Kapitel 10

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Obwohl ich es bereits geahnt hatte, brachte mich dieser Satz aus der Fassung. Ich würde aller Wahrscheinlichkeit nach in den nächsten Stunden in den Händen einer geheimen und ganz offensichtlich nicht zu irgendeiner Regierung gehörenden Organisation sterben. Nun ließ sich meine Angst nicht mehr verbergen. Ich begann zu schwitzen und zitterte nun am ganzen Körper. Mitleidig sahen die Zwillinge erst sich und dann mich an. „Wir wissen nicht, ob es dir genauso ergehen wird. Du bist anders als die Anderen." Wandas Stimme war so ruhig und beruhigend, und trotz ihres Akzentes klang sie so vertraut. Ich war trotzdem nicht überzeugt. „Was haben sie denn mit mir vor?" fragte ich. Wieder tauschten die beiden einen Blick und Pietro setzte zu einer Erklärung an. „Sie forschen hier an Waffen. Wir sind die Stärkste, die sie bis jetzt entwickelt haben. Aber zwei reichen nicht. Deswegen hat Strucker weitergeforscht und nachdem Subjekt um Subjekt gestorben ist, hat er beschlossen auf seine versteckten Mutanten zurückzugreifen. Du hattest einfach Pech. Er hat in uns übermenschliche Kräfte freigesetzt, mit denen wir unsere Stadt vom Krieg erlösen können. Im Gegenzug dienen wir als seine Waffen." Er sah seine Schwester an und nahm ihre Hand. Sie redete weiter. „Das einzige, was du tun kannst ist mitmachen. Du wirst irgendwann ohnmächtig werden. Denk immer an die, denen du helfen kannst, wenn alles vorüber ist, wenn die Schmerzen vorbei sind und der Körper sich wieder wie der Körper anfühlt und bewegen lässt."

„Wenn...... Ihr rechnet nicht wirklich damit, dass ich überlebe, oder?" Ein Kloß hatte sich in meinem Hals gebildet. Sie antworteten nicht, doch ihre Blicke sagten genug. Stöhnend stellte ich meine Arme auf meine Knie und barg den Kopf in meinen Händen. Ich rieb mir einige Male übers Gesicht und richtete mich wieder auf. „Angenommen, ich überlebe. Was verändert sich an mir? Ich bin doch schon mutiert." „Das weiß niemand. Die Macht des Zepters ist unberechenbar. Pietro ist wahnsinnig schnell, wie du bereits gemerkt hast. Und ich.... Ich nehme Gedanken wahr und kann sie kontrollieren." Mit offenem Mund beobachtete ich, wie die Glühbirne an der Decke sich langsam aus der Fassung schraubte. Das Licht ging aus, doch wurde es dank der Neonröhren im Labor nicht komplett dunkel. Die Glühbirne schwebte einen Moment vor meinem Gesicht und schraubte sich anschließend wieder in die Fassung. Das Licht ging an und Wanda starrte mich mit aufgerissenen Augen an. „Es...Es tut mir Leid." Verwirrt sah ich zurück. „Das mit deinem Freund.... Das ist so grausam... Ich fühle mit dir." Sie ergriff meine Hand und hielt meinen Blick fest. „Ich möchte etwas ausprobieren." „Wanda -" setzte Pietro an, doch sie unterbrach ihn mit einer Bewegung ihrer freien Hand. „Ich weiß, was ich tue." „Nein, das weißt du nicht, sie hat schon genug leiden müssen!" In seinem Blick mischten sich Mitleid und Zorn. „Du verstehst es nicht, es könnte ihre einzige Chance sein!" Und bevor er noch etwas erwidern konnte hatte sie ihre freie Hand nach meinem Gesicht ausgestreckt und hielt sie kurz vor meiner Schläfe in der Luft. Ich nahm einen roten Schimmer war und plötzlich waren die Zwillinge verschwunden.

