Kapitel 16

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Als wir den Raum verlassen haben umschließen warme sanfte Finger meine Hand. Ich weiß, dass es Ivens ist, der mich durch die Gänge leitet und ich gestatte mir die Kontrolle abzugeben.

Als ich schließlich auf das weiche Sofa krabbele und meinen Kopf an seiner Schulter vergrabe wird mir gewahr, dass wir wieder in dem Raum mit dem weinroten Sofa sind. Es ist eine Zufluchtsstätte für uns beide, für das Wir, dass sich plötzlich so ergeben hat.

Er fährt vorsichtig über mein Haar und streichelt mit der anderen Hand meinen Arm. Unsere Atemzüge sind gleichmäßig, im Takt.

Ich bemerke die Tränen erst, als er mir eine sanft von der Wange wischt. Überrascht hebe ich den Kopf und treffe seinen traurigen Blick. Als ich ihn forschend mustere, verdunkeln sich seine Augen mit einem Mal, ich merke wie seine Gedanken fort wandern. Er blinzelt kurz und befreit sich ungelenk aus meiner Umklammerung.

Überrascht von der plötzlichen Distanz rücke ich ein wenig von ihm ab und versuche unverfänglich ein Gespräch zu beginnen: „Ich muss das also auswendig lernen." „Ja, aber wenn du etwas vergisst ist das nicht so schlimm, ich denke ich habe die Lösung für das Problem mit den Erinnerungen", er lächelt ein wenig, ich weiß, dass ein Teil davon erzwungen ist. Ich wüsste nur gerne warum. Statt meiner eigentlichen Frage, stelle ich die naheliegende: „Und die wäre?" „Gedächtnisverlust. Ist nicht unbedingt eine typische Folge von Operationen aber soweit ich weiß könnte das durch die Narkotisierung schon einmal passieren. Du tust einfach so als wüsstest du nicht wer du bist. Wenn dir etwas aus den Berichten bekannt vorkommt kannst du ja so tun, als käme ein Teil der Erinnerung wieder. Niemand wird misstrauisch werden und große Fragen stellen. Außerdem wird keiner erwarten, dass du dich ohne Hilfe zu Recht findest", er klingt sehr zufrieden mit sich. Was immer sich in seine Gedanken geschlichen hat, er hat es vertrieben. Fast wünschte ich mir, er könnte so aufrichtig sein und mir von den Dämonen erzählen mit denen er kämpft. Er kennt meine schließlich auch.

Obwohl, wie mir gerade auffällt, ich nie mit ihm über Ruven gesprochen habe. Was etwas merkwürdig ist. Er ist ein guter Zuhörer. Trotzdem, es ist – auch wenn ich nicht erklären könnte weshalb – abwegig mit ihm darüber zu sprechen.

„Ich glaube das könnte klappen. Ich hoffe nur ich kriege das hin", meine ich verzagt und blicke auf meine Hände. Er umfasst sie leicht: „Natürlich schaffst du das. Du bist viel stärker als du denkst. Vertrau mir." Ein Lächeln wandert auf meine Lippen und ich traue mich wieder näher an ihn heran, bis er mich in seine tröstliche Umarmung schließt.

Den Rest des Tages verbringe ich damit mehr über meine Schwester zu erfahren. Bei jeder neuen Information frage ich mich, ob ich das Richtige tue. Ich könnte sie retten. Es läge in meiner Hand einen Menschen zu retten, den ich nicht kenne, mit dem ich aber unweigerlich durchs Blut verbunden bin. Aber ich weiß es würde mein Leben fordern – ich fühle mich schuldig dafür, aber mich für eine Person, die ich nicht kenne selbst zu opfern, liegt außerhalb meiner Vorstellung. Ich kann es nicht tun.

Gleichzeitig weiß ich, dass mit meinem Eigennutz ihre letzte Chance auf Leben verloren geht. Irgendwann vertraue ich mich Iven an.

„Das meinst du nicht ernst?", ein ungläubiges Entsetzen zeichnet sich auf seiner Miene ab. Ich bin verunsichert: „Warum denn nicht?". Er sagt nichts und zieht mich einfach ein weiteres Mal in seine Arme. An seine Brust gedrückt flüstere ich nach einer Weile: „Gibt es denn gar keine andere Möglichkeit ihr zu helfen?" Ich spüre nur sein leichtes Kopfschütteln an meinen Haaransatz: „Es ist ungerecht, aber nein. Nichts was sich mit unseren Plänen vereinbaren lässt."

Ich versuche mir zu merken, dass sie gerne einen Sport macht der Cheerleadern heißt und von dem ich noch nie gelesen habe. Dass sie gerne kocht und in der Schule ganz gut ist. Dass ihr erstes Haustier (Ich musste erst Iven fragen was das ist) eine Katze war die Miezi hieß. Miezi ist auch tot.

Spares - Sag mir wer ich binWo Geschichten leben. Entdecke jetzt