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Verwirrt blinzelte ich und öffnete vorsichtig die Augen. Der typische Geruch von Krankenhaus stieg mir in die Nase und irritiert versuchte ich mich zu erinnern. Langsam kam alles zurück und ich schaute nach links, wo ich ein zweites Bett mit dem roten Haarschopf meines Bruders entdeckte. Erleichtert atmete ich aus, die OP schien gut verlaufen zu sein. Ich versuchte mich aufzurichten, wurde jedoch von einem Druck auf meiner Brust aufgehalten. Erst da fiel mir auf, dass vermutlich etwas mit meiner Lunge passiert sein musste. Leise seufzend drehte ich meinen Kopf auf die andere Seite und entdeckte einen schlafenden Kai, der meine Hand hielt. Ich musste lächeln und drückte diese vorsichtig. Schlagartig öffnete er die Augen und schaute sofort zu mir. Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, als er mich entdeckte. "Wie geht's dir?", fragte er flüsternd. "Ganz gut, glaub ich. Was ist passiert?" "Du hattest eine gebrochene Rippe und die hat die Lunge verletzt. Du wurdest eine ganze Weile operiert, genauso wie Dennis und Frank." "Ist Dennis auch hier?" Kai nickte. "Er liegt im Bett neben Frank." "Hilf mir mal bitte auf." "Nein, du musst dich schonen." "Kai, bitte. Ich will ihn nur kurz sehen." Er seufzte. "Na gut." Er griff an meinen Rücken und drückte mich vorsichtig hoch. Keuchend saß ich schließlich in meinem Bett und entdeckte meinen ältesten Bruder tatsächlich schlafend im dritten Bett. Ich lächelte leicht. Er sah so unschuldig aus. Ein bisschen wie früher, als Mama noch da war. Ich spürte ein paar Tränen über meine Wange rollen, als ich an sie dachte. "Hey, nicht weinen. Hast du Schmerzen?" Kais Stimme klang besorgt, weshalb ich schnell den Kopf schüttelte. "Ich hab gerade daran gedacht, dass er aussieht wie früher, als er noch kleiner war. Als Mama noch da war." Entschlossen zog ich die Nase hoch und wischte mir die Augen trocken. "Aber das ist Vergangenheit. Jetzt hockt er im Knast, und das noch 'ne ganze Weile. Papa, Frank und ich müssen uns zu dritt arrangieren." Ich spürte Kais weiche Hand an meiner Wange. Ich schaute zu ihm und erlag seinem sanften Blick. "Warum hast du während dem Schlafen meine Hand gehalten?", fragte ich leise. Er schaute mir tief in die Augen. "Vielleicht, weil ich dich mag. Und weil ich bei dir sein wollte." Mein Herz pochte wie wild in meiner Brust. "Ach ja?" "Ja", wisperte er. Und bevor ich mich dagegen hätte entscheiden können, hatte ich mich zu ihm runtergebeugt und meine Lippen auf seine gelegt. Im ersten Moment kam es mir falsch vor und ich musste an Can denken, diesen ekelhaften Typ, aber als Kai zu erwidern begann, spürte ich nur noch Glücksgefühle. Er konnte küssen, definitiv! Und wie er das konnte. Als wir uns schließlich voneinander lösten, schauten wir uns verschmitzt grinsend an. "So sehr magst du mich also." "Du mich ja anscheinend auch", entgegnete er. Plötzlich hörte ich ein hohes Quietschen und schaute erschrocken in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Ich spürte das Blut in meine Wangen schießen, als ich Jenny entdeckte, die uns grinsend ansah. "Mein kleiner Cousin ist verliebt. Wie süß ist das denn!" Sofort hielt ich meinen Zeigefinger vor meine Lippen, damit die anderen nicht aufwachten. Doch es war zu spät, die ersten bewegten sich schon. Also zischte ich Jenny schnell zu: "Du bist selber verknallt, also grins' nicht so!", dann widmete ich mich wieder Kai. Wir grinsten uns an und er hielt meine Hand, während die anderen Krokodile alle aufstanden und zu uns kamen. Kais und meine verschränkten Hände fielen natürlich auf und die anderen strahlten uns an. Dann räusperte Olli sich. "Nach dieser Aktion hast du dir den Anhänger wirklich verdient." Aus seiner Hosentasche zog er ein dünnes, dunkelbraunes Lederarmband mit einem Krokodil daran (wie bei Marias Armband, nur halt mit einem anderen Band). Ich machte es um mein Handgelenk und Olli grinste mich an. "Sie ist nicht auf dem Dach, aber trotzdem am Ziel!" Und dann fielen die anderen mit ein. "Jetzt ist sie ein Krokodil!" Alle jubelten, dann hörte ich plötzlich ein leises Husten. "Frank?", fragte ich aufgeregt. "Ja." Seine Stimme klang heiser, aber er war wach. Ich schaute Jorgo und Olli bittend an. "Schiebt ihr mich zu ihm?" Sie nickten und schoben das Bett, das glücklicherweise Rollen hatte, zu Frank. Erleichtert lächelte ich meinen Bruder an, dann hielt ich ihm mein Handgelenk hin. "Jetzt bin ich auch ein Krokodil." Er lächelte mich an. "Nicht auf dem Dach, aber trotzdem am Ziel. Ich bin stolz auf dich." Ein lautes Räuspern ließ uns hochschrecken. "Habt ihr euren Kinderkram dann endlich mal geklärt?" Ich musste leicht lachen. War ja klar. Sowas brachte auch echt nur Dennis. Ich schaute schmunzelnd zu ihm. "Ich freue mich auch, dass du endlich wach bist, Schlafmütze." Er schaute mich ebenfalls schelmisch grinsend an. "Schön, dass du lebst, Nervensäge." Wir schauten uns lachend an, dann hörte ich die Tür aufgehen und Papa und mehrere Ärzte kamen rein. Franks Ärztin begann zu sprechen, während ein anderer ihn untersuchte. "Die Operation ist gut verlaufen, Frank muss aber noch einige Tage hierbleiben, damit wir sichergehen können, dass seine Leber den neuen Teil annimmt." Dennis' Arzt erklärte kurz, dass auch bei ihm alles gut gegangen war, dann begann der Arzt an meinem Bett zu sprechen, während eine weitere Ärztin mich untersuchte. "Sophie hatte eine gebrochene Rippe, die in die Lunge eingedrungen ist. Wir konnten sie erfolgreich entfernen, zwischendurch hatte Sophie jedoch einen Herzstillstand. Das liegt an ihrem schlechten Allgemeinzustand. Zum einen das starke Untergewicht, zum anderen die vielen anderen Blessuren. Unter anderem war die Milz angerissen, was uns jedoch glücklicherweise bei der Untersuchung vorher aufgefallen ist. All diese Symptome deuten auf häusliche Gewalt hin." Alle im Raum schauten zu Papa, aber ich wollte nicht, dass sie ihn verurteilten. "Das kommt alles vom Toben. Ich bin total viel draußen und ich liebe Action und da verletzt man sich halt manchmal." Meine Brüder schauten mich mitleidig an. Von uns dreien hatte ich am meisten unter Papa gelitten. Dennis seufzte. "Hör auf zu lügen, Sophie. Papa hat dich verprügelt und ich früher auch." Er wandte sich an die Ärzte. "Ich bin ja zur Zeit im Gefängnis und danach versuche ich mich zu bessern." Dann schaute er Papa an. "Papa?" Angesprochener schaute mich an. Ich erkannte die tiefe Trauer über Mamas Tod in seinen Augen. Ich erinnerte ihn so sehr an sie, dass es mir selber schon weh tat. Schließlich nickte er. "Ich will's auch versuchen." Die eine Ärztin räusperte sich. "Wenn Sie möchten, können wir Ihnen eine Therapie bei einer Familienpsychologin besorgen." Papa nickte und ich atmete erleichtert aus. Jetzt würde alles besser werden.

Um ihren Freund zu retten...Where stories live. Discover now