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9. Am Boden der Tatsachen

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Als ich am nächsten Morgen meine Augen öffne, fühle ich mich, als hätte ich nur drei Stunden geschlafen, was sogar gut sein kann, da Liana und ich die ganze Nacht durchgemacht haben. Wir haben uns alte Geschichten erzählt, Süßigkeiten gegessen und zum Schluss noch einen Liebesfilm geschaut.

Da wir heute Samstag haben und nicht in die Schule müssen, sollte das kein großes Problem sein. Ich gehe heute Abend einfach früher schlafen und dann sollte ich wieder einen Ausgleich finden.

So mache ich das zumindest oft, da ich wirklich viel Schlaf brauche, sonst habe ich noch schlechtere Laune als ohnehin schon.

"Endlich bist du wach!"

Erschrocken drehe ich meinen Kopf zur Tür, durch die gerade eine mehr als gut gelaunte Liana spaziert. Manchmal könnte man sie wirklich mit meiner Mutter verwechseln, denn scheiße, sie hat immer gute Laune und scheint auch immer früher als ich wach zu sein.

"Schrei nicht so." Ist das Einzige, was ich sage, obwohl es sich eher wie ein Brummen anhört, da ich mein Gesicht tief in eines ihrer Kissen drücke. Ich bin verdammt nochmal müde.

"Ja, ja, hör auf zu meckern und steh endlich auf, du Morgenmuffel. Ich habe nämlich gerade einen Kuchen von meiner Mutter in die Hand gedrückt bekommen, den ich unseren Nachbarn, den Smiths, rüberbringen soll."

Als ich ihre Worte so richtig realisiere, springe ich beinahe schon vom Bett und laufe auf Liana zu, die breit grinst. "Verdammt, warum sagst du mir das nicht gleich?", rufe ich empört.

Sie zuckt mit den Schultern. "So bleibt mir der Spaß."

Genervt und auch einwenig amüsiert, verdrehe ich die Augen und schnappe mir meine Hose und ein Oberteil von Liana, um sofort damit im Badezimmer zu verschwinden. Doch bevor ich aus ihrem Zimmer stürme, halte ich nochmal kurz inne und werfe ihr einen Seitenblick zu.

"Wie lange habe ich Zeit?"

"Fünf Minuten, dann bist du unten und schnappst dir den Schokokuchen, der auf dem Wohnzimmertisch steht. Beeil dich aber, du weißt, dass Nate jeden Samstag früh aus dem Haus ist", erwidert Liana amüsiert.

Ich nicke glücklich, ehe ich die Zimmertür aufreiße und schnell durch den Flur stürme. Dabei wäre ich zweimal fast auf die Fresse geflogen, doch ich konnte mich im letzten Moment noch auf den Beinen halten, was ein gutes Zeichen ist.

Denn das Schicksal ist heute anscheinend auch auf meiner Seite, was nicht schaden kann.

Am Ende des Flures komme ich vor dem Badezimmer zum Stehen. Sofort greife ich nach der Türklinke und will sie gerade herunterdrücken, als ich merke, dass die Tür verschlossen ist.

"Hallo? Mason, mach sofort die Tür auf!", rufe ich und rüttle einige Male an der Klinke. Ich weiß genau, dass er dort drinnen ist, da seine Mutter ein eigenes Badezimmer hat und dieses das von Liana und ihrem Bruder ist.

Verdammt, warum muss er ausgerechnet jetzt da drin sein?

Ein tiefes Lachen ertönt, dann höre ich, wie der Wasserhahn zugedreht wird. Keine Minute später wird auch schon die Badezimmertür geöffnet und mein Blick fällt sogleich auf Masons muskulösen Oberkörper, der völlig entblößt ist.

Meine Augen weiten sich. Einige Sekunden kann ich einfach nur starren, denn ich bin auch nur ein Mädchen und muss zugeben, dass er gerade - frisch aus der Dusche, mit zerzausten Haaren und nur einem Handtuch um die Hüften - unmenschlich gut aussieht.

Ich schlucke schwer.

"Gefällt dir, was du siehst?"

Überrumpelt hebe ich meinen Kopf wieder und sehe geradewegs in Masons Gesicht, das leider nicht weniger attraktiv als sein Körper ist.

Mit weit aufgerissenen Augen schüttle ich den Kopf, um verdammt nochmal diese dummen Gedanken zu vertreiben.

"Davon träumst du!", krächze ich nur, nachdem ich mich wieder gesammelt habe. Ich warte gar nicht auf eine Antwort seinerseits, sondern schiebe mich einfach an ihm vorbei ins Bad und schließe die Tür hinter mir.

Meine Wangen fangen an zu brennen und mir wird erst jetzt so richtig bewusst, dass ich gerade verdammt nochmal gegafft habe.

Wehleidig verziehe ich das Gesicht, doch als mir Lianas Worte wieder einfallen, schüttle ich schnell alle Gedanken ab und mache mich in aller Eile frisch. Ich putze meine Zähne, wasche mein Gesicht, kämme meine Haare und schlüpfe schnell aus meinem Pyjama, um mich umzuziehen.

Als ich fertig bin und mich noch einmal im Spiegel vergewissert habe, dass alles stimmt, verlasse ich das Bad und eile sofort hinunter ins Wohnzimmer. Der Kuchen steht fertig auf dem Tisch und duftet so herrlich, dass ich kurz mit dem Gedanken spiele, ihn einfach nicht rüberzubringen, sondern alleine zu verspeisen.

Schmunzelnd greife ich nach dem Blech und ziehe mir noch schnell meine Schuhe an, ehe ich die Haustür aufmache. Die frische Morgenluft weht mir entgegen und ich genieße kurz das Gefühl der heißen Sonne auf meiner Haut.

Ich liebe den Sommer und habe schon einen Plan, denn diesmal möchte ich die Sonne in vollen Zügen genießen. Doch das ist wirklich nicht immer so einfach, denn Liana kann es nicht ab, wenn es mehr als 30 Grad draußen sind.

Lächelnd schüttle ich meinen Kopf und ziehe die Haustür hinter mir wieder ins Schloss, bevor ich die Straße überquere und vor dem anderen Haus innehalte. Ich atme ein letztes Mal tief durch, ehe ich meinen Finger hebe und freudig die Klingel betätige.

Es dauert einige Sekunden, bis die Tür geöffnet wird, doch ich schaue nicht wie erwartet in Nates Gesicht, sondern in das von seiner Mutter, die, als sie mich erblickt, freundlich zu lächeln beginnt. "Oh hallo Rina, ich hab dich lange nicht mehr gesehen. Was verschafft mir die Ehre?"

Ich zwinge mir ebenfalls ein Lächeln auf, auch wenn ich wirklich enttäuscht bin, dass nicht Nate die Tür aufgemacht hat. Das macht er sonst nämlich immer, wenn ich etwas im Auftrag von Liana überbringe. Dann kann ich immer einwenig mit ihm reden und ihn besser kennenlernen, was auch der Zweck des Ganzen ist.

Ich seufze und zeige auf den Schokoladenkuchen. "Den hat Loren gestern gebacken, es ist noch ein bisschen übrig geblieben und sie wollte euch etwas vorbeibringen", erkläre ich und versuche, die Enttäuschung in meiner Stimme zu verbergen.

Sie nickt strahlend. "Das ist aber lieb von ihr! Grüß sie von mir und überbring ihr auch ein herzliches Dankeschön."

Ich nicke, ehe ich mich wieder abwende und ihr über meine Schultern zuwinke. "Mach ich, es war wirklich schön, Sie wiederzusehen."

"Hat mich ebenfalls gefreut!", ruft sie noch zurück, bevor sie wieder im Haus verschwindet. Meine Schultern sacken automatisch zusammen und ich lasse mir extra viel Zeit, um die Straße zu überqueren und zurück zu Lianas Haus zu laufen.

Sie hat so Glück, dass Nate ihr Nachbar ist. Ich würde alles dafür geben, um so einen tollen Nachbarn zu haben, doch leider sind unsere griesgrämig und alt, wobei das zweite kein Problem ist, weil ich eigentlich gut mit alten Menschen kann. Aber sie sind wirklich Spießer.

Ich seufze schwer.

Das Schicksal wollte anscheinend doch nicht, dass ich Nate heute zu Gesicht bekomme. Vielleicht ist das ja das Karma dafür, dass ich Loren gestern soviel Stress gemacht habe. Wenn dem so ist, akzeptiere ich das einfach und bleibe optimistisch.

Auch wenn das nicht meine beste Stärke ist.

You are enough ✓Where stories live. Discover now