2. Kapitel Elle

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"Tut mir leid, ich hab dich nicht gesehen". Er hat dunkelbraune Augen und ein umwerfendes Lächeln. Seine braunen Haare stehen ein wenig ab, so dass man am liebsten mit den Fingern hindurch fahren möchte. Wie kann er in einer in einem schwarzen Shirt und einer Jeans nur so gut aussehen? Ich beiße mir auf die Lippe und sehe zu ihm auf. "Was macht ein Mädchen wie du ganz allein hier?" fragt er und vergräbt die Hände in den Hosentaschen. So leicht würde ich mich nicht um den Finger wickeln lassen, nur weil er unverschämt gut aussieht. "Wieso sollte das Mädchen, das dich gerade seit ein paar Minuten kennt, dir auf so eine neugierige Frage antworten?" kontere ich. Sein tiefes Lachen vibriert durch meinen Körper. Er ist anders. Die meisten Jungs bezeichneten mich als zickig oder arrogant, nur weil ich ihnen nicht gleich hinterher renne. Aber ihn kann ich zum Lachen bringen und er hat nach meiner Bemerkung noch nicht einmal das Interesse an mir verloren.
"Ich fliege mit meinem Vater nach London" antworte ich auf seine Frage.
"Du siehst aber nicht gerade so aus, als würdest du dich darüber freuen". Es überrascht mich nicht, dass ein Junge mit mir redet. Das taten sie nämlich ständig. Aber ihn interessiert es, wie ich mich fühle. Er war nicht darauf aus, mich rumzukriegen um dann mit mir vor seinen Kumpels prahlen zu können. Zumindest hoffe ich das. "Nein, weil mein Vater ständig darüber entscheidet, was ich zu machen habe. Er behandelt mich, als wäre ich sein Koffer und nicht seine Tochter". Ich seufze. "Auch wenn er immer sagt, dass er das alles nur tut, weil er mich lieb hat". Ich bin überrascht, als er mich fragt, ob ich darüber reden will und kann ihn nur stumm ansehen. "Hat es dir jetzt die Sprache verschlagen?" fragt er schmunzelnd. "Nein, du hast mich nur überrumpelt" gebe ich zu. "Mir läuft ein Junge über den Weg, der sich anhören will, wieso es mir schlecht geht, obwohl er mich noch nicht einmal kennt. Das passiert mir nicht jeden Tag". Ich lache leicht. "Das können wir ändern". Ich sehe ihn fragend an. "Du hast gesagt, wir kennen uns nicht, dass können wir ändern" Er streckt mir seine Hand entgegen. "Ich bin Mason". Es ist schon merkwürdig, dass es sich anfühlt, als ob ich ihn wirklich besser kennen würde, nur weil ich seinen Namen nun weiß. Ich schüttelte lächelnd den Kopf und lege meine Hand in seine. "Ich bin Elle". Er lässt meine Hand los und fährt sich durch sein abstehendes braunes Haar, dann deutet er hinter mir an einen Tisch direkt an einem großen Fenster, durch das man den faszinierenden Sonnenuntergang betrachten kann.
"Wollen wir uns setzen?" fragt er. "Klar". Ich lasse mich auf den gemütlichen Sessel gegenüber von Mason fallen. "Also, wieso bist du hier am Flughafen?" frage ich und nippe an meinem Kaffeebecher. "Ich war mit meinem Bruder in Kalifornien und nun fliegen wir wieder nach London". Ich sehe ihn erstaunt an. "Du warst in Kalifornien?" Er sieht nach draußen auf die untergehende Sonne. "Ja, ich hab den Sommer bei meinem Vater verbracht". Dann sieht er mich an und ich werde das Gefühl nicht los, dass ich ihn nicht fragen sollte, wie es ihm dort gefallen hat. Die Art, wie er über seinen Vater spricht, weist nicht gerade darauf hin, dass Mason ein gutes Verhältnis zu ihm hat. "Wieso musst du nach London?" fragt er um das Thema zu wechseln. Wenn ich das nur wüsste. Ehrlich gesagt hat mir Papa nie gesagt , wieso wir gerade jetzt nach London ziehen müssen. "Mein Vater hat von einem Tag auf den anderen entschieden, dass wir zu meiner Großmama und meiner Tante Isabelle ziehen müssen. Er hat nicht einmal mit mir darüber geredet oder mir gesagt, wieso wir umziehen müssen".
"Wärst du jetzt nicht so sauer auf ihn, wenn er dir etwas davon gesagt hätte?"
