Kapitel 9

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Mitten in der Nacht wachte ich schweißgebadet auf. Jedenfalls fühlte es sich wie mitten in der Nacht an. Ich konnte einfach nicht wieder einschlafen, also setzte ich mich auf und betrachtete meine Umgebung ein wenig genauer. Außer einer Art metallener Beistelltisch befand sich nichts in dem kleinen, von steinernen Wänden umgebenen Raum. Es schien sich um eine Art Zelle zu handeln. Jedenfalls gab es für mich keine Möglichkeit, die Tür von Innen zu öffnen. Es gab keine Toilette, nur einen großen Spiegel an der Wand über dem Beistelltisch. An der Decke brannte eine kleine Lampe. Seufzend ließ ich mich zurück auf das überraschend gemütliche Bett fallen und starrte an die graubraune Decke. Die gesamte Einrichtung erinnerte mich an einen Bunker. Ich schloss die Augen und versuchte verzweifelt, nicht allzu viel nachzudenken. Es gelang mir einfach nicht. Langsam begannen sich die Dinge in meinem Kopf zwar zu ordnen, trotzdem machten sie mir nicht weniger Angst, nur weil sie plötzlich so etwas wie Sinn ergaben. Ich war also ein Mutant, schon mein Leben lang, und dank des Arztes bemerkte ich meine Kräfte erst jetzt. Dieser Baron von Strucker schien der Kopf des Ganzen zu sein. Jedenfalls hatten alle Menschen in dem Raum mit den vielen Büchern großen Respekt vor ihm, selbst die, die seine Pläne und Methoden angezweifelt hatten. Da waren die Maximoffs, die anscheinend ebenfalls besondere Kräfte zu haben schienen. Er war schnell, doch was sie war wusste ich nicht. Sie hatte sich um den netten Mutantenarzt gekümmert, also hoffte ich auf keine brutalen Kräfte. Sie hatte dafür gesorgt, dass mich auf keinen Fall jemand finden würde.... Ich musste an meine Familie denken. Ich fragte mich, ob man mich bereits suchte. Oder ob die Suche bereits eingestellt war. Ich hatte immer noch keine Ahnung, wie lange ich mich bereits in den Händen dieser Menschen befand. Versunken in meine Grübeleien glitt ich wieder in einen unruhigen Schlaf.

Ich wurde durch ein unsanftes Rütteln an der Schulter geweckt. „Du musst aufstehen, es ist Zeit für dich." Marina stand über mir, einige Klamotten in der Hand haltend. „Ich bringe dich jetzt in ein Badezimmer. Dann hast du zehn Minuten Zeit um dich fertigzumachen." Sie warf die Sachen auf das Bett und verschränkte die Arme. Verwirrt befolgte ich ihre Befehle und stand auf. Ich öffnete den Mund um etwas zu fragen, doch sie schnitt mir das Wort ab. „Keine Fragen. Kein Widerstand. Du tust, was ich sage und nachher unterhalten wir uns ausgiebig. Du musst dich beeilen." Zögerlich tat ich was sie sagte. Irgendwie hatte ich das dumpfe Gefühl, gestern zu schnell Vertrauen gefasst zu haben. Sie zeigte keinerlei Emotionen und ließ laut ihrem Blick auch keine Widerrede zu. Also schwieg ich und folgte ihr den Gang hinunter zu einer ausnahmsweise normalen Tür ohne Schloss. Sie bedeutete mir hineinzugehen und positionierte sich an der Wand gegenüber. „Du hast zehn Minuten." Mehr sagte sie nicht und ich betrat zum ersten Mal ein Badezimmer, seit ich Svens Leiche gefunden hatte.

Es war nicht so schlimm wie erwartet. Das Bad ähnelte dem in meiner Wohnung in keinster Weise. Es gab eine Dusche, ein Klo und ein Waschbecken. Und einen Spiegel, den ich jedoch mied. Ich zog mich aus und stieg unter die Dusche. Das Wasser war eiskalt, doch ausnahmsweise war mir das sogar willkommen. Wenigstens wurde ich so ein wenig wacher. Mein verwirrter Kopf klärte sich und mein Verstand begann wieder zu arbeiten. Allerdings wäre ich gerne noch eine Weile in dem verwirrten Zustand geblieben, denn jetzt, wo ich die Zusammenhänge erkannte, wurde meine Angst wieder größer. Als ich aus der Dusche stieg und die Klamotten von Marina, die sich als eine Art Trainingsanzug entpuppten, anzog fiel mein Blick auf den Spiegel. Ich sah fürchterlich aus. Meine Haare waren zwar gewaschen, aber dennoch ein einziges, nasses Durcheinander. Unter meinen Augen lagen tiefe, dunkle Augenringe. Das Ergebnis einer schlaflosen Nacht voller Alpträume, in denen hauptsächlich Eva, Strucker, Sven und der schnelle Mann mit seiner Schwester auftauchten. Alle verfolgten sie mich durch ein dunkles Labyrinth, wobei der schnelle Mann immer wieder vorauseilte um mir den Weg abzuschneiden, wodurch ich zum Abbiegen gezwungen wurde. Jedes Mal endete die Jagd damit, dass ich in ein großes, dunkles Loch stürzte und schweißgebadet in der Zelle aufwachte. Ich strich mir meine Haare aus dem Gesicht und benetzte es noch einmal mit kaltem Wasser aus dem Waschbecken. Erst jetzt bemerkte ich, wie groß mein Hunger war. Als ich auf den Flur hinaustrat, hielt Marina mir ein kleines Brötchen unter die Nase. „Iss." Das musste sie mir nicht erst sagen. Gierig biss ich hinein und in wenigen Augenblicken hatte ich es komplett verschlungen. Marina lächelte mich an. In ihrem Lächeln lag etwas trauriges. Sie hatte also doch Gefühle. Oder gab es vor. Ich beschloss ihr zu glauben. Etwas vertrauteres und menschlicheres würde ich hier nicht finden, und so klammerte ich mich an dieses Lächeln. Sie legte eine Hand auf meine Schulter und bedeutete mir so mich in Bewegung zu setzen.

Sie lotste mich durch einige Gänge zu einem Fahrstuhl. Ich wurde nervös. Die Angst war nicht komplett verschwunden, sondern durch ihre ständige Anwesenheit so etwas wie ein Teil von mir geworden. Marina öffnete die Türen des Fahrstuhls mit einem Code. Ich musste mich an einem wichtigen Ort befinden. Auf jeden Fall gab es kaum eine Tür, die nicht mit einem Zahlencode gesichert war. Meine Fluchtmöglichkeiten waren also sehr begrenzt. Aber warum sollte ich auch fliehen? Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand. Und wer wusste, was sie gleich mit mir machen würden. Marina schob mich in die kleine Fahrstuhlkabine und stellte sich vor die Tür. „Unten wirst du von Dr. List in Empfang genommen. Er wird dir alles nötige erklären. Ich werde dich hier erwarten." Sie leierte alles wie eine Aufnahme herunter. Sie sah mir in die Augen und nahm meine Hand. „Viel Glück" flüsterte sie. Sie sah so traurig aus, und plötzlich wusste ich, dass sie nicht damit rechnete mich noch einmal wiederzusehen. Die Türen schlossen sich und das letzte, was ich sah war Marina, die sich abwandte. Dann setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung und ich fuhr eine lange Zeit nach unten.

Die Türen öffneten sich nach einer gefühlten Ewigkeit und ich stand vor einem der Männer, die ich gestern in Begleitung von Strucker gesehen hatte. Er lächelte mir zu und reichte mir die Hand. „Ich bin Dr. List, freut mich endlich mit ihnen sprechen zu können." Verwirrt ergriff ich sie und er zog mich aus der Kabine. Er ließ meine Hand los und ich nutzte den kleinen Moment, in dem er nach jemandem rief um mich umzusehen. Ich befand mich in einer Art Labor. So hatte ich mir jedenfalls immer ein Labor vorgestellt. Die Wände waren kaum zu erkennen, so dunkel war es. Die einzigen Lichtquellen waren Neonlampen, die Reihen von Tischen mit seltsamen Geräten beleuchteten. Menschen in weißen Kitteln wuselten hin und her und trugen Klemmbretter, Proben und Werkzeuge durch die Gegend. Zwischendrin waren immer wieder schwarz gekleidete Männer mit Waffen zu entdecken. Meine Angst drängte sich wieder in den Vordergrund. Der Sinn dieser Einrichtung erschloss sich mir immer noch nicht. Mein Bauch signalisierte mir, dass ich mich an einem schlechten Ort aufhielt. Dr. List winkte in eine Ecke des Raumes und die Maximoffs lösten sich aus dem Schatten. Lächelnd wandte Dr. List mir zu. „Die Zwillinge werden sie jetzt über ihre Rolle informieren und anschließend beginnen wir mit Stufe 2. Ich wünsche ihnen viel Glück." Mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand in dem Gewusel aus Wissenschaftlern.

Ich folgte den Zwillingen in einen kleinen Raum, der mich stark an meine Zelle erinnerte. Allerdings befand sich dieser in einer Art Container mitten im Labor. „Setz dich auf den Stuhl." sagte der schnelle Mann. Ich wusste immer noch nicht, wie er hieß. Ich setzte mich auf den Stuhl und die Zwillinge nahmen gegenüber auf einer Bank Platz. Eine Weile sagte niemand etwas, die Beiden beobachteten mich nur. Unbehaglich rutschte ich auf dem kalten Metallstuhl hin und her und vermied es, ihren Blicken zu begegnen. Schließlich begann Wanda zu sprechen. „Wir sollten uns beeilen. Pietro, du machst den ersten Teil." Ihr Akzent war nicht so stark wie der ihres Bruders. Pietro also. Dieser seufzte und handelte sich damit einen Stoß mit dem Ellenbogen seiner Schwester ein. „Wir machen das hier nicht zum ersten Mal. Strucker will, dass wir die weiteren Subjekte irgendwie vorbereiten. Er erhofft sich damit eine höhere Erfolgsquote... Allerdings hat es außer uns noch niemand geschafft." Ich musste wirklich sehr dumm aus der Wäsche gucken, denn Wanda lehnte sich jetzt vor und erklärte ruhiger: „Wir sollen dir dabei helfen, das Kommende zu überstehen. Allerdings können wir auch nicht mehr tun, als dir möglichst viel zu erklären. Wir können dir nicht wirklich helfen." Langsam begann ich zu verstehen. „Was meinst du mit der Erfolgsquote?" fragte ich Pietro. „Wir sind bisher die einzigen, die es bis in Stufe 3 geschafft haben." Er hatte die Arme verschränkt und musterte mich immer noch. Ich verschränkte meine Arme ebenfalls, um zu verbergen wie sehr ich inzwischen zitterte. „Was ist mit den anderen passiert?" fragte ich, obwohl ich mir die Antwort bereits denken konnte. Schließlich machten alle ein großes Gewese um die Tatsache, dass ich ein Mutant war, und anscheinend sollten meine mutierten Gene ein bisher beinahe immer auftretendes Phänomen verhindern. Pietro bestätigte meine Theorie, indem er nüchtern sagte: „Sie haben es nicht überlebt."

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