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Die Geräusche von Rädern, die über den Boden rollten, weckten mich. Mein Kopf dröhnte und ich blinzelte mehrmals, bevor meine Augen sich an das Licht gewöhnt hatten. Ich drehte meinen Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch kam und sah, wie ein Bett neben mich gerollt wurde. Eine Person mit roten Haaren lag darin und ich erkannte meinen Bruder sofort. Sein Gesicht lag zu meinem Bett hin und ich konnte sehen, dass er schlief. Franks Haut hatte einen gelblichen Schein und ich hoffte, dass es wegen des Krankenhauslichts war. Schlurfende Schritte näherten sich und dann setzte mein Vater sich neben das Bett meines Bruders, ohne mich zu beachten. Ich verkniff mir ein enttäuschtes Seufzen und wandte meinen Blick wieder der Tür zu, durch die jetzt die Vorstadtkrokodile hereinkamen. Hannes sah sofort, dass ich meine Augen geöffnet hatte und kam zu mir. Auch Maria, Peter und Jorgo kamen zu meinem Bett und Hannes setzte sich auf meine Bettkante. "Wie geht's dir?", erkundigte er sich und in seinen Augen flackerte Besorgnis auf. "Geht so. Was ist mit Frank?" "Die Ärztin kommt bestimmt gleich." "Was ist denn alles passiert während ich geschlafen habe?" "Nach deinem Zusammenbruch haben Jorgo und Peter Franks - äh - euren Vater geholt und Frank wurde bis gerade operiert. Die ganze Nacht." "Ich habe die ganze Nacht durchgeschlafen?" Plötzlich wurde ich unruhig. Hektisch schlug ich die Decke beiseite und sprang auf. Kurz war mir schwarz vor Augen und ich taumelte, dann stand ich sicher und griff nach meinem Skateboard, das an der Wand lehnte. "Wo willst du hin?", fragte Maria verwirrt. "Ich muss die Wäsche machen, die Wohnung putzen und neues Bier für Papa kaufen! Ich schaffe meinen Zeitplan nicht!" Die geschockten Blicke meiner vier Gegenüber ignorierte ich und lief zur Tür. "Das musst du heute nicht machen." Die müde Stimme meines Vaters ließ mich herumfahren. Mit großen Augen schaute ich ihn an, doch seine Aufmerksamkeit galt wieder Frank. Langsam, falls er es sich noch anders überlegte, stellte ich mein Board ab und ging zu meinem Bruder. Vorsichtig setzte ich mich auf seine Bettkante und ergriff seine Hand. Die Vorstadtkrokodile stellten sich hinter mich und keiner sagte ein Wort, bis ein leises Zischen verriet, dass die verglaste Schiebetür erneut geöffnet wurde. Herein kam die Ärztin und wollte mit meinem Vater sprechen. "Können wir mit?", fragte Hannes sofort. "Wenn Sie nichts dagegen haben-", wandte sie sich an meinen Vater, doch der winkte nur mit der Hand ab. "Ist doch alles Familie." Ich hörte ein leises Schnauben von Hannes und wie er sagte: "So behandeln Sie Ihre Tochter aber nicht gerade." Ich ignorierte es und wir verließen alle zusammen das Zimmer. In dem kleinen Vorraum zur Station setzten Hannes, Maria, Peter, Jorgo und ich uns auf eine Platte und mein Vater ließ sich auf einen Stuhl fallen. "Erstmal danke, dass Sie meinen Sohn wieder zusammengeflickt haben, Frau Doktor." "Es gibt leider keine guten Nachrichten. Frank hat eine schwere Verletzung an der Leber, die wir nicht beheben konnten. Das Organ ist mehrfach gerissen." "Heißt das, er braucht eine neue?", entfuhr es mir geschockt. "Ich weiß das klingt schrecklich, ist aber so. Frank steht jetzt auf der Transplantationsliste, aber man kann nie genau sagen wie lange das dauern wird." "Und wie lange kann er mit der kaputten Leber weiterleben?", fragte Maria und ich bemerkte ein leichtes Zittern in ihrer Stimme. "Nur wenige Tage." Ich wollte etwas sagen, aber meine Kehle führte sich an, als hätte sie jemand zugeschnürt. "Es gibt noch die Möglichkeit einer Teilspende. Dabei wird einem Lebenden ein Stück der Leber entnommen, sodass Spender und Empfänger weiterleben könne." Meine Stimme schien automatisch zurückzukehren. "Ich mach's", hörte ich Hannes und mich zur selben Zeit sagen. Die Ärztin lächelte uns entschuldigend an. "Es sollte eine Spende aus der Familie sein, denn dann ist die Gefahr einer Abstoßung wesentlich geringer." "Aber ich bin doch seine Schwester!", protestierte ich. Meinte sie etwa, ich gehörte nicht dazu? Die Frau in den grünen Klamotten ließ ihren Blick einmal über meinen Körper schweifen. "Du würdest das nicht verkraften. Zum einen, weil du noch ein Kind bist und zum anderen, weil du zu dünn bist." Ich hatte das Gefühl, dass sie meinem Vater einen leicht wütenden Blick aus dem Augenwinkel zuwarf. Mein Kopf drehte sich sofort zu Papa. Er war der Einzige, der jetzt noch in Frage kam. Aber dann vertrieb ich den Gedanken aus meinem Kopf, denn der Alkohol hatte seine Leber wahrscheinlich schon zu sehr geschädigt. Auch die Krokodile sahen zu meinem Vater, der sich etwas aufrichtete. "Ja, dann mach ich das. Nehmen Sie so viel, wie Sie wollen." Erneut zierte ein entschuldigendes Lächeln das Gesicht der Ärztin. "Herr Steffenhagen,  mir scheint Sie haben ein Alkoholproblem. Unter diesen Umständen ist eine Transplantation nicht möglich." Durch den scheiß Alkohol gefährdete Papa in diesem Moment Franks Leben! Ich musste es mir verkneifen meinen Vater anzuschreien und ballte meine Hände zu Fäusten. "Gibt es sonst noch Angehörige?" "Mutter ist tot", antwortete mein Vater und ich wusste genau, dass er mich jetzt gerne geschlagen hätte. Nicht nur, dass ich genauso aussah wie meine Mutter, nein, ich war auch Schuld an ihrem Tod und das hatte mein Vater bis heute nicht verkraftet. "Der große Bengel sitzt im Knast." Das Gesicht von Dennis erschien vor meinem inneren Auge und ich schüttelte schnell den Kopf, um die Gedanken an meinen ältesten Bruder zu vertreiben. "Sie können doch im Gefängnis anrufen, damit Dennis da raus und Frank einen Teil seiner Leber spenden kann!", rief Hannes aufgeregt, doch die Ärztin machte seine Hoffnung zunichte. "Wir dürfen nicht in Kontakt zu potentiellen Spendern treten. Aber damit Frank überlebt, ist der Bruder, denke ich, die einzige Möglichkeit." "Dann holen wir ihn da raus." Ich sprang von der Platte und die Krokodile taten es mir gleich. "Halten Sie sich bereit", sagte Hannes zu der Ärztin, "Wir bringen Ihnen Dennis." Entschlossen verließen Hannes, Maria, Jorgo,  Peter und ich das Krankenhaus. "A-Am besten f-f-fahren wir so-sofort i-ins Ge-fängnis u-und reden m-m-mit dem Di-Direktor", sagte Peter und ich nickte. Der Weg zum Gefängnis war nicht weit und als wir da waren, drückte ich auf die Klingel. Knistern, dann ertönte eine Stimme. "Was wollt ihr hier?" "Wir wollen jemanden besuchen!", sagte Jorgo und über uns scannte eine Kamera jedes Detail ab. Peter beschloss bei den Fahrrädern zu bleiben, während wir anderen durch das Tor liefen, dass sich jetzt vor uns öffnete. Ein grauer, trister Innenhof empfing uns und wir gingen direkt zum Eingang. Dort legten wir unsere Wertsachen in eine Plastikschale und liefen durch einen Rahmen, der bei metallenen Gegenständen piepte. Jorgo war schon durch und Hannes lief in diesem Moment hinterher. Es piepte und der Angestellte tastete ihn ab. Als er nichts fand, ließ er Hannes durch und Maria war dran. Auch bei ihr piepte es. "Es gibt leider keine weibliche Kollegin, die dich abtasten könnte. Ist es okay, wenn ich das mache?", fragte der junge Angestellte. Ich konnte Marias Gesichtsausdruck nicht sehen, aber sie hob die Arme und antwortete: "Na mach schon, ich werd' dich nicht verklagen." Der Junge begann sie abzutasten und fand, wie zu erwarten, nichts. Also durfte Maria durch und ich folgte ihr. Auch bei mir piepte es und mit einem vorsichtigen Lächeln begann der Typ mich abzutasten. Natürlich hatte ich nichts bei mir und so hatten wir es schonmal alle durch die Sicherheitskontrolle geschafft. "So, jetzt bräuchte ich von euch allen die Ausweise." Mein Atem stockte. Ich besaß keinen Ausweis, nur einen alten Schülerausweis aus der Grundschule, der seit einem Jahr abgelaufen war.Mein Vater hatte kein Geld, um mich auf eine weiterführende Schule zu schicken und meinte immer, ich sollte mich lieber um das Haus kümmern, denn das sei schließlich die Aufgabe der Frau. In meinem Kopf ratterte es und ich hörte wie Hannes, Jorgo und Maria in ihren Hosentaschen kramten. "Ich hab meinen nicht dabei. Kann man da nicht vielleicht eine Ausnahme machen?", fragte ich den Jungen und setzte meinen besten Blick auf. Er schaute mir mehrere Sekunden in die Augen und wandte sich dann an den anderen Kerl, der