Kapitel 8

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Eine Pause zum Verarbeiten.

Das waren Joes Worte als er den Vorschlag machte die Versammlung kurz zu unterbrechen.

Der Blick, der mitfühlend über uns schweifte.

Keine Menschen – Spares.

Gezüchtet. Sinn des Lebens – Warten zu sterben. Damit der richtige Mensch leben kann.

Auf meine Kosten.

In mir zieht sich alles zusammen, ich warte auf Tränen, aber meine Augen starren reglos ins dumpfe Schwarz - Vielleicht bin ich zu so einer menschliche Regung gar nicht fähig...

Ein bitteres Lachen bahnt sich den Weg zu meinen Mund. Es klingt gellend laut in der Enge des Schrankes, hoffnungslos und trüb.

Aber mit dem Lachen kommen auch endlich die Tränen, sie verschleiern den Blick in die Bodenlosigkeit, während es mich vor Schluchzern schüttelt und meine Gedanken endlich für einen Moment schweigen.

Irgendwann werde ich leiser,

mein Atem wird regelmäßiger, die Gedanken sortieren sich wieder.

Ich habe mich beruhigt.

Mit verquollenen Gesicht und den - zugegebenermaßen nicht unbedingt durchdachten - Entschluss, wieder zum Rest zurückzugehen, krabbele ich aus dem Schrank und stolpere direkt in ihn – Forton.

Ich biete vermutlich einen nicht sehr erfreulichen Anblick, aber da ich nur unschwer zu überhören gewesen war, sollte er darauf vorbereitet sein.

Er verzieht jedenfalls keine Miene und meint mit sehr ruhiger Stimme: „Ich denke das war recht viel auf einmal, Ich habe dir jemanden mitgebracht, der dir alles in Ruhe erklären wird... und deine Fragen beantwortet."

Hinter ihm tritt ein Mann hervor und geht auf mich zu, beim Näherkommen schätze ich ihn auf ein paar Jahre älter als mich. Er hat ein schmales Gesicht mit leichten Schatten unter den Augen, seine Haare stehen verstrubbelt in alle Richtungen ab. Sein Gang ist sicher, nicht steif oder flink, sondern so, als wäre er ... im Gleichgewicht.

Er sieht auf tröstliche Weise vom Leben gezeichnet aus.

Erschöpft.

Aber er hat dennoch einen wachsamen Blick. Ich frage mich, was er erlebt haben muss, um so auszusehen.

„Ich bin Iven, komm einfach mit mir mit", meint er schlicht und die Andeutung eines Lächeln malt kleine Falten in die Augenwinkel seines ausgemergelten, aber interessanten Gesichts.

Ich nicke nur und bleibe dicht hinter ihm, während er unbeirrt voran läuft.

Er führt mich in ein kleines Zimmer mit Schränken und flacher Ablage, während er ein schüsselähnliches Gebilde hervorkramt deutet er auf ein kleines Sofa. Es ist rot... wie der Wein, von dem es am Feiertag immer ein Glas für alle gibt, dunkelweinrot. Ich lasse mich in die Kissen sinken und warte darauf, dass er seine Aufmerksamkeit wieder mir widmet.

Nach einiger Zeit setzt er sich neben mich und drück mir eine heiße Tasse in die Hand. „Das ist Kakao", erklärt er und stellt gleichzeitig einen Teller mit Keksen auf das kleine Tischen vor uns. Ich nippte vorsichtig daran, ich kenne Kakao, aber bei uns ist es immer eine wässrige, lauwarme, bräunliche Flüssigkeit. Wir haben sie nur selten bekommen, aber dieser hier ist heiß, cremig und sehr sehr süß. Er treibt mir wieder ein Gefühl in Arme und Beine und ich fühle mich mit einem Mal getröstet. Iven beobachtet mich abwartend, vielleicht sollte ich zuerst etwas sagen, aber ich schweige.

Trotz der Wärme des Getränks fühle ich mich ein wenig betäubt.

Immer noch ein Gefühl, als hätte ich in einer kühlen Nacht mit angelehnten Fenster geschlafen und wäre nun mit steifen Gliedern aufgewacht.

Ich habe Angst vor dem Moment, wenn die Empfindungen wieder in meinen Körper zurückkehren.

Davor, dass der Schmerz mich dann tausendfach überrollt,

... alles über mir einstürzt und ich ertrinke.

„Ich war einer der ersten Spares, die sie rausgeholt haben."

Seine Stimme ist tonlos, aber er hat sofort meine Aufmerksamkeit.

In meinem Hals bildet sich ein Kloß, aber ich denke, ich kann jetzt die Schatten im Gesicht verstehen. Weiß woher der Schmerz im Blick herrührt.

Glaube sogar die Narben im Herzen und die glühende Wut zu spüren.

Ob es sie gibt weiß ich natürlich nicht, ...wir sehen manchmal nur das, was wir sehen wollen. Wir machen es uns leicht einen Menschen kennenzulernen, er erzählt uns ein Detail und schon glauben wir alles zu wissen. Er schenkt uns ein Lächeln und schon vertrauen wir ihm.

Wir sind blindsichtig, weil es so oft einfacher ist.

Ich kenne ihn nicht, aber schon hat er mein Mitgefühl... und mein Vertrauen, er versteht was ich durchgemacht habe.

Da wird mir klar, dass ich es mir nicht nur leicht mache, es hat nichts mit einem einfacheren Weg zu tun, wir verstehen einander tatsächlich, er hat dasselbe durchgemacht.

Er hat Antworten.

Ich erwidere seinen Blick ernst, Mitleidsbekundungen sind nicht angebracht, er weiß das, ich weiß das. So einfach ist das zwischen uns beiden.

Zwei Menschen, die sich nicht kennen, aber wir ähneln uns. Kurz habe ich Angst vor der Wahrheit, die sich schleichend in meinen Blick legen könnte, wie sie es im Mantel von wachsender Resignation bei Iven getan hat.

Aber nein, für Zweifel ist im Moment kein Platz in meinem Kopf.

Vielleicht hat uns unsere Gemeinsamkeit hierher gebracht,

vielleicht gibt es dort draußen Menschen für die wir anscheinend nur eine Lebensversicherung sind und nicht Tochter, Sohn, Schwester oder Bruder,

obwohl wir das eigentlich für sie dort draußen sein sollten. Es ist wie in meinen Büchern, so etwas wie Familie existiert... nur sie kümmert es nicht, ein Kind kann wohl nur ein menschliches sein. Aber bin ich das denn nicht?

Vielleicht werden wir daran und an dem Schmerz, der uns zugefügt wurde niemals etwas ändern können, aber ich weiß, dass ich es versuchen will.

Ich will kämpfen,

für unser Lebensrecht.

Und dafür brauche ich Antworten.

Ich setze mich aufrecht hin und warte geduldig, bis er anfängt zu erzählen,

...warte ungeduldig auf die Wahrheit.

Ich hoffe, ich bin tatsächlich bereit dafür.




Hallo ihr Lieben :)

Wie versprochen das nächste Kapitel. Ich hoffe es gefällt euch ;)

Das nächste gibt es als kleines Geschenk am 4. Advent!

Alles Liebe


Spares - Sag mir wer ich binUnde poveștirile trăiesc. Descoperă acum