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ie Zeit vergeht schleichend, aber unsere Abreise kommt näher und näher. Ich kann es kaum erwarten, wieder ins Studio zu kommen. Ich habe neue Beats und auch schon ein paar Texte dazu, es wird großartig.


Die Koffer vor mir sind noch leer, aber ich gedenke, sie im Laufe der nächsten 24 Stunden zu füllen. Unser Flug geht übermorgen, aber es fühlt sich noch viel länger an. Hier vergeht die Zeit nur schleichend, leider.

Besonders viel von Korea gesehen habe ich jetzt auch nicht. Nur einen kleinen Teil von Seoul, mehr nicht.

Eva war ein paar mal weg, hat mich aber nie mitgenommen. Zum Teil war das auch die Schuld meiner Verletzung am Kopf. Daran ändern konnte ich jetzt auch nichts mehr.

"Was machst du?", fragt Eva hinter mir und ich zucke zusammen, lasse mein Handy fallen. Es landet auf meinem linken Fuß, was mich aufheulen lässt. "Sorry", bemerkt sie, hebt das Handy auf, während ich mich auf mein Bett fallen lasse, dramatisch wimmere.

"Ich habe in Frieden überlegt, wie ich mein Zeug wieder in den Koffer packen soll, dann bist du aufgetaucht, hast mich erschreckt", heule ich und reibe meinen Fuß, schmolle gespielt. Eva setzt sich neben mich.

Mir fällt auf, dass sie diesen Ausruck in den Augen hat, den sie immer hat, wenn sie mir etwas unangenehmes sagen muss. Sofort höre ich auf, an meinem Fuß herumzufummeln und nehme eine ähnliche Position wie Eva ein. Rücken gerade, Hände gefaltet, Beine zusammen.

"Was ist los?", will ich wissen und gebe ihr einen sanften Schubs von der Seite. Es kann nichts Gutes sein, wenn sie schon so dreinblickt. "Du kannst mir alles sagen."

"Zuerst musst du mir versprechen, mich nicht umzubringen", erwidert sie und mir wird kalt. Sie will irgendetwas von mir und es wird mir wahrscheinlich nicht gefallen.

Nein. Ich lasse mich nicht wieder um ihren Finger wickeln.

"Ich will dich jetzt schon erwürgen, also gebe ich keine Versprechen. Jetzt sag mir, was nicht stimmt, was du von mir willst", fordere ich sie auf und mache ein Handzeichen. Meine falsche Selbstsicherheit wird von ihr sofort wahrgenommen und ich kann sehen, wie sie einen Plan schmiedet.

Shit.

"Wir bleiben noch ein wenig länger in Korea, Ash." Ehe ich reagieren kann, fährt sie fort. "Heute morgen habe ich eine Email von Bighit bekommen."

"Erstens, nein. Zweitens, wer zur Hölle ist Bighit?"

"Bighit ist das Management von BTS, du erinnerst dich doch noch an die sieben Jungs?", grinst sie, während ich wieder rot werde, an meinen Fall denken muss. "Sie wollen, dass wir zusammen mit BTS an einer Show teilnehmen. Genauer gesagt wollen sie, dass einer von uns mit einem von BTS da mitmacht."

"Dann kannst du das ja machen und ich fliege zurück nach Amerika", schlage ich vor, weiß aber schon tief in mir drin, dass sie mich nicht gehen lassen wird. "Hier in Korea fühle ich mich eingesperrt, es gefällt mir hier wirklich nicht."

Eva hebt eine Augenbraue und schüttelt den Kopf. "Sie brauchen eine gute Sängerin."

"Du kannst auch singen", versuche ich es, doch ich klinge selbst nicht gerade von meinem Argument überzeugt.

"Aber nicht besonders gut. Außerdem brauchen sie auch eine gute Produzentin. Mit anderen Worten: sie brauchen dich und nicht mich", zuckt sie mit den Schultern, holt ein Päckchen Kaugummi aus ihrer Hosentasche. Sie hält es mir hin, doch ich lehne ab.

"Hast du zugesagt?" Ich weiß nicht, wieso ich überhaupt frage. Natürlich hat sie zugesagt, ohne mich zu fragen. Sie bereut es wahrscheinlich nicht einmal.