hinter einer Glasscheibe saß. Dieser schüttelte den Kopf und mein Gegenüber wiederholte die Geste. "Tut mir Leid, aber das geht nicht." Ich ließ die Schultern hängen und verließ den Eingang. Wenige Sekunden später kam Maria mir hinterher. "Wieso gehst du nicht mit den Jungs?", erkundigte ich mich. Sie sollte bloß nicht glauben, dass sie ab jetzt auf mich aufpassen musste. Ich war wahrscheinlich nur ein knappes Jahr jünger als sie. "Ich hab meinen Ausweis auch nicht dabei." "Also gehen Hannes und Jorgo jetzt allein zum Gefängnisdirektor? Das wird eine Katastrophe." "Woher willst du das wissen? Du kennst uns doch gar nicht." "Natürlich kenne ich euch, immerhin beobachte ich euch seit zwei Jahren." "Du hast uns seit dem ersten Abenteuer beobachtet? Wieso warst du nie dabei?" "Frank wollte es nicht. Er hat sich Sorgen gemacht und wollte erstmal schauen, wie ihr so seit. Und dann wurde er ein Krokodil und Ollis bester Freund und verpasste die Gelegenheit euch von mir zu erzählen. Ich wollte zuerst die Probleme zu Hause klären." "Das Alkoholproblem von eurem Vater?" Ich nickte. "Das am meisten. Aber seit Dennis weg ist und Frank auch den ganzen Tag mit euch unterwegs, muss ich eigentlich alles alleine machen und da habe ich keine Zeit für Bandenabenteuer." "Was ist mit eurer Mutter?", fragte Maria weiter und es war genau das, was ich ihr nicht erzählen wollte. Ich atmete tief durch und wollte gerade etwas ausweichendes erwidern, als wir von der Rückkehr der beiden Jungen unterbrochen wurden. "Mann Jorgo, das war doch jetzt eigentlich nicht nötig, oder?" "Was ist passiert?", erkundigte sich Maria sofort. "Er hat den Gefängnisdirektor Taliban genannt." Ich legte kurz den Kopf in den Nacken und stöhnte genervt auf. "Damit sinken unsere Chancen Dennis da raus zu holen auf 0. Habt ihr ansonsten irgendwas rausgekriegt?" Hannes erzählte, was der Direktor wegen diesen Anträgen erklärt hatte. "Zwei bis drei Wochen wenn wir Glück haben? Das ist viel zu spät!" "Ich weiß, deshalb müssen wir Dennis da irgendwie anders rausholen." "Und wie?", fragte ich hoffnungslos. "D-d-das ist d-der a-ausbruchs-s-sicherste Knast i-in ganz P-Pott", gab Peter zu bedenken. "Aber doch nicht der einbruchsicherste!" "Du willst also mal eben ins Gefängnis einbrechen, einen Gefangenen mitnehmen, der schon mehr als zehn Fluchtversuche unternommen hat und ihn ins Krankenhaus schleusen. Jetzt verrate mir nur noch eine Sache: Wie zum Henker willst du das anstellen?!" "Wir finden schon irgendeine Lösung." Maria unterbrach unser Gespräch. "Das ist total illegal, das können wir nicht machen!" "Aber Frank ist unser Freund und wir sind es ihm schuldig!" "Das geht trotzdem nicht. Du bist so naiv, Hannes." "Und du bist total langweilig geworden! Ist mir egal was ihr macht, aber ich rette Frank!" Mit diesen Worten ließ Hannes die restlichen Vorstadtkrokodile mit geschockten Gesichtern stehen. Mein Blick fiel auf Maria, die durch die Worte ihres Freundes wirklich verletzt schien. Ich räusperte mich. "Es ist die illegalste Möglichkeit, da stimme ich euch zu, aber es geht hier um Frank, meinen Bruder und euren Freund. Und Hannes lässt ihn immerhin nicht im Stich." "Wir wollen Frank doch auch nicht im Stich lassen, aber-", begann Maria mir zu widersprechen, doch ich unterbrach sie. "Besondere Fälle erfordern besondere Maßnahmen. Im vorletzten Sommer seid ihr durch Dennis und seine Kumpels richtig zusammengewachsen und ich denke, ihr solltet Frank aufs Neue beweisen, dass er euch wichtig ist. Er hat so viel für euch getan und war doch eigentlich schon immer ein fester Bestandteil der Bande, oder?" "D-d-das sch-stimmt." Ich schenkte Peter ein dankbares Lächeln und stellte dann mein Bein aufs Skateboard. "Egal was ihr macht, ich fahre jetzt zu Frank ins Krankenhaus. Und ich würde mich freuen, wenn ihr mitkommen würdet." "Wisst ihr noch, was ich vor zwei Jahren gesagt habe?", fragte Jorgo plötzlich. Wollte der jetzt wirklich mit irgendwelchen alten Geschichten anfangen? Doch Maria und Peter schein nach diesem Satz etwas klar zu werden. Die hübsche Brünette wandte sich an mich. "Wir kommen mit."

Um ihren Freund zu retten...Where stories live. Discover now