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"Also, ich denke zuerst die wichtigsten Fragen. Wie alt bist du?" Ich verkniff mir ein erleichtertes Seufzen, als er das sagte. Wenn er mit den Standartfragen begann, konnte ich mir für die späteren Fragen noch etwas überlegen. "Dreizehn." "Wann hast du Geburtstag?" "Vierzehnter Oktober." "Du bist also Dennis' und Franks jüngere Schwester?" Ich nickte vorsichtig und mir graute schon jetzt vor der nächsten Frage. "Warum hat uns Frank nie was von dir erzählt?" Ich seufzte leise bevor ich antwortete. "Er wollte erstmal schauen wie ihr so seid und falls ihr euch total mies verhalten hättet, hätte er mich nichtmal in eure Nähe gelassen. Und irgendwie hat er dann den Moment verpasst, euch von mir zu erzählen." "Er hatte über zwei Jahre Zeit!" Jorgos Stimme klang anklagend. "Ich weiß. Und glaub mir, er hat sich damit sehr oft gequält. Aber genau vor so einer Reaktion hat er sich gefürchtet. Dass ihr ihn zurückweist, weil er es euch verschwiegen hat." Jetzt mischte sich auch Maria ein. "Du hast uns die letzten Jahre ständig beobachtet, wieso hast du bei nichts geholfen?" Ich senkte beschämt den Blick. "Als ihr Dennis, Kevin und Achmed überführt habt, habe ich sehr wohl etwas gemacht. Ich hab den Schlüssel rausgezogen. Aber irgendwann muss ich ihn verloren haben und einer von ihnen hat das Teil gefunden." "D-d-deswegen mu-musste ich D-Diesel t-tri-trinken!", beschwerte sich Peter, auch wenn er nicht wirklich böse aussah. Gewohnheitsmäßig entschuldigte ich mich trotzdem. Hannes übernahm wieder das Wort und stellte eine Frage, die mir noch unangenehmer als die vorherigen war. "Was läuft da mit deinem Vater?" Ich stellte mich blöd und fragte: "Was meinst du?" Er nahm kein Blatt vor den Mund und hatte sofort eine umformulierte Frage zur Hand. "Wieso musst du dich um alles kümmern?" Ich schaute ihn traurig an, in Gedanken sah ich Mama wieder, wie sie mir über die Wange strich und mir sagte, wie sehr sie mich liebte. Ich schluckte, dann antwortete ich: "Ihr wisst doch bestimmt, dass unsere Mutter tot ist." Unbewusst hatten sich Kälte und Härte in meine Stimme geschlichen. "Deshalb muss ich mich um den Haushalt kümmern, als einzige verbliebene Frau, sozusagen." "Aber er ist dein Vater, er muss doch auch irgendwas machen!" "Er macht so einiges, obwohl er immer noch unter ihrem Tod leidet! Es ist doch nicht verboten, dass ich dabei unter die Arme greife!" Meine Stimme war zum Ende hin sehr laut geworden, weshalb ich jetzt erstmal tief durchatmete, bevor ich mich anders hinsetzte und mit leiser Stimme sagte: "In den letzten Jahren habe ich den Eindruck gewonnen, dass ihr nicht über eure Familien und euer Privatleben redet, sondern einfach eine coole Bande seid, die zusammenhält. Wenn ihr mich verhören wollt, kann ich auch wieder gehen." "Das würdest du nicht tun", erwiderte Hannes bestimmt. Emotionslos schaute ich ihn an. "Wie kommst du darauf?" "Du willst Frank retten und das schaffst du nicht alleine. Das weißt du genauso gut wie ich." Ich hätte mich in den Hintern beißen können, denn er hatte Recht. Frank war mir unglaublich wichtig und ich wollte ihn retten, koste es was es wolle. Also nickte ich. "Okay. Wie gehen wir vor?" Diese Frage brachte uns dazu, aufzustehen und wieder nach drinnen zu gehen. Dort war ein Bild des Gefängnisses aus der Vogelperspektive auf eine weiße Leinwand projiziert. Wir verteilten uns im hinteren Bereich des Raumes und Hannes begann anhand des Bildes zu erklären. "Also, das hier ist der Haupteingang vom Gefängnis. Es scheint mir als wäre es der einzige Durchgang in der Mauer. Heißt, wir müssen vorne rein und vorne auch wieder raus." Ich näherte mich ihm und fügte hinzu: "Wir wissen wie es direkt hinter dem Eingangstor aussieht. Vom Rest wissen wir nichts. Nicht einmal wo Dennis' Zelle ist." "Irgendjemand von uns muss da rein", stellte Hannes fest. Jetzt meldete sich auch Peter zu Wort. "Ich glaub nicht, dass die Tou-Touristenführungen anbieten." Jorgo grinste, bevor er konterte: "Natürlich nicht, die wollen ja nicht in die Luft gesprengt werden." Jetzt musste auch Maria schmunzeln. "Touristen, nicht Terroristen, Jorgo." Sein Lächeln wirkte jetzt etwas unsicherer, als er uns versicherte, dass er das bereits wusste. Ich mischte mich jetzt auch ein. "Zurück zum Thema bitte. Einer muss ins Gefängnis