| 46. DEMONS

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Der Friedenswächter schnaubte angesichts des falschen Enthusiasmus und nahm einen Schluck von dem tiefvioletten Getränk, das ihm ein Mann mit feuerroter Haartolle aufgedrängt hatte. Es schmeckte genauso künstlich wie er vermutet hatte, was ihn dazu veranlasste, den Inhalt in die Topfpflanze rechts von ihm zu schütten.

Alle um ihn herum waren in elegante Roben und teure Anzüge gekleidet; alle waren sie herausgeputzt, hatten in Parfum gebadet, und sich kopfüber in einen Tuschkasten gestürzt. Kaum jemand sah aus wie ein gewöhnlicher Mensch; im Gegenteil, die meisten wirkten, als könnten sie jederzeit bei einer extravaganten Zirkusshow mitmachen.

Er passte nicht hierher - in seinen dunklen Kleidern, dem militärischen Haarschnitt, und der abweisenden Miene, die auf seinem Gesicht lag.

Genauer gesagt wusste er nicht einmal mehr, wieso er die Einladung seines Bruders überhaupt angenommen hatte.

Sprach man vom Teufel, drang auch schon Senecas dröhnendes falsches Lachen an sein Ohr.

Er wandte den Kopf, sah seinen Bruder, mit einem breiten Grinsen auf den Lippen, wie er Versprechungen machte, die er ohnehin nicht vorhatte, einzuhalten.

Thor schnaubte erneut. Das hier war nicht seine gewohnte Umgebung - mit dieser Welt, die sein Bruder so liebte, eine Welt aus falschen Vorstellungen, versteckten Lügen, abgenutzten Luxusgütern und billigem Glamour, wusste er rein nichts anzufangen.

Immer mehr Personen drängten sich an ihm vorbei, ließen sich in die purpurfarbenen Samtsessel sinken, die Hände um voll beladene Teller geklammert.

Im hinteren Bereich der Loge hatte man ein prächtiges Mittagsbuffet aufgebaut, an dem man sich alles nehmen konnte, was das Herz begehrte, doch Thor hatte selten weniger Appetit verspürt.

Er sehnte sich nach dem einfachen schmucklosen Sandwich, das er sonst um diese Uhrzeit von einem Imbiss abseits der Hauptstraßen kaufte, bevor er seine Schichten im Untergrund des Kapitols absolvierte.

Wieso war er überhaupt hier?

Die Frage überkam ihn aufs Neue, und sie mit der Tatsache abzuspeisen, dass sein Bruder ihn eingeladen hatte, verursachte ihm ein merkwürdiges Ziehen im Magen.

Der Geruch nach gerilltem Fleisch, frischem Obst und heißer Suppe vermischte sich mit den aufdringlichen Parfümdüften, und Thor spürte Übelkeit in sich aufkommen. Nein, er hatte definitiv keinen Hunger.

»Mr. Crane?«

Thor sah auf, bevor er realisierte, dass die folgende Frage wohl eher an seinen Bruder gerichtet sein würde. Das war schließlich Senecas Reich und er hatte hier - theoretisch - nichts verloren.

Doch gerade als er den Blick senken wollte, fing er aus dem Augenwinkel den erwartungsvollen Ausdruck Mr. Eduardsos auf, und gleich daneben die missbilligende Miene seines Bruders.

Offenbar hatte Seneca ihn etwas gefragt.

Oder es war dieser blauhaarige Idiot gewesen.

Vollkommen egal, am Ende waren sie beide Sklaven des Kapitols.

Wie du, spottete sein Unterbewusstsein, doch Thor ignorierte es gekonnt.

born to die ✘ the hunger games [1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt