Ich habe mich die ganzen letzten Jahre über nicht allein gefühlt – nie!

Natürlich war ich dennoch oft allein. Ich saß viel in meinem Zimmer, Betty im Krankenhaus, in der Therapie, wo auch immer... aber dennoch habe ich mich nie einsam gefühlt, weil ich es nie war. Weil wir beste Freundinnen waren und im Herzen verbunden waren und weil sie letztendlich doch nicht so weit entfernt war, beinahe jederzeit erreichbar und jetzt? Jetzt kann ich sie nicht einfach mal kurz anrufen, mit ihr skypen, ihr schreiben. Es geht nicht und das tut weh und doch habe ich dich...

Ich kann im Moment vielleicht nicht reden und deshalb fällt anrufen oder skypen raus, aber ich kann schreiben und das will ich.

Ich will dir schreiben wie lieb ich dich habe.

Ich will dir schreiben wie dankbar ich bin, dass es dich gibt.

Ich will dir schreiben, dass ich alles was du für mich tust wirklich zu schätze weiß, auch wenn ich mir das oft nicht anmerken lasse.

Ich will dir auch schreiben, dass du mir hilfst, selbst wenn es kaum bemerkbar ist, du tust es dennoch, auf irgendeiner, nicht definierbaren Ebene.

Dass du die Einzige bist, die Betty auch nur annähernd ein ganz klein wenig ersetzten kann. Ja Oma, du bist im Moment soviel gleichzeitig, meine Oma und meine Freundin und auch mein Vorbild, in so ziemlich allem, mal abgesehen vom Auto Fahren.

Und ganz zum Schluss muss ich noch los werden, dass du in Zukunft doch bitte etwas öfter die Bremse bedienst, wenn wir auf der Straße unterwegs sind, wenigstens wenn ich im Wagen sitze und ein bisschen weniger oft das Gaspedal und mit ein wenig mehr Gefühl fährst, so wie du mir immer begegnest – mit Gefühl und nicht mit etwas zu vielen Aggressionen und dem Kick irgendwie einen Unfall zu bauen.

Bitte, Betty musste ihr Leben lassen, ich will meines im Moment wirklich nicht verlieren, schon gar nicht wegen deinen Auto Künsten und noch viel weniger will ich dich verlieren Oma, weil ich dann ganz allein wäre und weil ich das nicht überleben würde und weil ich dich lieb habe.

Wirklich lieb!

Du bist eine absolut tolle Frau.

Alles Liebe

Deine Leica

***


Fein säuberlich verschließe ich den Briefumschlag und schreibe in Großbuchstaben „FÜR DIE BESTE OMA DER WELT!" darauf. Es fühlt sich befreiend an und gleichzeitig wunderschön einen solchen Brief geschrieben zu haben und deshalb beschließe ich ihn sogleich an den Mann zu bringen. Einen Rückzug kann und will ich mir heute nicht wieder leisten.

Ich danke Gottes, dass er mich begleitet, als ich die Treppen hinunter hüpfe. Ein wenig überspiele ich damit meine Nervosität. Es geht mir dennoch relativ gut.

Die Türe zu Omas Wohnung steht wie immer sperrangelweit offen und ich muss etwas grinsen, weil es so typisch Oma ist und weil es mir zeigt, dass sie mich jeder Zeit recht herzlich willkommen heißt. Mich und jeder andere rein theoretisch auch. Betty war jedenfalls auch immer einfach so hier herein gekommen, meist singend oder tanzend und sicherlich nicht so leise wie ich in diesem Moment. Auf sich aufmerksam gemacht, das hatte meine Freundin definitiv immer.

Ich hasse mich selbst dafür, dass ich schon wieder an sie denke, an Betty und es treibt mir die Tränen in die Augen, weil ich nie wieder gemeinsam mit Oma im Wohnzimmer sitzen und auf Bettys Ankunft warten werde. Wenn sie zum Beispiel von der Therapie kommt und uns im Anschluss direkt einen Besuch abstattet. So laut pfeifend, dass man sie schon kommen hört, als sie noch sich noch zwei Straßen entfernt befindet.

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