rein." Ich schaute in die Runde und beobachtete, wie sich ein siegessicheres Grinsen auf Hannes' Gesicht ausbreitete. "Maria, du willst doch Journalistin werden, oder?" "Und?" "Ich hab da so ne Idee." Und dann erklärte er uns mit wenigen Sätzen, wie wir uns ein Bild vom Inneren des Gefängnisses machen konnten. "Das ist die Idee!", entfuhr es mir begeistert, "Am besten ziehst du etwas an, wo wir eine Kamera dranbringen können, sodass wir am Ende auch alles als Bild haben." Auch die anderen fanden die Idee gut. "Okay, dann ruf ich jetzt da an."Mit diesen Worten griff Maria nach ihrem Handy, wählte kurz und hielt es sich dann ans Ohr. "Ja hallo? Spreche ich mit der JVA?" "Mein Name ist Maria Weißmann, ich bin Journalistin für unsere Schülerzeitung. Und weil wir im Moment sehr viele kriminelle Vorfälle auf unserem Schulhof haben, also Prügeleien, Drogen, etc., dachte ich, eine Reportage über ein Gefängnis wäre ganz interessant." "Echt? Super. Nächste Woche?" Sie drehte sich fragend zu uns um. Hannes fuchtelte wild mit den Armen herum und machte ihr klar, dass das zu spät wäre. Maria widmete sich wieder dem Telefon. "Also, nächste Woche wäre blöd. Der Artikel muss morgen ins Layout." "Ja, das wäre super." "Dann, dann komm ich gleich." "Perso? Klar, bring ich mit. Bis gleich." Sie legte auf und drehte sich lächelnd zu uns um. "Jetzt brauche ich was ordentliches zum Anziehen, am besten fahre ich schnell nach Hause." "Nein, du musst mit den anderen alles besprechen. Gib mir deine Adresse und ich hole dir was." Die Brünette schaute mich irritiert an. "Und wie willst du das machen?" "Entweder ich klingle und behaupte, dass ich eine Freundin von dir bin, oder ich klettere durch dein Fenster rein." Sie seufzte. "Wenn du klingelst wird dir keiner aufmachen. Das Fenster ist nur angelehnt, glaube ich." "Nicht gerade einbruchssicher", stellte ich fest und sie nickte verlegen. Ich verabschiedete mich und Maria rief mir noch hinterher, dass es seriös wirken musste. Grinsend rief ich zurück: "Ich weiß!" und joggte eilig die Treppen runter. Bis zu Marias Zuhause war es nicht weit und ich war mit dem Skateboard schon nach zehn Minuten da. Das Board versteckte ich in einer Nische zwischen den zwei Häusern, dann suchte ich nach dem angelehnten Zimmerfenster. Kurze Zeit später hatte ich es auch schon gefunden. Allerdings gab es ein Problem. Die Regenrinne war mehr als einen Meter vom Fenster entfernt. Sollte ich springen? Hatte ich für heute nicht eigentlich schon genug Risiko auf mich genommen? Ich seufzte kurz, dann setzte ich den rechten Fuß an das Rohr und kletterte hoch. Als ich etwas über dem Fenster angekommen war, holte ich nochmal tief Luft und sprang. Wie berechnet fiel ich auch ein Stück nach unten und konnte mich so perfekt an der äußeren Fensterbank festhalten. Ich spannte die Muskeln an und zog mich hoch, meine Hand verschwand in dem schmalen Spalt zwischen Fensterrahmen und Hauswand, dann hatte ich den Griff in der Hand und schaffte es das Fenster zu öffnen. Erleichtert kletterte ich hinein und sah sofort, dass Maria und Olli sich dieses Zimmer wohl teilten. War für ihn bestimmt auch nicht so cool. Ein Großteil der Sachen befand sich jedoch in Kisten. Ob Olli vielleicht in ein eigenes Zimmer zog, damit er auch mal mit seiner Freundin alleine sein konnte? Ich schüttelte schnell den Kopf, um mich wieder auf die wesentlichen Sachen zu besinnen und scannte den Raum ab, bis ich Marias Kleiderschhrank entdeckte. Eilig öffnete ich die dunklen Holztüren und warf einen prüfenden Blick ins Innere. Im Gegensatz zu mir besaß die Brünette sehr viele Klamotten und es dauerte etwas, bis ich mich für eine dunkelblaue Bluse und eine helle Hose entschied. Bevor ich das Haus wieder verließ, griff ich noch schnell nach einer dunkelbraunen Umhängetasche. Im Hauptquartier angekommen, warteten die anderen schon und ich drückte Maria ihre Klamotten direkt in die Hand. Dann lief ich in den großen Saal, wo Hannes, Jorgo und Peter gerade mit Jorgos Handy beschäftigt waren. Schmunzelnd blieb ich im Türrahmen stehen und beobachtete sie kurz dabei. Sie waren ein Team. Ein Team, dem ich schon immer beigehören wollte. Ein Grinsen schlich sich auf meine Lippen. Vielleicht würde ich das ja bald sein. Ein Vorstadtkrokodil.

Um ihren Freund zu retten...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt