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"Halt endlich still!", fuhr ich Hannes an. Bereits seit zehn Minuten versuchte ich, die dunkle Farbe in seinem Gesicht zu verschmieren, doch das war gar nicht so einfach, denn er machte ständig wieder die Augen oder den Mund auf. "Tschuldigung, ich bin nur so nervös." Er schloss die Augen und ließ die Schminkerei anstandslos über sich ergehen. "Ich weiß, ich bin doch auch nervös. Aber du schaffst das, da bin ich mir sicher." "Wirklich? Vielleicht solltest du das lieber machen, oder-" "Hannes!", unterbrach ich ihn hart, "Wenn das nicht klappt, dann stirbt Frank, dann stirbt mein Bruder! Also sag mir jetzt gefälligst, dass du es schaffen wirst und hör auf mich noch verrückter zu machen!" Schuldbewusst schaute er mich an. "Sorry." Ich seufzte. "Kein Problem, mir tut's Leid. Aber es ist einfach schwierig." Er nickte und ich betrachtete ein letztes Mal mein Werk. "Du bist fertig." Gemeinsam liefen wir nach unten, wo die anderen schon warteten. Wir machten eine große Gruppenumarmung, bevor Hannes und Peter wegfuhren. Sie fuhren zu Peters Arbeit, wo Hannes sich in einem der Rohre verstecken und so unbemerkt ins Gefängnis kommen würde. Nervös knetete ich meine Hände und schaute ihnen nach, bis nichts mehr zu sehen war. Jetzt hieß es warten.

"Hannes ist drin!", informierte uns Maria, die die ganze Zeit durchs Teleskop geschaut hatte. "Alta krass!", erwiderte Jorgo. Fragend schaute ich ihn an. "Was?" "Alta krass, die Operation." "Aha", entgegnete ich und rieb mir kurz den Brustkorb. Die wahrscheinlich gebrochene Rippe bereitete mir seit heute Morgen ziemliche Schmerzen, doch ich ignorierte diese, denn die Befreiung meines Bruder war heute wichtiger. Maria, Jenny und ich liefen zusammen runter in den Konferenzraum und setzten uns dort auf den Tisch, um auf Jorgos Signal zu warten. Das kam dann auch schneller als erwartet. Die Stimme des Griechen kam kratzig aus dem Funkgerät. "Der Vogel hat das Nest verlassen." Nervös sprang ich auf. "Okay, es kann losgehen." Maria und Jenny schauten mich lächelnd an. "Ihr seid echt völlig durchgeknallt!", stellte Jenny fest und grinste dann, "Wie geil!" Zu dritt gingen wir zu ihrem Auto und beobachteten wie sie losfuhr, um Peter abzuholen. "Es muss klappen." Aus meiner Stimme klang die Verzweiflung mit und Maria griff nach meiner Hand und drückte sie. Ich war nicht allein. Wir alle wollten Frank retten. Maria und ich liefen zusammen hoch aufs Dach und warteten auf den Einsatz vom "fliegenden Auge". Vorher klingelte jedoch Marias Handy. "Ja hallo?" "Was?! Ja, und was jetzt?" Witzig, es gibt keinen Artikel." Nachdenklich ließ die Brünette die Hand mit dem Handy sinken. Dann tippte sie kurz darauf herum und entfernte sich einige Schritte, um beim Telefonieren nicht gestört zu werden. Kurze Zeit später kam sie zurück, ihre Augen strahlten Unsicherheit aus. "Ich geh mit Max ins Kino." Skeptisch zog ich eine Augenbraue hoch. "Was sagt denn Hannes dazu?" Genau in diesem Moment brummte Marias Handy und sie las laut Hannes' SMS vor. Biss ins Herz, ist der Typ schwul? Lachend drehte Jorgo sich weg und auch Maria und ich mussten grinsen. Im nächsten Moment wurde ich jedoch sofort wieder ernst, denn jetzt konnte es wirklich losgehen. Ich nahm meine Position am Teleskop ein und schaute durch, bis Hannes sich zeigte. Er verschwand kurz vom Fenster, dann kehrte er zurück und zeigte fünf Finger. Ich schaute nervös zu Jorgo. "Er braucht noch fünf Minuten." Jorgo gab die Nachricht durchs Telefon weiter an Peter. Ich schaute wieder durchs Teleskop, jetzt zeigte Hannes mir einen Daumen hoch. Ich drehte mich wieder zu Jorgo und nickte. "Okay Peter, jetzt!", sprach er ins Handy und legte auf. Ich beobachtete das weitere Geschehen durchs Teleskop. Hannes zersägte die Gitterstäbe, während Jenny eine kleine Tanzeinlage ablieferte. Jorgo schickte das fliegende Auge los und ich beobachtete dessen Flug. "Noch weiter runter", gab ich Hannes' Zeichen an Jorgo weiter. Er tat es und schon hatte