Kapitel 1

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Geschrei aus dem Erdgeschoss unseres Hauses. Schon mehrere Stunden ging das so. Stunden? Okay…vielleicht war das etwas übertrieben. Auf jeden Fall schon eine ganze Weile.

Mein Bruder, der vor zwei Jahren angefangen hatte eine Ausbildung zu machen, deswegen auch von der recht kleinen Stadt Rosenheim in Bayern, in die Innenstadt von München ziehen musste, war heute Nachmittag unangekündigt vorbei gekommen.

Das tat er nicht oft. Wir sahen uns kaum noch. Im ersten Jahr war er häufiger gekommen, dann irgendwann waren seine Besuche immer seltener geworden, bis sie irgendwann so ziemlich ganz weg vielen.

Dabei mochte ich meinen großen Bruder. Sehr. Wir hatten uns immer gut verstanden, waren nie irgendwie gewalttätig im Umgang miteinander gewesen. Immer wieder hatte er nach seinem Auszug betont, dass ich – wenn ich zu Hause Probleme hätte – natürlich jeder Zeit zu ihm kommen könne.

Ich hatte das Angebot bisher nie aufgegriffen, da auch das Verhältnis zu meinen Eltern ziemlich gut war…irgendwie waren wir eine ziemliche Musterfamilie wenn ich so darüber nachdachte. Mal von dem wenigen Kontakt zu Alex (meinem Bruder) abgesehen. Wir hatten eine Doppelhaushälfte mit perfekt gestutzten Rasen, in ländlicher Umgebung, eine Katze, wie gesagt ein harmonisches Verhältnis untereinander. Eben die perfekte Familie…

Deshalb wunderte es mich ja auch umso mehr, dass meine Eltern dermaßen mit Alex stritten. Das zerstörte das Bild…

Seufzend drehte ich die Musik lauter und versuchte über das Geschrei hinweg zu hören, was sich als schwieriger als gedacht heraus stellte.

Wenn ich jetzt nach unten gehen würde, um meine Eltern daran zu erinnern, dass sie auch noch eine Tochter hatten, dann würde ich wieder nach oben geschickt werden. Und ich würde gehorchen. Wie immer. Das brave Mädchen spielen und mich im Nachhinein darüber ärgern. So war es immer.

Ich sah auf das Display meines Handys. Keine neuen Benachrichtigungen. Weder Whatsapp, noch Facebook, geschweige denn Snapchat, Instagram oder gar einer SMS.
Aber die Zeitanzeige erweckte meine Aufmerksamkeit: 20:29 Uhr. Okay…ich hatte verständlicherweise um halb neun Hunger. Abendessen hatte es nämlich noch nicht gegeben.

Erneut seufzend beschloss ich, doch nach unten zu gehen, ich war neugierig von dem ganzen Trara geworden und wollte nun wissen, was denn überhaupt geschehen war.
Es musste etwas schlimmes sein, das es die Ruhe meiner Eltern so aus dem Gleichgewicht bringen konnte.

Gerade als ich die Zimmertür geöffnet hatte, hörte ich die Haustür hinter einem wild schreiendem Alex zu fliegen. Stutzig tapste ich die Stufen nach unten und sah meine Eltern an. Sie waren völlig fertig. Mein Dad raufte sich die dunkelblonden Haare und meine Mum stand nahe einem Nervenzusammenbruch, das sah man ihr nur zu deutlich an.

Bevor sie mich bemerken konnten, beschloss ich sie nicht auch noch mit einer solchen Frage wie „Wann gibt es essen?“ zu reizen und kehrte in mein Zimmer zurück.

Die Musik lief noch. Ich liebte Musik. Gerade durchlief ich eine Phase, in der ich nur traurige Lieder hören konnte.
Jedes Mal, wenn ein fröhliches, oder nur ansatzweise optimistisches Lied im Radio lief, schaltete ich es ab. Das war seltsam, aber manchmal hatte ich solche Phasen. Nach ein paar Wochen waren sie wieder vorbei und ich hörte wieder wie jeder normale Mensch die üblichen Lieder, die Jugendliche Mädchen gerne hörten, bzw. hören sollten.

Das Display meines Samsung Galaxy S3 blinkte auf. Ich nahm es in die Hand und endsperrte es. Ich hatte keinen Code in meinem Handy. Es war nicht so, dass ich ihn vergessen würde, aber es nervte einfach zu sehr, jedes Mal, wenn eine Nachricht kam, erst einmal ein Wort, eine Zahlenfolge, oder ein Muster eingeben zu müssen.
Zwei neue Nachrichten auf Whatsapp. Ich las zuerst die meiner besten Freundin: Hey Darling, du glaubst nicht, was heute passiert ist!
Dann stand oben angezeigt, dass sie ein Memo aufnahm. Okay, das könnte etwas dauern.

Ich entschied mich, schon einmal die zweite Nachricht zu lesen, die, wie sich heraus stellte, von Alex war.

Verwundert tippte ich auf den Chat und begann bei den Worten, die dort standen zu zittern.

Folge deinem Herzen bis in den TodOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz