| 48. DRESSES AND SCORES

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( Eins, zwei, drei ... )

Eine Minute verstrich. Dann eine weitere.

Dann ging das Licht an.

Ich zählte weiter.

Zwanzig Sekunden, und der Fahrstuhl setzte sich wieder in Bewegung.

Drei Minuten später, öffneten sich ratternd und quietschend die Türen, und ich stürzte aus dem Gefährt - mitten hinein in die sonnengeflutete, belebte Eingangshalle.

»Hey, Kleines, pass auf, wo du hinläufst!«, herrschte mich ein korpulenter Mann mit orangefarbenem Haar an.

Ich sah hinunter, und merkte, dass ich soeben seine Einkäufe auf dem Marmorboden verteilt hatte.

»Tut mir leid, ich-«

Mein Blick fiel auf den nutzlosen Krempel, den er, ein Kapitolbewohner, unweigerlich in seiner weißen Tragetasche gehabt haben musste - und sah drei cremeweiße, glitzernde Kleider, so winzig, dass sie nur einem Baby oder einem Kleinkind passen konnten - und mein Herz wurde überschwemmt von Schuldgefühlen und gleichzeitig etwas, das sich anfühlte, wie Wehmut.

( Ich würde nie - ich würde mir nie Sorgen machen müssen, ob meinem Kind seine Kleider passten oder ob - )

Ich räusperte mich - es klang wie ein trockenes Schluchzen - und bückte mich rasch, um die Sachen aufzuheben.

Sie sind auch nur Menschen, dachte ich bitter. Menschen, mit einer Familie - ich verstaute einen kleinen Stoffteddy in der Tasche des Mannes - Menschen, die fühlen ( Freude, Liebe, Sehnsucht ) - ein juwelenbesetzter Ball folgte - und das Einzige, das sie von uns unterscheidet, ist die Umgebung, in der sie leben und die Wertvorstellungen, die sie Tag für Tag durch Snow und das Capitol TV erhalten.

Diesem Baby würde es niemals an etwas fehlen. Es würde sich niemals Sorgen um sein Heim, seine Gesundheit ( sein Leben ) machen müssen.

Und trotzdem konnte ich es nicht hassen. Nicht das kleine Mädchen, dessen Namen ich nicht kannte - und auch nicht seinen Vater, der mir nun half die letzten Sachen zusammenzuklauben.

»Danke, meine Liebe«, sagte er, nachdem ich ihm stumm die Tasche in die plumpe Hand gedrückt hatte.

»Kein Problem«, krächzte ich, und wandte mich ab, damit er die Tränen nicht sah, die sich in meinen Augen gebildet hatten.

Ich blickte nicht zurück, wagte es nicht, zurückzublicken, umrundete den Springbrunnen und die kostbaren Blumenarrangements, hastete zum Fahrstuhl, auf dem Weg zur zweiten Etage -

»Clove! Ich warte schon ewig auf dich!«, hörte ich plötzlich eine mir wohl vertraute Stimme und wirbelte herum. Glimmer hatte kaum Zeit mir ihr strahlendes Lächeln zu schenken, da hatte ich mich auch schon in ihre Arme geworfen.

»Whow - ich freu mich auch, dich zu sehen«, meinte sie lachend, an die Marmorsäule hinter sich gelehnt, und wuschelte mir durchs Haar.

»Lass das«, murmelte ich, ihr einen bösen Blick zuwerfend, und zog meinen Zopf fest. Glimmer verdrehte spielerisch die Augen und ließ geräuschvoll eine knallrosa Kaugummiblase platzen.

born to die ✘ the hunger games [1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt