J längere Haare? Oder sie hält mich für einen Penner. Verdammt, spielt das überhaupt eine Rolle? Sie weiß nicht, für wen sie mich halten soll. Wahrscheinlich will sie mich nicht einmal treffen. Ihr ist es also scheiß egal, ob meine Haare lang, kurz, oder ganz ab sind!

Wieso mache ich mir eigentlich Gedanken darüber?

„Ich bin Harry.“

Ich überlege einen Moment, ob ich „der mit den zu langen Haaren“ dabei schreiben soll, aber entscheide mich dann dagegen.

„Harry.“

Meine Mutter öffnet die Tür und lugt mit ihrem Kopf durch einen kleinen Schlitz.

Sie ist nicht echt!Where stories live. Discover now