Ich denke eine Weile über seine Frage nach. "Ich glaube schon. Zumindest hätte es mich dann nicht so unvorbereitet getroffen" sage ich. "Vielleicht musste deine Dad mit dir umziehen, aus einem Grund, den du bloß nicht kennst und er kann einfach nicht darüber reden" meint Mason und ich seufze. "Ja, darüber hab ich auch schon nachgedacht. Aber er weiß, dass er mit mir über alles reden kann. Ich möchte doch einfach nur in seine Entscheidungen miteingebunden werden". Mason lehnt sich zurück und schaut mich aufmerksam an. "Ich kann dich besser verstehen, als du vielleicht denkst. Man fühlt sich so, als ob über dein Leben entschieden wird ohne dass auch nur einer daran denkt, dich zu fragen, was dir gefällt und was nicht. Du kannst gar nicht so schnell gucken und schon hat sich etwas verändert. Das muss nicht schlecht sein, manchmal fühlt man sich damit einfach nur überfordert. Und dir wird nicht die Zeit gelassen darüber nachzudenken, du musst es einfach hinnehmen". Ich schaue ihn kurz erstaunt an, bevor ich lächle. "Das beschreibt es ganz gut" sage ich und er erwidert mein warmes Lächeln. "Was ist mit deiner Mom? Kommt sie nicht mit nach England?". Diese Frage trifft mich unvorbereitet. Ich kaue angespannt auf meiner Unterlippe und Mason scheint zu merken, wie unangenehm mir diese Situation ist.
"Tut mir leid, ich hätte dich das nicht fragen sollen" meint er schnell. "Nein, dass... es ist schon in Ordnung". Ich senke den Blick. "Meine Mom ist gestorben, als ich noch ganz klein war". Mason schweigt und ich schaue auf, sehe in seinem Blick, dass er ganz offensichtlich nicht weiß, was er sagen soll. "Das tut mir unglaublich leid, Elle. Es muss schlimm sein, seine Mama so früh zu verlieren". Ich weiß nicht, wieso ich ihm von mir erzähle, aber ich habe das Gefühl ihm vertrauen zu können. Ich kann nicht sagen, ob es an seinem Interesse an mir liegt oder der Sanftheit seiner Augen, wenn er mich ansieht, aber ich mag ihn. Ich mag Mason wirklich. "Ich hab damals nicht einmal richtig verstanden, wieso meine Mama auf einmal nicht mehr da war. Erst als ich älter wurde, hab ich mich damit auseinandergesetzt. Ich erinnere mich nicht sehr gut an sie, aber mein Vater hat mir viel von ihr erzählt. So hatte ich immer das Gefühl, als wäre sie noch bei mir". Unsicher sehe ich ihn an, weil ich nicht weiß, ob er nachvollziehen kann, wie ich das meine. "Das klingt vielleicht ein wenig merkwürdig"sage ich. Doch Mason schüttelt den Kopf. "Nein, klingt es nicht". Um über etwas anderes zu reden, deute ich mit einem kleinen Lächeln auf meinen Kaffeebecher. "Möchtest du? Der Milchkaffee hier ist echt gut". Nun umspielt auch seine Lippen wieder dieses umwerfende Lächeln. "Dann wollen wir doch mal sehen ob der den italienischen Kaffee übertreffen kann". Sanft nimmt er mir den Becher ab und streift dabei meine Finger. Ich spüre ein leichtes Kribbeln, doch er zieht seine Hand zu schnell weg, dass ich hätte ergründen können, was es war. Fast muss ich lachen bei dem Gedanken mich auf den ersten Blick zu verlieben. Daran habe ich noch nie geglaubt. Und werde es auch nie tun. "Du warst auch schon in Italien?" frage ich sehnsüchtig. Er nippt an meinem Kaffeebecher bevor er mir antwortet. "Ja ich war mit meiner Mom in Rom, das ist echt eine faszinierende Stadt. Du warst noch nicht viel auf Reisen, kann das sein?" fragt er mich und ich schüttle leicht den Kopf. "Mein Vater verbringt viel Zeit mit seiner Arbeit und wenn wir dann mal in den Urlaub fahren können, fahren wir die Tage meist zu meiner Großmama und Isabelle. Nur einmal bin ich mit meinen Freundinnen nach Madrid geflogen und mit Isabelle war ich letzten Sommer in Bordeaux". Mason hebt eine Augenbraue und ich lächle.
"Ich weiß, ich hab noch nicht viel von der Welt gesehen und das bedauere ich sehr". Er nimmt noch einen Schluck von meinem Milchkaffee und gibt mir den Becher dann zurück. "Das solltest du ändern. Es gibt viele schöne Städte, die dir sicher gefallen würden" meint er. "Das glaube ich. Also, wie war der Kaffee?" frage ich. "Er schmeckt gut, aber nicht besser als italienischer Milchkaffee". "Willst du mich noch eifersüchtiger machen?" frage ich und lache leicht. "Am Ende steige ich dann noch in den ersten Flieger nach Italien und lasse meinen Vater hier sitzen". Damit bringe ich Mason zum Lachen.
"Ich will dich gar nicht eifersüchtig machen, aber wenn du willst besorge ich uns zwei Tickets und wir fliegen noch heute Abend nach Italien" meint er. Auch wenn er nur scherzt, klingt es verlockend, einfach die Koffer zu nehmen und eine neue Stadt zu entdecken. "Leider muss ich mit meinem Vater nach London, aber du kannst mir gern deine Nummer da lassen und ich ruf dich an, wenn mich die Abenteuerlust packt" witzle ich. Ich lasse mich in den Sessel sinken und schlage die Beine übereinander. "Aber jetzt erzähl mir mehr von Italien. Vielleicht kriegst du mich ja doch noch in den nächsten Flieger" meine ich schmunzelnd und trinke meinen Kaffee, während er mit strahlenden Augen anfängt von seinem Urlaub in Rom zu erzählen und ich ihm begeistert zuhöre.

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