Hannes das Seil in der Hand. Grinsend sahen Jorgo und ich uns an. Dieser Schritt war geschafft. Jorgo landete das "fliegende Auge" und schickte Peter eine SMS. "Bis später!", rief ich dem Griechen im Vorbeirennen zu. So schnell wie möglich lief ich nach unten und fuhr zur JVA. Vor dem Gebäude nebendran warteten schon Jenny und Peter. Ich kletterte die Regenrinne hoch und schlüpfte durch ein offenes Fenster hinein. Dann lief ich runter, öffnete den beiden Verliebten, die wirklich extrem verknallt waren, die Tür, und wir liefen zu dritt hoch aufs Dach. Dort packte Peter sein Werkzeug aus und spannte das Drahtseil für die Seilbahn. Und dann hieß es, wie schon so oft an diesem Tag, warten. Peter und Jenny schauten sich die ganze Zeit verliebt an und ich konnte vor Nervosität kaum noch stillhalten. Dann endlich, regte sich auf der anderen Seite der Mauer etwas. Wir sprangen auf und sahen, wie Hannes die Seilbahn entlang rutschte. Ich hielt den Atem an, als helle Flutlichter angingen und jemand "Alarm!" rief. Mit angehaltenem Atem verfolgte ich jeden Millimeter, den Hannes zurücklegte, bis hinter mir plötzlich ein lautes Knirschen zu hören war. Erschrocken drehten Jenny, Peter und ich uns um. "Shit, der Mast!", fluchte Jenny. Wir versuchten ihn wieder hochzudrücken, doch es ging nicht. "Na los, haut ab!", zischte ich die beiden an. Sie schauten mich überrascht an, doch ich schaute sie nur nochmal eindringlich an und sie befolgten meine Anweisung. Verzweifelt drückte ich mich mit meinem gesamten Gewicht gegen den Mast, doch es half nichts. Hannes knallte gegen die Hauswand und rutschte wieder zurück, bis er mitten über dem JVA-Gelände hing. Ich war wie in Schockstarre, bis ich plötzlich von hellem Licht geblendet wurde. "Verdammt!" So schnell wie möglich verließ ich das Dach, doch als ich unten die Tür aufriss, standen bereits vier Männer vor mir, packten mich und brachten mich ins Gefängnis. Ich ließ mich mitziehen, irgendwie verließ mich in diesem Moment die Kraft. Wir hatten Dennis nicht befreit. Es gab keine Chance mehr für Frank. Und jetzt saß ich auch noch im Knast und konnte mich nichtmal von ihm verabschieden. Ich schluckte die aufkommenden Tränen runter und ließ mich weiterführen, bis eine der Zellen aufgeschlossen und ich hineingeschoben wurde. Zitternd, aus welchem Grund auch immer, hockte ich mich in die Ecke. Nur wenige Minuten später wurde die Tür erneut geöffnet und Hannes betrat den grauen Raum. Als er mich entdeckt, lief er auf mich zu und umarmte mich. In diesem Moment brachen wir beide in Tränen aus und es war gut, dass wir jemanden hatten, der uns hielt. Nachdem wir uns wieder beruhigt hatten, setzten wir uns nebeneinander auf eins der Betten und warteten. Wir warteten und warteten, irgendwann bemerkte ich, dass Hannes müde wurde, weshalb ich mich in eine Ecke kauerte und er sich auf das Bett legte. So blieben wir vermutlich für einige Stunden, dann wurde die Tür wieder geöffnet. Eine hübsche Blondine stand in der Tür, sie war unverkennbar Hannes' Mutter. Er richtete sich auf, sie kam rein und die beiden umarmten sich. Als Hannes sprach, hörte man an seiner Stimme deutlich, dass er noch immer weinte. "Es tut mir so Leid Mama." Mir stiegen Tränen in die Augen bei diesen Worten. Ich wünschte ich könnte mich auch bei meiner Mutter entschuldigen. Hannes' Mutter löste sich von ihm und schaute ihn an. "Du weißt doch, dass du mir immer alles erzählen kannst. Wieso hast du denn nichts gesagt? Wir sind doch ein Team, oder?" "Ja. Ich erzähl dir alles Mama." Ich schluckte den Kloß in meinem Hals runter und richtete mich auf, genauso wie die anderen beiden. Hannes' Mutter musterte mich, dann lächelte sie leicht. "Du bist dann wohl Sophie, dich soll ich auch mitnehmen." Ich nickte. Gemeinsam verließen wir die Zelle und von der nächsten halben Stunde bekam ich praktisch nichts mit. Alles zog wie in Trance an mir vorbei, bis ich irgendwann in einem weichen Bett lag und einschlief.

Um ihren Freund zu retten...Where stories live. Discover now