Ich war allein in dem Zellcontainer. Die Glühbirne über mir flackerte leicht. Verwirrt sah ich mich um. Die Tür stand offen. Ich erhob mich und ging langsam und mit zitternden Schritten auf die Tür zu. Vorsichtig schob ich sie ein wenig weiter auf. Auch das Labor war leer. Bis auf zwei am hinteren Ende der Halle leuchtete keine Neonröhre. Die vielen Wissenschaftler waren ebenfalls verschwunden. Mit einem Mal tauchte ein kleines Licht neben mir auf. Es flirrte um mich herum und schwebte dann in Richtung der leuchtenden Röhren. Beinahe automatisch folgte ich ihm. Ich durchschritt die Reihen von Labortischen, auf denen nun keine Geräte mehre standen. Stattdessen lagen große weiße Laken über Dingen, die stark nach menschlichen Körpern aussahen. Mir war klar, dass es sich dabei um die anderen Versuchssubjekte handeln musste. Doch aus irgendeinen Grund hatte ich keine Angst. Ich wusste, dass ich bald auch hier liegen würde. Ich erreichte das Ende der Reihen. Vor mir stand ein kleines Podest, das von den Röhren beleuchtet wurde. Neugierig trat ich näher. Ein weiterer Körper, nur deutlich kleiner. Auf einem Operationstisch, umgeben von seltsamen Geräten. Chirurgische Werkzeuge auf einem Beistelltisch. Und über dem Körper, an einer seltsamen Aufhängung befestigt, hing ein großer goldener Stab. Er endete in einer Art sichelförmigem Gehäuse, in dem sich ein hell leuchtender Stein befand. Er pulsierte und strahlte ein kaltes Licht aus. Ich kannte diesen Stab, aber ich konnte mich nicht mehr erinnern woher. Plötzlich erschien Dr. List. Er schien mich nicht wahrzunehmen und machte sich an einer der Gerätschaften zu schaffen. Er stellte ein ähnliches Gerät wie der falsche Doktor es benutzt hatte auf einen Tisch und begann zu reden. Ich verstand nicht, was er sagte, dich er zog sich Handschuhe an und begann, einige Werkzeuge und Geräte vorzubereiten. Währenddessen ging ich langsam um den Tisch herum und beäugte den Körper. Es steckte noch Leben in ihm, zumindest hob und senkte sich die Brust. Dr. List griff durch mich hindurch und zog das Laken weg. Vor mir lag meine kleine Schwester.

Entsetzt sah ich, wie er einige Instrumente an ihrem Körper befestigte und ihre kleinen Hände festschnallte. Ich schrie und versuchte, ihn von meiner Schwester wegzustoßen. Aber ich konnte nichts ausrichten. Meine Hände gingen einfach durch ihn hindurch und ich stolperte gegen denn Tisch. Dieser bewegte sich keinen Zentimeter. Vollkommen machtlos musste ich zusehen, wie Dr. List sich mit einer Spritze über Evas Körper beugte und sie ihr in den Arm drückte. Dann befestigte er eine Kanüle an ihrem Handgelenk, über die eine eigenartige Flüssigkeit in ihren Körper floss. Das Zepter begann stärker zu leuchten und einige blaue Blitze zuckten über unseren Köpfen. Zufrieden beobachtete Dr. List die Prozedur. Er machte sich einige Notizen und ging um Eva herum. Plötzlich begannen ihre Arme und Beine unkontrolliert zu zucken und ihr Kopf flog hin und her. Schreiend sprang ich auf sie zu, wollte sie festhalten, doch ich konnte immer noch nichts bewegen. Dr. List war aufgesprungen und machte sich an einigen Geräten zu schaffen. Als jedoch einige Schläuche rissen und das Zepter aufhörte zu leuchten, gab er es auf und beobachtete den Todeskampf meiner kleinen Schwester. Schreiend fiel ich neben dem Tisch auf die Knie und versuchte verzweifelt, etwas zu tun. Das Zucken hörte auf und Eva öffnete ihre Augen. Sie blickte mich direkt an und ihre Lippen formten ein einziges Wort : „Warum?" Dann verschleierte sich ihr Blick und sie starb. Der Raum begann sich zu drehen und es wurde dunkel.