"Jap. Übermorgen ist die Besprechung bei Bighit. Unseren Rückflug nach Amerika habe ich auf unbestimmte Zeit verschoben." Als sie es ausspricht, trifft es mich wie ein Zug. Von wegen bald wieder im Studio. Zuerst muss ich die Jungen wiedersehen, vor denen ich mich wie ein Idiot auf die Nase gelegt habe.

"Willst du mich verarschen?", rutscht es mir heraus, ehe ich mich bremsen kann und stehe auf, fahre mir ungläubig durch die Haare. "Hättest du mich nicht einfach fragen können, Eva?"

"Du hättest sowieso nein gesagt", antwortet sie und steht ebenfalls auf, legt eine Hand auf meine linke Schulter. "Tu nicht so, als wäre das jetzt ein Weltuntergang."

"Aber das ist ein Weltuntergang!", rufe ich und mache einen Schritt von ihr weg. "Einer von denen hat die Schnitte an meinen Armen gesehen, hat's wahrscheinlich den anderen erzählt und selbst wenn nicht, dann bin ich trotzdem vor ihnen auf die Fresse gefallen!"

"Wo liegt das Problem?"

Ich kann nur ungläubig keuchen.

"Du hast selbst gesagt, dass dir mein Fall peinlich war. Möchtest du den Leuten, die dabei zugesehen haben, wirklich nochmal unter die Augen treten?", frage ich sie, suche in ihren Augen nach Verständnis. Mein ganzer Körper wird schon taub, wenn ich auch nur daran denke, dass ich diese Jungen wiedersehen muss.

"Das haben die sicher schon wieder vergessen", meint sie, doch wir wissen beide, dass sie das nicht haben. "Jetzt stell dich nicht an wie ein Kindergartenkind. Die meiste Zeit werde ich wahrscheinlich dabei sein, aber halt hinter den Kameras."

"Mir ist es egal, ob du dabei bist, oder nicht. Ich will sie wirklich nicht wiedersehen, bitte, Eva. Ich will ihnen nicht in die Augen sehen müssen, während ich meine ganzen Bewegungen wie eine Maschine analysiere, um nicht wieder irgendetwas Dummes zu tun", flehe ich und nehme ihre Hand. "Bitte, Eva. Sag einfach ab."

Eva nickt, sie setzt das liebevolle Lächeln auf, mit dem sie mich früher immer angesehen hat. Heutzutage trägt sie es nicht mehr so oft.

"Ich", beginnt sie, aber sie sucht noch nach den passenden Worten, muss eine kurze Pause machen. "Ich verstehe deine Gefühle, Asha. Du hast Angst vor den richtenden Blicken, das kann ich dir nicht verübeln. Aber..."

Eva sieht zur Seite.

"Aber?"

"Aber ich werde jetzt nicht mehr absagen. Das hier ist eine einmalige Chance, unsere Popularität in Asien zu erweitern." Meine Hoffnungen stürzten über mir ein, als sie meine Hand drückt und weiterhin dieses verfluchte Lächeln trägt, das meine Verteidigung durchbrechen wird, wenn sie es aufbehält.

Da fällt es mir auf. Es ist nicht echt, es versteckt einfach nur Evas wahre Absichten, es ist ein Mittel zum Zweck. Es ist eine Waffe gegen mich.

"In Amerika ke-"

"Du warst doch früher diejenige von uns beiden, die von einer Welttournee geträumt hat, oder?", will sie wissen, weiß genau, wo sie mit ihren Worten ansetzen muss. Mein Schutzwall beginnt, zu bröckeln.

"J-ja, aber-"

"Für eine Welttournee brauchen wir auch Asien", unterbricht sie mich. Ich kann ihrem Blick nicht entkommen, kann nicht wegsehen. Mein Herz rutscht mir in die Hose. "Also musst du Asien von den Ripped Roses überzeugen, verstanden? Nur dann können wir dir deinen Traum erfüllen."

Ich stehe an der Schwelle zwischen meinem eigenen Willen und meinem Herzen. Eva, die sich wie ein Parasit an mein Herz gekettet hat und es gegen mich benutzt, zieht mich herab.

Hast du keine Träume mehr?, ruft es mir von weitem zu und zeigt in die große, dunkle Leere hinter sich. Oder hast du dich der Leere hingegeben? Hast du deine Gefühle vollkommen vernichtet?

"Gut", gebe ich viel zu schnell nach und Eva fällt mir freudig um den Hals. "Ich werde es machen."

Ripped Rose - JiminWhere stories live. Discover now