26 | Nochmal alleine

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2.036 Worte

Krisen kommen in jeder noch so perfekten Beziehung vor. Roy und ich sind davon nicht ausgenommen, bloß weil unsere Beziehung am Anfang fast schon märchenhaft harmonisch war. Inzwischen ist unsere Reise fast vorbei und kleine Krisen und Streitigkeiten hatten wir noch viele. Wenn zwei Personen auf engstem Raum zusammenleben, ist das wohl unvermeidbar.

Mich hat es angenervt, wenn er aus allem ein Späßchen gemacht hat und nicht einmal ernst sein konnte. Und ihn hat es aufgebracht, wenn ich wegen dieser, für ihn Kleinigkeiten, sauer war.

Manchmal hat der eine dann das Wohnmobil verlassen, weil es ihm nicht genug Rückzugsmöglichkeiten vor dem anderen Partner geboten hat. Und manchmal waren wir beide einfach zu stur: Keiner wollte den Kürzeren ziehen, keiner wollte sich entschuldigen, weil er das Unrecht nicht bei sich gesehen hat.

In solchen Situationen haben wir uns angeschwiegen, so getan, als wäre der andere nicht existent, bis uns unser eigenes Verhalten schwachsinnig und kindisch vorkam und wir schon fast darüber lachen mussten.

Es hat nur einen großen, nennenswerten Krach während den vier Monaten gegeben, bei dem ich wirklich kurzzeitig gedacht habe: So, jetzt ist es vorbei, jetzt wird er Schluss machen.

»Roy, ich bin echt geschafft. Können wir heute Abend ausnahmsweise mal nichts machen?«, sage ich erschöpft und lasse mich auf unser Bett plumpsen.

»Ach komm schon. Das hast du gestern auch schon gesagt. Lass uns endlich nach Sedalia fahren und zur Missouri State Fair gehen. Die geht nur noch fünf Tage«, beharrt er und ich merke, dass er kein Verständnis für mich hat.

»Ich habe aber keine Lust. Ich - «

»Das ist der Punkt«, unterbricht er mich und sieht mich beleidigt an. »Du hast keine Lust. Wenn du wolltest, würdest du nämlich mit mir kommen. Wie viele Dinge habe ich mit dir besichtigt, die ich todlangweilig fand. Habe ich mich so angestellt? Nein! Also k - «

»Ja, schön für dich«, falle ich ihm ebenfalls ins Wort und richte mich im Bett auf. »Aber ich bin nicht du. Und ich habe auch schon Sehenswürdigkeiten mit dir besucht, die ich nicht unbedingt hätte sehen müssen, also stell mich nicht als lieblose Freundin dar. Du weißt, dass ich das nicht bin.«

»Aber du könntest trotzdem - «

»Nein, könnte ich nicht«, sage ich erbost, stehe auf und mache einen Schritt auf ihn zu. Das ist mein Roadtrip. Du warst gar nicht eingeplant.« Provokant tippe ich ihm mit dem Finger auf die Brust und weiß, dass ich es gerade zu weit getrieben habe.

Roys Miene verfinstert sich. Inzwischen kenne ich ihn gut genug, um zu wissen, dass er nahe daran ist, den nächsten Streit vom Zaun zu brechen. »Mit anderen Worten: Du willst mich also gar nicht hier haben.«

»Gerade nicht, ja.« Trotzig blicke ich ihn an, nicht bereit nachzugeben oder mich für meine Worte zu entschuldigen. So muss sich die Eiszeit angefühlt haben.

»Danke, das war sehr aufschlussreich.« In einer Windeseile dreht mein Freund sich um, schnappt sich seine Jacke und ist verschwunden.

In mir brodelt die Wut. Er soll sich nicht so anstellen. Wenn er unbedingt zu dieser State Fair will, soll er doch alleine hingehen. Er hat kein Recht, deswegen jetzt sauer auf mich zu sein. In ein paar Stunden hat er sich sowieso wieder einbekommen. Beleidigt lasse mich erneut auf mein Bett fallen. Aus dem entspannten Abend, den ich mir mit Roy vorgestellt hatte, wird nun wohl nichts mehr.

Anders als bei unserem ersten Streit kurz nach seiner Ankunft, kommt der Blondschopf am Abend jedoch nicht wieder zurück zum Wohnmobil. Und als bereits zwölf Uhr durch ist, beginne ich das erste Mal ernsthaft Panik zu schieben. Alle Wut in mir ist verraucht und macht nun Schuldgefühlen platz, die mich nach kurzer Zeit schon an den Rand der Verzweiflung bringen.

Linkshänder küssen besser ✔Where stories live. Discover now