Nach Luft schnappend kam ich auf dem Boden des Containers wieder zu mir. Ich wollte mich bewegen und schlug um mich, als ich bemerkte das ich es nicht konnte. Starke Arme hielten mich fest. Eine Stimme flüsterte mir ins Ohr. „Beruhige dich, es ist nicht echt, alles ist gut, es ist nichts passiert, du bist in Sicherheit." Nach einem kurzen Moment begriff ich , zu wem die Stimme mit dem fremden Akzent gehörte. Ich drehte den Kopf und sah Pietro, der hinter mir auf dem Boden saß und mich festhielt. Ich hatte anscheinend während meiner Ohnmacht um mich geschlagen, denn der Stuhl und die Bank lagen auf dem Boden. Wanda kniete sich vor mich und ergriff meine Hand. „Es tut mir so leid." flüsterte sie, und in ihrem Blick sah ich, dass sie es so meinte. Pietro ließ zu, dass ich mich aufsetzte, ließ aber zur Sicherheit seine Hand auf meinem Rücken ruhen. Ich war schweißgebadet und bemerkte erst jetzt, dass ich eine Gänsehaut hatte. Ich holte einige weitere Male tief Luft. Langsam beruhigte sich mein Herzschlag und mein Kopf wurde ein wenig klarer. „Das... das war nicht echt?" stieß ich hervor. Wanda schüttelte den Kopf. „Das war ich. Ich habe dir gezeigt, wovor du dich fürchtest. Das ist, was passieren könnte wenn du es nicht schaffst." Sie senkte den Blick und starrte den Boden an. „Wenn ich sterbe holen sie meine kleine Schwester?" Die kurze beruhigte Phase war vorbei. Ich begann wieder zu zittern und mein Herzschlag beschleunigte sich wieder. „Nein, es könnte passieren." Sie richtete ihren Blick auf Pietro und schreckte zurück. „Sieh mich nicht so an. Du weißt, dass das zur Routine gehört und wir ihnen so eine Chance geben!" „Aber die Anderen haben sich freiwillig gemeldet. Sie hat so schon genug Ängste, hast du das nicht bemerkt?" Er war wütend, und seine Schwester überrascht. „Ich... Es tut mir leid... Ich habe nur getan, was nötig war." verteidigte sie sich. „Wieso musste ich das sehen?" fragte ich deutlich ruhiger als ich war. Mit Pietros Hilfe stand ich auf und wartete auf Wandas Antwort. „Du brauchst etwas, woran du festhalten kannst, einen Grund weiterzumachen und nicht aufzugeben." In ihrem Blick lag so viel Überzeugung. „Wieso gebt ihr euch mit mir so große Mühe? Warum soll ich unbedingt überleben?"

Pietro trat wieder zu Wanda und legte eine Hand auf ihre Schulter. Sie tauschten einen kurzen Blick und Pietro erklärte mit gepresster Stimme: „Wir wollen den Bürgerkrieg beenden. Sokovia ist unsere Heimatstadt, und es tut weh sie so zu sehen, zu sehen wie sich die Bewohner gegenseitig bekämpfen. Aber das können wir nicht alleine. Strucker hat damals behauptet, dass wir Teil einer Gruppe werden, die die Stadt retten und den Frieden wiederherstellen kann. Wanda und ich sind nur zu zweit und Strucker hält uns zurück. Er ist der Meinung, dass wir noch nicht bereit sind. Wir haben jede Hoffnung aufgegeben, nachdem die anderen einer nach dem anderen gestorben sind. Du bist so etwas wie unsere letzte Hoffnung. Wir brauchen dich." Vor lauter Erstaunen verschlug es mir die Sprache. Ich sollte kämpfen? Eine Waffe werden? Für einen Krieg, von dem ich bis vor wenigen Augenblicken nichts wusste? Ich betrachtete die Maximoffs und plötzlich hatte ich dieses Gefühl, am richtigen Ort zu sein. Mir war bewusst, dass ich dieses Gefühl nicht haben sollte. Trotzdem war es da. Überrascht über mich selbst machte ich einen Schritt auf die Zwillinge zu und legte jedem von ihnen eine Hand auf die Schulter. Und aus meinem Mund kamen Worte, die ich nicht kontrollieren konnte, sie kamen einfach heraus, fühlten sich richtig an und besiegelten mein Schicksal: „Sollte ich sterben, passt auf meine Schwester auf wenn sie hierherkommen sollte. Ich werde mein Bestes geben, aber versprechen kann ich nur eins: Sollte ich überleben, werde ich mit euch kämpfen."

BlackoutWhere stories live. Discover now