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Unauffällig schaute ich mich um. Dann griff ich blitzschnell in den Mülleimer und zog die gelbe Plastiktüte hervor. Sofort entfernte ich mich einige Schritte und schaute hinein. Ein blaugrauer JVA-Pulli lag ordentlich zusammengefaltet da und ich atmete erleichtert aus. So schnell wie möglich fuhr ich zu Hannes nach Hause. Dort gab ich Kai den Pulli, dann umarmten wir uns kurz und Hannes und ich stiegen hinten den Bus ein, der als Krankenwagen dienen sollte. Eigentlich war es Kais Teambus, aber er würde seine Aufgabe erfüllen. "Was machen wir wenn es nicht klappt?" Zweifelnd schaute ich zu Hannes, der neben mir im hinteren Teil des Busses hockte. Zuversichtlich lächelte er mich an. "Es wird klappen. Du wirst Dennis schon überzeugen." Ich atmete tief durch und nickte, dann spürte ich, dass der Wagen anhielt. Sofort griff Hannes nach der weißen Decke neben uns und warf sie uns über. Zusammengekauert warteten wir, bis ein Knall und ein schmerzhaftes Stöhnen zu hören waren. Hannes wollte gerade die Decke wegziehen, als ich sie festhielt. Die Türen waren noch nicht zu und seine Mutter noch nicht drin. Hatte irgendetwas nicht geklappt? Waren wir aufgeflogen? Erleichtert atmete ich aus, als ich schließlich das Zuknallen der Türen hörte und Hannes' Mutter zu sprechen begann. "So mein Lieber, wir kennen uns ja schon, stimmt's?" Hannes und ich zogen die Decke runter und Dennis schaute uns mit großen Augen an. Er machte komische Geräusche, um uns zu zeigen, wie eilig es war, dass er das Gegenmittel bekam. Solange mussten Hannes und ich Überzeugungsarbeit leisten. "Dennis? Wenn wir im Krankenhaus sind, kannst du Frank einen Teil deiner Leber spenden. Was genau passiert ist, hat Hannes dir ja schon in der Bibliothek erzählt." Hannes' Mutter unterbrach mich. "Du Hannes, hier sind jetzt verschiedene Medikamente drin. Weißt du welches das richtige ist?" "Ähm, gibt's da irgendwas mit Anti-Kiwi, oder so?" "Ihr müsst euch beeilen!", setzte ich nach. Von einem Vorfall vor mehreren Jahren wusste ich, dass die Allergie bei meinem Bruder sehr extrem war und er an der geschwollenen Zunge ersticken konnte. Hannes' Mutter schaute nochmal in das kleine Kästchen. "Hier steht jetzt irgendwas mit Antitrox-noch-irgendwas, das klingt doch ganz gut, oder?" "Joa, Anti ist gut." Mit großen Augen starrte ich die beiden an. Sie konnten Dennis doch nicht einfach irgendwas spritzen! Doch bevor ich reagieren konnte, hatte Hannes' Mutter die Spritze aufgezogen und Dennis Jackenärmel runtergeschoben. "Keine Panik, ich hatte 'nen Erste-Hilfe-Kurs. In der zehnten." Entsetzt starrte ich sie an, während sie mit voller Wucht die Spitze in Dennis' Arm stieß. Dieser gab einen schmerzvollen Laut von sich und schien jetzt noch viel kürzer vorm Ersticken. Hannes' Mutter zog die nächste Spritze auf, stach damit in Dennis' Arm und dieser warf qualvoll den Kopf nach hinten. Doch im nächsten Moment schaute er wieder zu uns und keuchte. Die Symptome waren abgeklungen. "Ich hasse euch", sagte er mit kratziger Stimme. Hannes und seine Mutter gaben sich ein High-Five. "Das war wohl das richtige, Doktor Mama!" Dennis schaute mich an. "Und was machst du hier? Frank wollte dich doch nie mitnehmen." "Hat sich so ergeben. Alleine konnte ich ihn ja wohl schlecht retten. Meine eigene Leber durfte ich ja nicht spenden." "Warum nicht?" "Weil ich noch ein Kind und stark unterernährt bin, hat die Ärztin gesagt." Mein ältester Bruder musterte mich. "Sie hat Recht. Du bist dünn geworden." Meine Miene verhärtete sich. Er brauchte jetzt hier nicht plötzlich den besorgten Bruder raushängen lassen, das Recht dazu hatte nur Frank! "Das täuscht", antwortete ich kühl und wandte mich ab. Im nächsten Moment blieben wir stehen. Hannes und ich zogen uns die Decken über, seine Mutter verließ den "Krankenwagen" und Dennis drückte sich neben uns an die Wand. Wir hörten Hannes' Mutter mit dem Gefängnisdirektor sprechen, dann kam sie zu uns zurück. Im nächsten Moment hörten wir ein lautes: "Halt! Stehenbleiben!" Kai fuhr in einem Affenzahn an uns vorbei und der Direktor lief gleich dahinter. Wir stiegen aus und schauten alle zu Dennis. "Und, wie hast du dich entschieden?", fragte Hannes. "Was für 'ne bescheuerte Frage." Mein Bruder hievte sich aus dem Rollstuhl und lief zusammen mit Maria, Hannes und dessen Mutter ins Krankenhaus. Ich lief in die andere Richtung und beobachtete, wie ein wütender Direktor Hartmann in die Richtung des Krankenhauses stapfte. Aber ich vertraute darauf, dass er gleich richtig reagieren würde und rannte stattdessen zu Kai. Kurz bevor ich ihn erreichte, ließ mich allerdings ein stechender Schmerz in der Brust zu Boden gehen. Im gleichen Moment hatte ich das Gefühl, mir würde die Luft ausgehen. Keuchend, wie ein Fisch auf dem Trockenen, blieb ich auf dem Weg liegen und versuchte zu atmen. Nur nebenbei nahm ich Kai wahr, der immer wieder meinen Namen rief und zu mir fuhr. Er ließ sich neben mich ins Gras fallen und rüttelte an meinen Schultern. "Sophie, hey! Mach die Augen auf! Sophie! Scheiße!" Ich hörte es rascheln, dann hörte ich, wie er etwas auf dem Handy tippte. "Jenny? Sophie ist im Park zusammengebrochen. Wir brauchen hier so schnell wie möglich einen Arzt!" Er legte auf und widmete sich wieder mir. Vor meinen Augen begann es langsam dunkler zu werden, meine Lunge fühlte sich an, als würde sie explodieren. Keuchend lag ich da, Kai neben mir, und spürte, wie ich immer müder wurde. Dann wurden plötzlich Stimmen laut und ich hörte Leute rufen. Nur noch nebenbei bekam ich mit, wie mir irgendwas gespritzt wurde und ich schließlich auf einer Trage ins Krankenhaus gebracht wurde. Das letzte was ich mitbekam, war Kai, der meine Hand hielt.

Um ihren Freund zu retten...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt